Surf and Turf, ein Klassiker der kalifornischen Küche.

Surf and Turf, ein Klassiker der kalifornischen Küche.
Foto beigestellt

Kalifornische Küche: Perfekte Welle

Die kalifornische Küche vermittelt ein Lebensgefühl von Frische, Sonnenschein, Hippie-Feeling – und bringt mit offenem Geist Speisekombinationen auf den Teller.

Gedanken an Kalifornien. Wer denkt da nicht an die Golden Gate Bridge, Hollywood, Blumenkinder, lange Strände und die tiefen Täler der Sierra Nevada? Im Hintergrund erklingen die einschlägigen Songs von Scott McKenzie oder von The Mamas and the Papas. Gut, je nach Generation könnten es auch die Beach Boys, 2Pac, die Ramones oder Guns n’ Roses mit «Paradise City» sein. Kulinarisch interessierte Menschen träumen bei Kalifornien womöglich noch von den bemerkenswerten Weinen aus Sonoma oder dem Napa Valley, den vorzüglichen Erzeugnisse einiger Pioniere der Craft-Beer-Bewegung oder den sage und schreibe 55 Restaurants in der Bay Area von San Francisco und Umgebung, die der Guide Michelin mit einem Stern auszeichnete. Sieben davon erhielten aktuell gleich drei der begehrten Himmelskörper. Allen voran Thomas Keller in seiner französisch inspirierten «French Laundry», in der während eines Menüs keine Zutat doppelt vorkommt. 

Viele sagen: Man muss sich entscheiden – entweder bist du ein Los-Angeles-Mensch oder du bist ein San-Francisco-Mensch. Beides zusammen geht nicht. Entweder die «Paradise City, where the grass is green and the girls are pretty», wie Guns n’ Roses über L.A. singen, oder gemäss Tony Bennett: «I left my heart in San Francisco.»
Alice Waters entschied sich 1971 für die Bay Area bei San Francisco und gründete ihr Restaurant «Chez Panisse» in der Universitätsstadt Berkeley. Waters gilt als die Wegbereiterin des Küchenstils, der heute als «California Cuisine» bekannt ist und der die Speise- und Restaurantkultur weit über die amerikanische Westküste hinaus veränderte. Berkeley mit seinem grossen Campus-Gelände liegt zwischen Oakland und Richmond an der Ostküste der Bucht von San Francisco. Hier studierte Alice Waters zur Hochzeit der Studentenbewegung Französische Kulturwissenschaften, und ihre damit verbundenen Frankreich-Aufenthalte prägten die Studentin kulinarisch intensiv. Bodenständige Kochtraditionen, marktfrische Produktqualitäten und saisonale Einflüsse beeindruckten die ursprünglich aus New Jersey stammende junge Frau, die beschloss, die Kulinarik zu ihrem Lebensinhalt werden zu lassen. 

Wolfgang Pucks Lachs-Pizza mit Kaviar machte Geschichte.
Foto beigestellt
Wolfgang Pucks Lachs-Pizza mit Kaviar machte Geschichte.

A way of life – eine Lebensart

Was heute so selbstverständlich erscheint, war damals für viele Amerikaner eine gänzlich neue Erfahrung. Frische und gesunde Produkte, die möglichst aus der Region stammen, die so reich an Gemüse und Meeresfrüchten ist. Bewusste Ernährung durch nachhaltige Produkte und kurze Transportwege. Andere Zubereitungsarten und Garstufen stammen zudem aus der Erkenntnis, dass eine Karotte aus Kalifornien nun einmal anders schmeckt als eine aus Südfrankreich und dies eben auch bei der Zubereitung und Speisenkombination beachtet werden solle. 

Dazu gesellt sich jenes kalifornische «Laid- Back» und ein offener Geist, der internationale Einflüsse und Kochtechniken mit einbezieht – ob aus Mexiko, Korea oder eben Frankreich. Berühmte Gerichte, die kalifornische Abwandlungen internationaler Spezialitäten darstellen, sind beispielsweise die California Sushi Roll oder die berühmte Räucherlachs-Pizza von Wolfgang Puck. In seinen beliebten «Spago»-Restaurants, beispielsweise in Beverly Hills, serviert der aus Österreich stammende Koch-Star seine California-Menüs, zu denen diese legendäre Pizza mit Lachs, Dill-Crème fraîche und Schnittlauch zählt.

«The Slanted Door» Eigentümer Charles Phans.
Foto beigestellt
«The Slanted Door» Eigentümer Charles Phans.

