Giuseppe Verdi gehört bis heute zu den wichtigsten und beliebtesten Opernkomponisten der Welt. Auf seinem Gut in Norditalien war er auch als Feinschmecker und Landwirt höchst produktiv.

Giuseppe Verdi gehört bis heute zu den wichtigsten und beliebtesten Opernkomponisten der Welt. Auf seinem Gut in Norditalien war er auch als Feinschmecker und Landwirt höchst produktiv.
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Giuseppe Verdi: Zwischen Genuss und grosser Oper

Giuseppe Verdi litt Zeit seines Lebens darunter, berühmt zu sein. Schon mit 37 zog er sich auf sein Landgut Sant‘Agata zurück. Dort genoss der Komponist u. a. des «Falstaff» die Natur, bodenständiges Essen und seine Freiheit.

Mit der Premiere von «Nabucco» war für Giuseppe Verdi nichts mehr wie zuvor. Am 9. März 1842 wurde seine Oper an der Mailänder Scala uraufgeführt, und mit einem Schlag war Verdi in ganz Italien ein Star. Vor allem die Arie des Gefangenenchors «Va, pensiero, sull’ali dorate» («Steig, Gedanke, auf goldenen Flügeln») traf den Nerv der Italiener und wurde zur inoffiziellen Nationalhymne aller, die ein vereintes Italien herbeisehnten. Die Freiheit des Landes, das zu diesem Zeitpunkt unter der Herrschaft des österreichischen Kaiserhauses stand, schien auf einmal möglich – und der 28-jährige Komponist wurde zu ihrer Symbolfigur. In den Strassen, den Lokalen und zu Hause – überall sangen und pfiffen die Menschen die Melodie. In den Geschäften fanden sich schwarze Hüte, wie sie Verdi immer trug. Und in den Feinkostläden gab es «Verdi-Pasteten» und «Pasta alla Verdi» zu kaufen.

So sehr sich Verdi über seinen ersten grossen Erfolg gefreut haben mag, so kritisch beurteilte er ihn später: «Seit Nabucco habe ich keine ruhige Stunde mehr gehabt», klagte er. In den darauffolgenden Jahren schrieb er eine Oper nach der anderen, schuftete «wie ein Galeerensklave», getrieben von einem Gedanken: genügend Geld zu verdienen, um sich aufs Land zurückziehen zu können. Das tat er wenige Jahre später schliesslich auch. Und niemand begriff, warum der populärste Komponist Italiens ausgerechnet Busseto, ein unspektakuläres Dorf in der Po-Ebene, zu seinem Lebensmittelpunkt erkor. Dieser Landstrich zwischen Parma und Piacenza ist weder pittoresk noch idyllisch. Im Sommer ist es feucht und schwül, im Herbst hängt dichter Nebel über den abgeernteten Feldern. Und wenn es im Winter zu regnen beginnt, überschwemmt der Po die Ebene. Was also bewog Verdi, Metropolen wie Paris, Venedig oder Mailand für den Rest seines Lebens – von Reisen zu Proben und Aufführungen einmal abgesehen – den Rücken zu kehren? 

Mühsam, berühmt zu sein

Jene die wussten, dass Verdi aus Le Roncole, einem kleinen Örtchen bei Busseto, stammte, meinten, seine tiefe Verbundenheit zu seiner Heimat sei der Grund dafür. Das war aber nur die halbe Wahrheit. Dem Komponisten missfiel vor allem die Geschäftigkeit, die in den grossen Städten, allen voran in Paris, herrschte. Und so überrascht es auch nicht, dass der genervte Maestro im Jahr 1850 seinen Aufenthalt in Paris unterbrach, um in der Nähe seines Heimatorts das Landgut Sant’Agata zu erwerben. Dort konnte er sich endlich mit seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau, der bekannten Opern­sängerin Giuseppina Strepponi, erholen. «Es ist eine arge Plage, berühmt zu sein. Die armen kleinen grossen Männer, die es sind, bezahlen für ihre Popularität teuer», schrieb er an einen Freund. Verdi bevorzugte hingegen das einfache Leben: «Ich bin und werde immer ein Bauer von Roncole sein. Ich gehe in die Felder. Das ist gegenwärtig meine Beschäftigung. Das Wetter ist schön und ich laufe von morgens bis abends. Es ist ein sehr prosaisches Leben, aber man fühlt sich wohl.»

