Ein Cocktail fürs Museum

Nirgendwo trinkt man so stilvoll wie in der Bar Basso in Mailand. Ein Gespräch mit Betreiber Maurizio Stocchetto über die Kunst, Cocktails zu kreieren, prominente Gäste und »falschen Negroni«.

In der Mailänder Bar Basso wurde der berühmte »Negroni Sbagliato« erfunden, eine leichtere Variante des Negroni. Und das alles nur weil Bartender Mirko Stocchetto im Jahr 1972 – vielleicht auch davor oder danach, so genau weiß das keiner mehr – aus Versehen beim Mixen des Cocktails zu Prosecco anstatt zur Ginflasche griff. »Sbagliato« ist italienisch und heißt falsch. Falsch war der Fehler aber nicht, denn die Bar Basso ist heute weltberühmt – genauso wie das Glas, das Mirko für seine Cocktails entwarf. Ein Gespräch mit dem heutigen Betreiber der Bar, seinem Sohn Maurizio Stocchetto.

Falstaff: Herr Stocchetto, Sie feiern gerade 55 Jahre »Negroni Sbagliato« und außerdem ein Glas, das Bicchierone.

Maurizio Stocchetto: Ja, das Glas ist jetzt ausgestellt in der Triennale, im Museo del Design Italiano. Verrückt, oder?

Eine große Ehre für Ihren Vater und Ihre Bar. Wie kam es dazu?

Mein Vater wuchs in den 30er Jahren auf, eine Zeit, in der die Leute einfache, aber gute Ideen hatten. Mein Vater arbeitete in Venedig und Cortina d’Ampezzo. Dort kamen zu der Zeit viele Touristen aus den USA an. Und die waren reich und hatten einen anderen Lifestyle, sie waren optimistisch, sie hatten den Krieg gewonnen, sie tranken Cocktails. Und ein paar Leute erkannten, dass man mit Cocktails Geld verdienen konnte. Mein Vater war einer von ihnen. Also wurde er Barkeeper. 1967, nachdem er 20 Jahre an Bars von Hotels gearbeitet hatte, ging er zurück nach Mailand. Dorthin kamen bisher eher wenig Touristen, es war eine Industrie-Stadt. Aber er hat von einer Bar gehört, die verkauft werden soll. 

Die Bar Basso, benannt nach Giuseppe Basso, der sie 1933 eröffnet hat. 

Eine Bar an einer Straßenecke. Weniger formell als eine Hotelbar, dorthin gingen Arbeiter ja eher selten, um Cocktails zu trinken. Mein Vater wollte einen Ort, der zugänglich ist. Für alle. Und er wollte ein Glas, um seine Cocktails gut präsentieren zu können. Er hatte einen Freund, der in der Glasindustrie von Venedig arbeitete und zeigte ihm seinen Entwurf. Es gab natürlich Gläser in ähnlichen Formen. Aber sie haben mehrere Prototypen angefertigt und die ganze Bar half mit, das Glas zu verändern, bis es perfekt war. Welchen Durchmesser braucht der Fuß, damit es sicher steht? Wie lang kann der Stil sein. Die Verbesserungsvorschläge der Kellner wurden bei der nächsten Herstellung angepasst, so dass Form und Funktion in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen.

In Mailand trinkt man nirgendwo so stilvoll wie in der Bar Basso.
© Giulio Boem
In Mailand trinkt man nirgendwo so stilvoll wie in der Bar Basso.

Wie groß ist das Glas?

33 Zentimeter. Riesig. Es sollte ja Spaß machen, die Aufmerksamkeit der Leute erregen. Und ihre Neugierde wecken, Cocktails auszuprobieren. Die Gläser sind schlecht zu reinigen, schlecht zu lagern, aber sie wurden so ikonisch, dass wir sie behalten mussten.

Das Glas wurde schon vor dem Sbagliato erfunden?

Ja, den Sbagliato gibt es vermutlich seit 1972. Wir wissen das nicht genau.

Wie kam das Glas ins Museum?

Marco Sammicheli ist der Direktor der Triennale, ich traf ihn zufällig und erzählte mir, dass sie das Glas als Vermittler eines Lifestyles in die Sammlung aufnehmen wollen. Eine schöne Überraschung! Es steht jetzt da neben einer Cimbali Kaffeemaschine.

