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Zu Besuch: Alexander Herrmanns »Aura«

Alexander Herrmann’s Sterne Restaurant in Wirsberg hat einen neuen Namen. Es ist nicht mehr nach ihm benannt, sondern heißt jetzt »Aura«. Ein Besuch bei einem, der allgegenwärtig ist und doch nicht im Mittelpunkt stehen will.

Mit 180 kmh brettert Alexander Herrmann in seiner Mercedes AMG G-Klasse über die Autobahn. Schilder fliegen vorbei, darauf erahnt man noch die Städtenamen Nürnberg, Bayreuth, Bamberg. Über das Dröhnen des Motors sagt er Sätze wie: »Political Correctness nimmt dem Leben die Leichtigkeit und den Charme. Bei Political Correctness verlieren alle.« Dazu hat er gerade ein Kochbuch veröffentlicht, das »Heldenküche« heißt und ganz unkritisch anhand von Lieblingsgerichten verschiedener Beamter die Arbeit der Polizei feiert.

Es fiele leicht, den Spitzenkoch dafür abzustempeln, als reaktionär oder alten weißen Mann. Oder man lässt sich stattdessen auf ihn ein. Denn dem 52-Jährigen gelingt etwas, woran viele andere scheitern. Und das hat nur zweitrangig mit Kochen zu tun.

Im fränkischen Wirsberg führt Alexander Herrmann seit 1996 das »Posthotel«, das seine Familie schon seit 150 Jahren betreibt. Als er es damals übernahm, lief das Restaurant erstmal unter seinem Namen: »Posthotel Alexander Herrmann«. Das habe er so entschieden, weil Menschen, die ihn aus dem Fernsehen kannten, ihn so leichter im Internet finden konnten, sagt er. »Nicht aus Narzissmus.« 2016 benannte er sein Restaurant um: »Alexander Herrmann by Tobias Bätz«. Seit 2009 war Bätz zunächst Küchenchef, später Executive Chef und immer, wenn der Chef nicht im Laden war, was sich durch die vielen Fernsehauftritte häufte, hatte er das Sagen. Das wollte Herrmann honorieren. Und jetzt geht er noch einen Schritt weiter: Seit diesem Mai heißt das Restaurant »Aura by Alexander Herrmann und Tobias Bätz«. Bätz wollte nach einer Station auf Mallorca eigentlich nach New York umsiedeln. Nach einem Gespräch mit Alexander Herrmann habe er sich umentschieden – vor allem, weil die beiden sich einig darüber waren, dass eine Brigade nicht um eine Person herum gebaut werden kann.

Es ist ein heißer Sommertag im Frankenland. Herrmann parkt seinen Wagen. Er trägt ein weißes Leinenhemd, eine Jeans und sein typisches Dauerlachen im Gesicht. Hinter einem Hoftor wartet schon Sebastian Niedermaier – und mit ihm seine Gärtnerei, die er schon in 17. Generation hier, mitten in der historischen Innenstadt von Bamberg führt. Seine Tomaten, sein Ingwer und sein Süßholz landen seit einiger Zeit auch auf den Tischen im »Aura«. »Hast du gesehen, wie die Artischocken wachsen?«, sagt er. »Das muss ich dem Joschi zeigen!« Jörg Osswald ist Foodscout, für das »Aura« fährt er durch Franken und sucht nach Nahrungsmitteln. Zusammen mit Landwirten, Gärtnern und Privatpersonen, die zufällig seltene Tomatensorten im Garten haben, arbeitet er daran, die Produkte so zu verbessern, dass sie auf den Tellern im Zwei Sterne-Restaurant landen.

In der Regel geht das in zwei Schritten: Erst arbeitet Osswald daran, die Arbeit mit den Produzenten zu optimieren, dann kommen die Produkte ins »Anima«. So heißt das Food-Lab, das während des Lockdowns entstanden ist, in dem die Köche vom »Aura« mit Lebensmitteln experimentieren, sie einlegen, fermentieren, räuchern, pökeln oder was auch immer ihnen sonst noch einfällt. Erst dann kommen sie in die Küche, wo sie nochmal weiterverarbeitet werden. »Aber fertig ist es sowieso nie«, sagt Osswald. Mit jedem Erfolg kämen neue Ideen.

Während Osswald sich mit Niedermaier über die Artischocken beugt, spricht Alexander Herrmann ununterbrochen Nachrichten in sein Handy. Dann schaut er auf die Uhr. »Habt ihr’s langsam«, fragt er. »Es wäre langsam Zeit für ein Rauchbier, gell, he–he.«

Es ist gar nicht so leicht, den Menschen Alexander Herrmann hinter seiner öffentlichen Persona zu erhaschen – auch weil man das Gefühl hat, ihn bereits zu kennen. Da ist schon so viel, das einem durch seine Auftritte vertraut ist. Seine ruhige Art, sein Humor, den er mit seinem – »He-he« – Lachen kennzeichnet, seinen Hang zu Kalendersprüchen wie »Ich arbeite nicht im Betrieb, ich arbeite am Betrieb« oder »Ich bewerte mein Team nicht an den Fehlern, die sie machen«. Beide Sprüche sagt er im Lauf des Tages mehrfach, beide kann man auch in seinem aktuellen Magazin »Hinter den Kulissen meiner Welt« nachlesen. Es ist nicht klar zu sagen, ob er seine öffentliche Rolle so gut spielt, dass er dafür sogar ein Skript auswendig gelernt hat oder ob es schlicht keinen Unterschied zwischen dem Menschen und der öffentlichen Person gibt.

