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England: Das unbekannte Käse-Land

Käse? Den können vor allem die Franzosen und die Italiener! Aber die Briten? Das Vereinigte Königreich? Gibt es dort gute Käse? Aber hallo! Und ob! Und das hat vor allem historische Gründe.

Waterloo, was nicht Wasserklosett bedeutet: Das ist ein historischer, eigentlich aber fader Ort in Belgien (­Napoleon kam, sah und verlor). Waterloo: Das ist ein Popsong der schwedischen Band Abba, der das historische Waterloo als ­Begriff zu einer persönlichen Begrifflichkeit einer privaten Niederlage umdeutet – und so ein Millionenseller wurde. Waterloo: Das ist aber auch ein weicher britischer Käse mit festem Kern, der aus Riseley (in der Sprache der Einheimischen: »Rischley«) in Berkshire stammt.

Zitat aus der Online-Enzyklopädie »Taste Atlas«: »Er wird aus unpasteurisierter Kuhmilch von Guernsey-Kühen hergestellt. Unter der Rinde hat der Käsekörper eine goldgelbe Farbe, die auf das natürliche Karotin in der Milch zurückzuführen ist. Seine Textur ist cremig und reichhaltig, während er in der Mitte flockig und leicht fest bleibt. Der Geschmack ist buttrig, süß und salzig, mit einem Hauch von Erde, Kräutern und Gras.« Waterloo, ein Käse aus England, schmeckt ganz vorzüglich – wie ein klassischer ­hervorragender französischer Weichkäse. Und das hat Gründe.

Die vielen Schafe, die in Britannien weiden, tragen im Verhältnis wenig zu der  britischen Käsekultur bei, die zumeist  auf Kuhmilch basiert.
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Die vielen Schafe, die in Britannien weiden, tragen im Verhältnis wenig zu der britischen Käsekultur bei, die zumeist auf Kuhmilch basiert.

Land der seltenen Käse

Oder Sage Derby? Ein Käse, der aussieht, als hätten seine Käser LSD konsumiert. Wir zitieren einen dieser Käser: »Sage ­Derby ist eine der ältesten Käsesorten Englands und wird in der Region Derbyshire hergestellt. Der Käse wird aus Kuhmilch gefertigt und zeichnet sich durch sein ungewöhnlich marmoriertes Aussehen aus, das auf den Aufguss mit Salbei zurückzuführen ist, der dem Käse auch einen subtilen ­Kräutergeschmack verleiht. Anstelle von Salbei können aber auch Spinat, Ringel­blume oder Petersilie verwendet werden. Der Salbei-Derby wird einen bis drei Monate lang gereift und passt aufgrund seiner guten Schmelzeigenschaften zu Gemüse, frischem Obst, Roggenbrot und Geflügel.«

Wir könnten mit dem Stinking Bishop, dem Yorkshire Wensleydale oder dem ­Double Gloucester fortfahren. Und da wäre noch kein einziger Stilton oder Cheddar, beides britische Nationalkäse und weltbekannt, mit dabei. Oder wir könnten einfach einen Blick auf die Käsetheke bei »Harrods« in London werfen, die, national, eine ­historisch ähnliche Bedeutung hat, wie die ­Käsetheke im »Meinl am Graben«. Und wir würden erkennen, was wir hier als Erkenntnis festschreiben: England, Wales, auch Irland (die Insel gesamt, nicht nur der britisch verwaltete Teil) und Schottland haben eine lange historische Käsetradition – entgegen der weitläufigen Annahme. Und diese Historie kennt einen Lehrmeister, den die Engländer ungern zur Kenntnis nehmen: Frankreich.

Sage Derby. Britische Lebensmittel sind gerne grellfarbig. Dieser Sage Derby, der aussieht wie eine schrille britische Krawatte, wird durch die Beigabe von Salbeiessenz so grün.
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Sage Derby. Britische Lebensmittel sind gerne grellfarbig. Dieser Sage Derby, der aussieht wie eine schrille britische Krawatte, wird durch die Beigabe von Salbeiessenz so grün.

Kulturelle Aneignung

England, das war mal ein auch kulturell ­alles an und in sich saugendes, kolonial auftretendes Weltreich, das seine Kolonialgeschichte mit der Besetzung und Machtübernahme der Herzogtümer Normandie (die Normannen) und Aquitanien im Mittelalter begann. Aus Aquitanien gelangte der Wein aus Bordeaux nach London. Und auch die Käsekultur der Klöster, die damals alle noch katholische Klöster waren. Diese kulturelle Weitergabe, etwas, das heute als »kulturelle Aneignung« verbrämt wäre; diese kulturelle Weitergabe war es, die England zu dieser führenden Käse­nation machte. Ein Stand, von dem die Welt wenig weiß, weil die Briten ihre Käse meist selber essen; weil sie auf ihre Käse und ihrer Käsekultur völlig zu Recht stolz sind. Mehr noch im Heute, in diesen postheroischen Zeiten, wo die Nation, die als Nation schon länger schwächelt, lieber auf kulinarische Errungenschaften blickt als auf Kolonien und Soldaten im Krieg.

Wir können England dafür dankbar sein, dass die kulinarische Mangelwirtschaft im Land es einst aus der Welt auch das kuli­narisch Wertvolle holen ließ: Bordeaux-Clarets, Port, Sherry oder Curry – was oft mit einer brutalen Kolonialherrschaft ­einherging. Was wir den Engländern aber nicht verzeihen können, ist, dass sie ihre große und großartige Käsegeschichte in ­ihrer irren Vielfalt vor uns zu verbergen ­suchen. Darauf sind wir jetzt aber aufmerksam geworden. Die Käsetheke von »Meinl am Graben« hilft, diese verborgene Welt zu erkunden. Ach ja, eines noch: Kennen Sie getrüffelten Cheddar? Den von der Ford-Farm (hat mit dem gleichnamigen Autobauer absolut nichts zu tun)? Erst darf dieser im Käsekeller seine optimale Reife erlangen, zu erkennen an den Kalziumlaktat-Kristallen, die seinen unvergleichlichen, süßlichen Geschmack unterstützen. Erst dann wird er mit dem feinsten schwarzen Trüffel vermischt, so bekommt er sein unverkennbares Aussehen und ein Aroma, das rustikal, erdig und edel zugleich ist. Kennen Sie nicht? Dann wird es Zeit, dass sie das noch relativ unbekannte englische Käsereich erobern. Wie einst die Briten die kulinarische Welt. Jetzt sind wir dran, zu erkunden, zu genießen und zu huldigen.

© StockFood / Ramanauskiene, Justina

Liebe zum Käse - Alles aus der wunderbaren Käsewelt
Julius Meinl am Graben
Falstaff Verlag, 2023
168 Seiten
29,90 Euro


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Manfred Klimek
Autor
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