Auch die lokale Küche gefiel Verdi: Costoletta alla milanese, panierte Kalbskoteletts in Butter herausgebraten, gönnte er sich in seinem Lieblings-Albergo in Cremona, wenn er seine Geschäfte am Viehmarkt erledigt hatte. Auch Pasta liebte Verdi. Seinen Freund Cesarino De Sanctis beauftragte er, reichlich davon für die Weihnachtsfeiertage zu besorgen: «Wie üblich möchte ich bitten, mir zu schicken: neun Kilo assortierte lange Pasta und die dicksten Maccaroni. Zehn Kilo Pastine, Carmelline, Annellini usw. Ich bitte um höchste Qualität

Seine Köche mussten Genueser Ravioli und Cappelletti in brodo nach seinen Vorstellungen zubereiten können. Der Maestro galt als sehr anspruchsvoller, schwieriger Arbeitgeber, der mit seinem «mörderischen Koch» nie zufrieden war. Einen nach dem anderen setzte der Komponist auf die Strasse. Und eine Köchin kam ihm, zum Leidwesen seiner Frau, ohnehin nicht ins Haus.

Ob aus Not oder Leidenschaft – die Verdis standen oft selbst am Herd. Für Spalla cotta, gekochte Schweinsschulter, war Verdi Experte, kannte er dieses Gericht doch von Kindesbeinen an. Und nachdem der Feinschmecker stets genügend Vorräte zu Hause haben wollte, schätzte er dieses einfache Gericht besonders. Denn getrocknet und gesalzen hält sich die Spalla viele Wochen. Jedem Gast schenkte er bei dessen Abreise ein Stück davon.

So unfreundlich der Maestro oft auch wahrgenommen wurde, so gut war sein Ruf als Gastgeber. Der Librettist Giuseppe Giacosa etwa fühlte sich auf Sant’Agata ausgesprochen wohl: «Verdi ist kein Schwelger, aber ein Feinschmecker; seine Tafel ist gastfreundlich, freigiebig und verständig. Verdi fühlt sich wohl bei Tisch.» Besonders, wenn es Risotto alla milanese gab. Wie man es zu kochen habe, darüber diskutierte er mit seinem Komponistenfreund Serafino De Ferrari genauso ausführlich wie über Musik. Wobei – viel zu diskutieren gab es nicht, denn diese Speise glaubte Verdi ohnehin selbst am besten zubereiten zu können.

Chianti statt Lambrusco

Verdi verstand es, sich als einfacher, bescheidener Bauer darzustellen. Wenn es jedoch um kulinarischen Genuss ging, war er zu keinerlei Abstrichen bereit. Selbst dann nicht, wenn er ins Ausland reiste. Parmesan und Culatello di Zibello, der beste Schinken der Region, befanden sich immer im Gepäck. Als er 1861 nach St. Petersburg aufbrach, um die Uraufführung seiner Oper «Die Macht des Schicksals» vorzubereiten, nahm er 20 Flaschen Champagner und 120 Flaschen Bordeaux für den Eigenbedarf mit. Der Maestro wusste eben, was gut war – und was nicht. Zwar baute er auf Sant’Agata auch selbst Lambrusco an, doch diesen verkaufte er nicht, da er mit den feinen Tropfen aus der Toskana nicht mithalten konnte. Ohnehin griff er lieber zu Chianti oder Bordeaux als zur Marke Eigenbau

Endlich Dolce far niente

Besucher des Maestros, die dachten, auf Sant’Agata werde fortwährend musiziert und komponiert, wurden rasch eines Besseren belehrt. Verdi blieb zwar auch nach seinem Umzug aufs Land ungemein produktiv – allein zwischen 1850 und 1870 entstanden «Rigoletto», «Der Troubadour», «La Traviata», «Die Sizilianische Vesper», «Simon Boccanegra», «Un ballo in maschera», «Die Macht des Schicksals» und «Don Carlos». Doch nach der Uraufführung von «Aida» im Jahr 1871 verlor Verdi zunehmend die Freude am Komponieren und widmete sich immer mehr seiner Landwirtschaft. Es sollte 16 Jahre dauern, bis er mit «Otello» wieder eine Oper fertigstellte – doch noch war nicht Feierabend. Ausgerechnet der 1868 verstorbene Gioachino Rossini, Komponist u. a. des «Barbier von Sevilla» und Zeit seines Lebens ein Vorbild für Verdi, hatte dem um 21 Jahre Jüngeren kurz vor seinem Tod in einer Zeitschrift ausrichten lassen, dieser könne «niemals eine Opera buffa schreiben». Eine Kritik, die Verdi massiv kränkte. Diese Missbilligung galt es noch auszumerzen. Mit 80 Jahren, im Februar 1893, brachte er die komische Oper «Falstaff» auf die Bühne der Mailänder Scala. Die Burleske über einen trinkfreudigen und beleibten Frauenhelden wurde ein Riesenerfolg. Und Verdi konnte mit einem Lächeln von der Opernwelt Abschied nehmen.