Intensive asiatische Einflüsse prägen die pazifische Küste der USA und gesellen sich fusion-mässig und cross-overig zur heimatbezogenen kalifornischen Küche. Ein herrliches Beispiel bietet das Restaurant «The Slanted Door» im Ferry Building, dem alten Fährhaus im Hafen von San Francisco. Hinter der schiefen Tür werden frische lokale Zutaten mit vietnamesischem Einfluss komponiert. Charles Phans entspanntes Restaurant mit 175 Plätzen und grandiosem Blick über die Bucht und den Hafen bietet grandiose Cocktails, originelle Snacks und aufregende Menüs, beispielsweise mit Rindercarpaccio, Limettensaft, Erdnüssen, Rau-Ram-Koriander und Sesamcrackern. Oder karamellisierte Wildfang-Garnelen aus der Bucht mit Knoblauch, gelben Zwiebeln und Karamell-Chili-Sauce. 

Der spektakulärste Vertreter der kalifornischen Küche ist derzeit David Kinch in sei-nem Restaurant «Manresa» in Los Gatos, nicht weit vom Silicon Valley südlich der San Francisco Bay. Das Restaurant mit drei Michelin-Sternen vermählt konsequent die kalifornische Regionalität mit dem Farm-to-table-Konzept mit Schwerpunkt auf Früchten und Gemüse. Die nahe gelegenen «Love Apple Farms» bauen beinahe sämtliche Zutaten für das Restaurant an, und Kinch verarbeitet nicht nur die Produkte der Saison, sondern die des Tages. Er differenziert die kalifornische Küche noch konkreter und spricht davon, in seinem Restaurant die «Erfahrung der Nordkalifornischen Küche» zu vermitteln. Dafür stehen Zutaten wie Artischocken, Kno­b­lauch, Abalonen, Kohlenfisch, kalifornischer Taschenkrebs oder pazifischer Lachs. Sein ­Signature Dish, das sich immer auf der Karte befindet, heisst «Into the Vegetable Garden» und beinhaltet eine kunterbunte Mischung aus 40 bis 60 Zutaten aus den «Love Apple Farms». Mit seinem 336 Seiten starken Buch «Manresa» verfasste Kinch ein eindrucksvolles und richtungsweisendes Werk über seine neokalifornische Küche.
Nicht alle wertschätzen die kalifornische Küche. Im (überaus kulinarisch-sarkastisch unterwanderten) Thriller «American Psycho» macht sich Autor Bret Easton Ellis über eine «post-California cuisine» lustig und lässt seinen fiesen Hauptdarsteller ständig Anchovis konsumieren und einen «geschwärzten medium-rare Rotbarsch» bestellen.

Kontinentales Kalifornien

Im deutschsprachigen Raum zeigt sich die California Cuisine eher selten. In München hatte die Familie Kuffler 2013, unterstützt von Eckart Witzigmann, das ehrgeizige Projekt «Kuffler California Kitchen» eröffnet. 400 Plätze im historischen Palais an der Oper auf 1400 Quadratmetern sollten die Schickeria der Isar-Metropole beglücken. 
Stephan Kuffler erklärte sein kalifornisches Konzept zum «gastronomischen Statement für das junge Jahrtausend». Aber die Vision setzte sich nicht durch und wurde durch ein Steak-Konzept ersetzt. Und in Schwabing schloss jüngst das Restaurant «So.Cal» seine Pforten. «Wahrscheinlich muss California Cuisine auch in Kalifornien stattfinden», hinterfragten zahlreiche Gastro-Fachleute die holprige Entwicklung der fröhlichen Küchenphilosophie hierzulande. Die «Süddeutsche Zeitung» titelte gar: «Kalifornien ist out!»
Dass Kalifornien aber auch funktionieren kann, beweist Berlin. Möglicherweise liegt es an der jüngst zelebrierten 50-jährigen Städtepartnerschaft der deutschen Hauptstadt mit Los Angeles, dass ausgerechnet hier die Kulinarik des «Golden State» so vielfältig zur Geltung kommt. Das «Andel’s Hotel» in Lichtenberg ist den Hauptstadtgourmets durch die Sterneküche von Alexander Koppe in der «Skykitchen» im 14. Stock ein Begriff. Neu gesellt sich im Erdgeschoss das «Mavericks» hinzu.
Hier verantwortet Manuel Björn Winter die Küchenphilosophie: «Die Speisen und das Restaurant-Konzept sind ganz klar kalifornisch. Das heisst, dass wir eine sehr gesunde und frische Küche ohne viel Kohlenhydrate und tierische Fette anbieten. Der Service ist locker, cool und doch professionell. Es ist spannend, Einflüsse aus Asien, Mexiko, Europa und den USA in neuen Gerichten zu verschmelzen und die Gäste mit auf diese Reise zu nehmen, die dann am grossen Gemeinschaftstisch die Teller und Schalen teilen.» Das Design ist entspannt und stylisch mit Graffiti und Surfboard, dazu viel Holz, Leder und Metall. Hausgemachte Limonaden und kalifornische Weine begleiten Tuna Ta-taki, Reuben Sandwich, California Caesar und Surf and Turf. Aber auch Craft Beer: von Strassenbräu, einer kleinen Hausbrauerei aus der Nachbarschaft, und Anchor Steam Beer aus San Francisco.