Diese Arbeit ist ein Kontrollverlust.

Im »Anima« steht ein großer Tisch, an den Wänden des ehemaligen Wirtshauses reihen sich Fleischreifeschränke, die gefüllt sind mit Käse und – klar – Fleisch. In einem hängen aber auch Karotten und Rote Bete, die Osswald gepökelt und geräuchert hat. In Fläschchen auf dem Tisch warten vorläufige Ergebnisse darauf, probiert zu werden: Lerchenöl, das ein fruchtiges Olivenaroma hat, allerdings ohne deren Bitterkeit, ein geräuchertes Linsenmiso, das fast wie Speck schmeckt oder sauer eingelegte, fränkische Papaya, die man blindverkostet auch für eine süße Gewürzgurke halten könnte.  »»Anima« heißt Seele – und hier in der Lab liegt die Seele unserer Küche.«

Hier entstehen die Sternemenüs des »Aura«. Auf den Tisch kommen alle Zutaten aus den Schränken, die ausgereift sind. Dann überlegen Herrmann, Bätz, Osswald und »Aura«-Küchenchef Philipp Weichlein, wie sie daraus ein Menü schustern – alles noch auf dem Papier. In der Küche geht es ohne Herrmann weiter: Da experimentiert die Brigade mit den Ideen und setzt sie in Gerichte um. Wenn die stehen, kommt der Chef zum Verkosten, mal passt es auf Anhieb, oft muss nachjustiert werden.

»Diese Arbeitsweise ist ein Kontrollverlust«, sagt Herrmann. Er müsse sich darauf verlassen, dass sein Team auch ohne ihn funktioniere, dass sie seine Vision trage und umsetze. Anders sei es mit seinen vielen Verpflichtungen auch gar nicht möglich. »Aber das ist so, wie wenn ein Kind zum ersten Mal allein in die Schule geht«, sagt er. Das sei schwierig für die Eltern, die würden sich Sorgen machen, vielleicht auch Zweifeln, ob das Kind schon so weit sei. Aber genauso notwendig sei es für das Kind.

Und genau das wird spürbar, wenn man Alexander Herrmann mit seinem Team beobachtet: Er vertraut ihnen, gibt Verantwortung ab, muss nicht im Vordergrund stehen. Das ist selten. Gerade für einen Menschen, der so viel geschafft hat. Man denke nur an den Klassiker der Psychoanalyse, den Ödipus-Komplex, der auf der gleichnamigen Sage aufbaut. Sie erzählt die Geschichte von Ödipus, der seinen Vater, Laios, erschlägt, weil der ihm nicht den Weg frei macht. Man denke an die Erfolgsserie »Succession«, die davon handelt, dass der Vater es nicht schafft, seinen Kindern seine Firma zu übertragen. Bei Alexander Herrmann scheint das spielerisch zu funktionieren. Woran liegt das?

»Ich lasse es einfach zu«, sagt er. Vielleicht sei das eine Typfrage. Und dann sagt er etwas sehr Alexander Herrmannhaftes: »Für mich ist jeder Erfolg schöner, wenn ich ihn mit meinem Team feier und jede Niederlage ist leichter zu tragen.« Damit möchte man sich doch glatt eine Wand tätowieren.

Das »Aura« ist in dezenten Farben eingerichtet. Über den Tischen schweben Lampen, die das in Szene setzen, was im Zentrum steht: das Essen. Auffällig ist, wie locker der Service ist. Natürlich stimmt man sich auch hier ab, nickt einander zu, um gleichzeitig die Teller auf den Tisch zu stellen. Aber das passiert so nebenbei. Unaufgesetzt. Früher sei die gehobene Gastronomie nur einen Schritt von betreutem Wohnen entfernt gewesen, sagt Alexander Herrmann. Damit bricht er deutlich. Er setzt sich mit an den Tisch und erzählt davon, dass er es am liebsten undogmatisch habe. »Wir haben auch einige vegetarische Gerichte auf der Karte, ist doch klar«, sagt er. »Aber nicht, weil wir dachten, wir brauchen was ohne Fleisch, sondern weil die Gänge auch ohne Fleisch funktionieren.«

Im »Aura« – der Gedanke drängt sich auf, während man Kaviar mit Eigelb oder Artischocke in Lerchenöl mit bayrischer Garnele isst und dazu einen fränkischen Sekt aus dem Jahr 1994 trinkt – im »Aura« ist dieser Herrmansch’sche Pragmatismus zum Restaurant geworden. Einen Ort, an dem er seinen Mitarbeitern die Chance gibt, sich zu entfalten, eigenen Interessen nachzugehen, im »Anima« zu experimentieren. Aber auch ein Ort an dem er sich gegen das Diktat der Gegenwart stellt, alles immerzu zu einer Frage des Gewissens zu machen. Aber – dafür sorgt Herrmann mit seinen ausgewählten Produzenten, seiner Arbeit mit ihnen – Genuss und Gewissen sitzen hier gewissermaßen am gleichen Tisch. Dann nimmt man noch einen Schluck und überlegt auch selbst, die Political Correctness kurz zu vergessen, um zu sagen: Leck mich am Arsch, Alexander Herrmann, das schmeckt gut.


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