1897 starb Verdis Ehefrau Giuseppina, er selbst vier Jahre danach. Die Speisekarte seines letzten Abendessens lautete: Julienne im Teigmantel; Gegrillte Forelle; Rinderlende; Stangenspargel; Junge Pute am Spieß gebraten; Himbeereis; Patisserie und Dessert. Der Maestro blieb bis zum Schluss ein wahrer Geniesser.


Giuseppe Verdi
1813 – 1901

Niemals werde er seine Lebensgeschichte niederschreiben, schwor Giuseppe Verdi – und tat es letztlich doch. Der Verleger Giulio Ricordi brachte den damals 66-Jährigen dazu, seine «autobiografischen Lebensskizzen» zu diktieren. Und Verdi hielt sich auch dabei an sein Motto: «Wenn man die Wirklichkeit nachbildet, kann etwas recht Gutes dabei herauskommen. Die Wirklichkeit zu erfinden, ist jedoch weit besser.» Nicht alles, was in diesen Skizzen zu lesen ist, hat sich auch wirklich zugetragen. Hier die wichtigsten Fakten: Am 9. Oktober 1813 wurde Verdi in Roncole in der Nähe von Busseto in Oberitalien geboren. Seine Eltern betrieben dort eine Gastwirtschaft. Der wohlhabende Kaufmann Antonio Barezzi wurde Verdis musikalischer Förderer – und auch sein Schwiegervater. Doch die Ehe mit Margherita Barezzi dauerte nur vier Jahre, denn sie starb mit erst 26 Jahren, nachdem zuvor bereits die beiden gemeinsamen Kinder gestorben waren. Das stürzte Verdi privat wie beruflich in eine Krise und er wollte das Komponieren schon aufgeben. Nachdem jedoch sein «Nabucco» 1842 zum Sensationserfolg geworden war, begannen seine «Galeerenjahre», und er komponierte eine Oper nach der anderen.  Verdi, dem der Trubel um seine Person auf die Nerven ging, zog sich mit seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau, der Opernsängerin Giuseppina Strepponi, schliesslich auf sein Landgut Sant’Agata zurück. Fortan war er Landwirt, blieb aber auch als Komponist höchst produktiv. Den Höhepunkt seiner Schaffensphase bildeten die Jahre 1851 bis 1853, in denen Verdi mit «Rigoletto», «Il Trovatore» und «La Traviata» drei Werke schuf, die bis heute zum fixen Repertoire jedes Opernhauses gehören. Nach der Uraufführung von «Aida» 1871 wollte er keine Opern mehr komponieren. Doch nach 16 Jahren Pause folgten noch seine grossartigen Alterswerke «Otello» und «Falstaff». Am 27. Januar 1901 starb der Komponist im Alter von 87 Jahren in Mailand.

Verdi und sein «Falstaff»

Glorreicher Schlussakkord eines einzigartigen Schaffens

«Es gibt nur einen Weg, besser als mit Otello zu enden: Und das ist, siegreich mit Falstaff aufzuhören», schrieb der Librettist Arrigo Boito an den betagten Giuseppe Verdi, um ihn davon zu überzeugen, eine Oper über den legendären Lebemann, Vielfrass und Schlawiner Sir John Falstaff zu komponieren. Und der Aufruf verfehlte nicht seine Wirkung: «Lieber Boito», antwortete der Maestro, «Amen, es sei! Machen wir den Falstaff!» Verdi sollte es nicht bereuen: Im Unterschied zu seiner ersten komischen Oper »Un Giorno Di Regno» wurde seine zweite und letzte – die  Uraufführung war 1893 – ein überwältigender Erfolg.

Die Handlung von «Falstaff» basiert auf William Shakespeares Stück «Die lustigen Weiber von Windsor» (wobei Librettist Boito auch Szenen aus «Heinrich IV.» miteinbezog) und es geht um den heruntergekommenen Ritter Sir John Falstaff, der sich an zwei verheiratete Frauen heranmacht in der Hoffnung, diese würden ihm finanziell unter die Arme greifen. Doch die Damen durchschauen seine unlauteren Absichten und führen ihn an der Nase herum. Das Fazit des Werks – «Tutto nel mondo è burla» oder «Alles auf Erden ist Narretei» – offenbarte Verdi mit einer Schlussfuge, die in die Musikgeschichte einging. 

Nach Verdis Tod studierte der Dirigent und damalige Musikdirektor der Scala, Arturo Toscanini, die originale Falstaff-Partitur und fand darin eine handschriftliche Notiz des Komponisten: «Die letzten Noten des Falstaff. Alles ist zu Ende! Geh, geh, alter John. Lauf dahin auf deinem Weg, solange du kannst …Lustiges Original eines Schurken; ewig wahr, hinter jeglicher Maske, zu jeder Zeit, an jedem Ort!! Geh … Geh … Lauf Lauf … Addio!!!»


Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2021

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Judith Hecht
Autor
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