In Berlin investierte «Stone Brewing» 25 Millionen Dollar in eine neue Brauerei.
© Stefan Haehnel
In Berlin investierte «Stone Brewing» 25 Millionen Dollar in eine neue Brauerei.

California Brewin’

Die Weine aus Kalifornien konnten die letzten Jahre hinweg beständig die Experten überzeugen. Craft Beer amerikanischer Prägung erlebt ebenfalls einen Boom, den immer mehr Gastronomen begeistert umsetzen. Neben Michigan zählt insbesondere Kalifornien zu den wegweisenden Bier-Bundesstaaten der USA. In Berlin investierte «Stone Brewing» aus San Diego 25 Millionen Dollar in eine Brauerei samt ambitionierter Gastronomie und riesigem Gartenbereich. Es müssen über 60 Zapfhähne sein, aus denen die Stone-Kult-Biere wie Arrogant Bastard, Ruination IPA oder Cali-Belgique fliessen.
Die kalifornische Herkunft setzt Küchenchef Robert Hilges gekonnt in Szene. Nach Stationen im «Adlon», «The Ritz-Carlton» und «Hofbräu Berlin» inszeniert er nun die Küchenimpulse Kaliforniens im Zusammenspiel mit den vielfältigen Brauspezialitäten. «In einem Teil der Gerichte schmeckt und fühlt man das kalifornische Lebensgefühl. Beispielsweise die Frische der Produkte in unseren Tacos sowie die würzige Note, die speziell durch die mexikanischen Einflüsse nicht fehlen darf. Eines der Hauptmerkmale der kalifornischen Küche ist ja eben die Frische und Aromatik. Da wir hier alles selbst herstellen – das Brot, jede Sauce, Salsa oder Dip, die Eissorten und die Pasta –, bringen wir jeden Tag eine unvergleichliche Frische in die Gerichte. Und die aromatische Vielfalt im Bier ermöglicht völlig andere Geschmacksmomente, als wir sie vom Wein schon kennen», schwärmt Hilges. Probierhappen seiner Schweinerippchen mit koreanischer BBQ-Marinade, gebratenen grünen Bohnen mit Chorizo und Succotash Kartoffel-Gratin belegen dies trefflich. Genau wie sein San Diego Style Tempeh Chili aus Tempeh, Kidneybohnen und Cheddar, in Chilifond gegart.
Die Arbeit mit einer kalifornischen Brauerei ermöglicht ihm, Brauhausküche völlig neu zu definieren:«Statt dem ‹normalen› Standard können wir hier in unseren Gerichten die Sonne Kaliforniens scheinen lassen. Wir haben die Möglichkeit, mit unseren Gerichten die Gäste aus dem Alltag zu holen und ihnen einen kleinen Kurzurlaub in Kalifornien zu bescheren. Das ist schon ’ne coole Sache bei so viel Regen wie im letzten Jahr.»
Kalifornische Küche ist mehr als eine traditionelle Kochart. Sie ist ein Lebensgefühl mit einem Hauch von Hippietum, Surfwelt und Sonnenschein im Herzen. Oder wie die Ramones singen: «We’re out there having fun, yeah, in the warm California sun.»
Kalifornische Küche geniessen: Tipps und Adressen finden Sie unter «MEHR ENTDECKEN»!

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2018

Zum Magazin

Peter Eichhorn
Peter Eichhorn
Autor
Mehr entdecken
Restaurant
The French Laundry
Das neungängige Dinner von Thomas Keller ist legendär. Unbedingt frühzeitig reservieren, es ist...
6640 Washington Street, 94599 Yountville
Mehr zum Thema