Ennio Morricone sagte mal, die Möglichkeiten mit sieben Noten sind begrenzt, so ist es auch mit den Cocktailzutaten.

Was würde Ihr Vater dazu sagen?

Er war nicht so leicht zu beeindrucken. Auch aus dem Sbagliato hat er nie eine große Sache gemacht. Die letzten Jahre, die er hier in der er in der Bar saß, bevor er vor fünf Jahren starb, und all die roten Cocktails sah, war er doch überrascht, dass der Drink so populär geworden ist.

Wie ist er denn so populär geworden?

Der Name ist fantastisch. Hätte mein Vater ihn Maurizio genannt, hätte er keinen einzigen verkauft.

Haben Sie auch eigene Cocktails kreiert?

Klar, aber das ist nicht einfach. Man mixt nicht einfach einen neuen Drink und bewirbt ihn und fertig. So funktioniert das nicht. Es geht um Zeitgeist, den richtigen Zeitpunkt.

Vielleicht gibt es auch schon genug Cocktailsorten.

Es ist ein bisschen wie in der Musik, die Noten sind was sie sind. Ennio Morricone sagte mal, die Möglichkeiten mit sieben Noten sind begrenzt, so ist es auch mit den Cocktailzutaten. Es wurde vieles schon entdeckt. Und die Entstehung von Cocktails hängt auch mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammen, mit veränderten Gewohnheiten und Lebensweisen.

Wirt Maurizio Stocchetto in der Bar Basso in Mailand
© Giulio Boem
Wirt Maurizio Stocchetto in der Bar Basso in Mailand

Wie meinen Sie das?

Mein Vater war einer der jüngsten Barkeeper. Er war der Erste, der außerhalb eines Hotels Cocktails mixte. Er hat mit neun oder zehn Jahren angefangen im Hotel »Monaco & Grand Canal« in Venedig zu arbeiten, ein tolles Hotel. Er hat das Silber geputzt oder den Boden gewischt. Das war während des Krieges. In seinem Hotel kamen dann viele der Alliierten unter,  Amerikaner, Australier. Und gegenüber des Hotels war Harry's Bar und er freundete sich mit einem der Barkeeper an, der ihn fragte, ob er er nicht mit nach Cortina d’Ampezzo kommen wollte, um dort in einer Bar zu arbeiten. 1946 fing er an. Früher waren die Leute neugieriger, hatten noch keine klare Idee von dem, was sie trinken wollen.

Auch der Skiort Cortina d’Ampezzo war sicherlich seiner Zeit voraus?

Cortina war zwar ein ziemlich internationaler Skiort, aber die 50er Jahre waren ja immer noch sehr steif. Auch als er nach Mailand kam, waren die meisten Kunden männlich. Frauen kamen nicht oft alleine in eine Bar und bestellen sich einen Manhattan. In eine Bar zu gehen und Alkohol zu trinken, war nicht besonders angesehen. Nicht so angesagt wie heute. Es mussten erst die 68 entstehen, die Frauenbewegung, um auch die Frauen in eine Bar zu bringen.

 Ich weiß nicht, wie man ein Getränk bewirbt.

Ist der Sbagliato ein Frauen-Cocktail?

Ja, weil er nicht so viel Alkohol enthält wie der Negroni.

Und Frauen können einen Drink auch besser bekannt machen, oder? Spritz, Hugo – das sind ja alles eher Frauen-Trendgetränke.

Ich weiß nicht, wie man ein Getränk bewirbt. Es haben ja auch schon damals Magazine über die Bar geschrieben, Interviews gemacht, aber nach dem Sbagliato haben sie nie gefragt. Vielleicht gab es einen anderen Geschmack, vielleicht musste die richtige Zeit für den Sbagliato kommen? Es muss immer vieles zusammen kommen, damit ein Getränk beliebt wird. In den 70er und 80er Jahren gab es auch noch nicht so viele Bars, die Cocktails anboten. In den 90er Jahren gab es einen Wendepunkt, da haben dann viele andere Bars eröffnet. Und für viele war die Bar Basso ein Vorbild. Also boten sie dann auch den Sbagliato an, aber nicht in unserem Glas.

Herr Stocchetto, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Laura Ewert
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