Gäste, die keinen Alkohol trinken, dürfen in einem guten Restaurant durchaus Alternativen erwarten – kunstvolle Saftkreationen zum Beispiel.

Gäste, die keinen Alkohol trinken, dürfen in einem guten Restaurant durchaus Alternativen erwarten – kunstvolle Saftkreationen zum Beispiel.
© Stefan Gergely

Voll im Saft: Wie alkoholfreie Speisenbegleiter die Gastro revolutionieren

Alkoholfreie Speisenbegleiter haben sich als Äquivalent zu qualitätsvollen Weinen längst etabliert, da sie diesen an Komplexität in nichts nachstehen. Einige Säfte haben es Gourmets besonders angetan – zu Recht?

Es ist noch gar nicht lange her, da sorgte die Frage nach einer alkoholfreien ­Menübegleitung bei Sommeliers lediglich für Unverständnis. Dass sich das geradezu fundamental gewandelt hat, ist auch das Werk von Peter van Nahmen, Saftproduzent in vierter Generation. 

In seiner Obstkelterei im ­niederrheinischen Hamminkeln, etwa eine Autostunde entfernt von Düsseldorf, lässt der 53-Jährige exotische Früchte wie die piemontesische Wildpflaume verarbeiten, eine vom Aus­sterben bedrohte Sorte, die ausschließlich in der italienischen Alpenregion zwischen 400 und 600 Metern Höhe gedeiht. Dieser Saft sei so edel, dass sogar der deutsche Bundespräsident ihn ausschenken lasse, wenn er Staatsgäste empfängt, wird gemunkelt. Der frisch gekrönte König Charles von England etwa habe ein Glas vorgesetzt ­bekommen, als er im März zum Staatsbankett auf Schloss Bellevue antrat, erzählt Obst­kelterer van Nahmen stolz.

Im neuen Luxushotel »Amauris« an der Wiener Ringstraße gibt es zu jedem Menü auch eine große Auswahl alkoholfreier Getränke.
© The Amauris Vienna
Im neuen Luxushotel »Amauris« an der Wiener Ringstraße gibt es zu jedem Menü auch eine große Auswahl alkoholfreier Getränke.

Sternstunde Für den Saft

Vorüber ist die Zeit, in der Wein als einzig wahre Begleitung zu edlen Speisen gesetzt war. Von Konventionen befreit, experimentieren Sommeliers heute weltweit mit alkoholfreien Getränken wie Tees, aromatisiertem Wasser, Malzdrinks, Kombucha und natürlich Obst- und Gemüsesäften.

Wobei Saft nicht gleich Saft ist. Die EU unterscheidet in ihrer Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeverordnung vier verschiedene Arten. Am hochwertigsten ist Direktsaft, den man, wie sein Name schon sagt, direkt aus Früchten presst. Als hundertprozentiger Saft darf aber auch solcher bezeichnet werden, der aus Konzentrat besteht. Dieses wird ins jeweilige Verbraucherland verschickt, wo es mit Wasser wieder trinkbar gemacht wird. Das Obst dafür kommt oft aus China. Nektar enthält je nach Sorte 25 bis 50 Prozent Frucht und ein sogenanntes Fruchtsaftgetränk überhaupt nur sechs Prozent Fruchtanteil.

Saftproduzent van Nahmen hat dieser Klassifikation eine weitere Kategorie hinzugefügt, die Königsklasse, wenn man so will: sortenreine Säfte. Wenn auf einer Flasche »Wilde Pflaume aus dem Piemont« steht oder »Dornfelder Traube«, dann besteht der Saft auch zu 100 Prozent daraus – anders als bei Supermarktprodukten, für die zur Kostenersparnis meist Früchte unterschiedlicher Provenienz gemischt werden.

Topgastronomie als Kunde

In zahlreichen Spitzenrestaurants, wie etwa dem »Alchemist« in Kopenhagen, Kevin Fehlings »The Table« oder bei Tim Raue, sind van Nahmens sortenreine Erzeugnisse bereits als alkoholfreies Pendant zu qualitätsvollen Weinen im Sortiment. Und er ist mit seinem Angebot längst nicht mehr allein: Auf der Schwäbischen Alb produziert Jörg Geiger alkoholfreie Proseccos und Süßweine aus Streuobst, in Südtirol, auf knapp 1.000 Metern Höhe, presst Thomas Kohl alte, besonders aromatische Apfelsorten zu edlen Säften. Einige der außergewöhnlichsten Abfüllungen kommen vom Obsthof Retter im steirischen Pöllau, wo Kelterer Werner Retter sogenannte Wild-Direktsäfte herstellt, die er – wie bei Weinen üblich – einem mehrjährigen Reifungsprozess unterzieht. »Wildfrüchte und Beeren haben wesentlich mehr Antioxidantien, mehr Säure und weniger Fruchtzucker als Plantagen- und Kulturobst«, erklärt Retter. Das mache sie überhaupt erst lager­bar. Diese Säfte werden in schicke, an feinen Wein erinnernde Flaschen gefüllt und mit einem Jahrgang versehen.

Wer die Säfte des Österreichers degustiert, erlebt eine neue Dimension von Trink­genuss, stößt dabei allerdings auch in eine neue Preisdimension für Saft vor. Die gerade erschienene »2015er ­Wild-Preiselbeere«, in der Retter sein Meisterwerk sieht, schlägt mit satten 133 Euro pro Flasche zu Buche. Noch interessieren sich vor allem Spitzengastronomie und Luxushotellerie dafür. Doch auch die Nachfrage von Privaten steigt. Bei van Nahmen etwa mache das Premiumsegment bereist 60 Prozent der Produktion aus, wie der Chef berichtet.

Revolution im Glas

Saft einfach fertig zu beziehen, wäre für Sebastian Frank allerdings zu simpel. Der in Mödling bei Wien geborene Zwei-Sterne-Koch ist so was wie Österreichs Kulinarik-Botschafter in Berlin. Seit 2010 entwickelt er in seinem Restaurant »Horváth« die Gerichte seiner Heimat zu handwerklich höchst anspruchsvoller Avantgardeküche weiter.

Warum sollte ich auf ein Fertigprodukt zurückgreifen, wo selbst gemischte Säfte ungezählte Möglichkeiten bieten, ein Gericht auf ganz neue Art und Weise zu begleiten, und zwar unabhängig von der relativ fest vorgegebenen Charakteristik eines Weins.

... so Frank. »Einem Gericht mit gedämpftem Gemüse kann ich durch den begleitenden Saft zum Beispiel fehlendes Röstaroma hinzufügen.« Die Idee, ein mit seinen Gerichten korrespondierendes nicht alkoholisches Getränk, gleichwertig mit einem Glas Wein, zu kreieren, kam ihm während der Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin. Sein damaliger Souschef habe ihm dann von einem Besuch im Restaurant »Kadeau« auf der dänischen Insel Bornholm berichtet, wo dieser eine alkoholfreie Begleitung serviert bekommen hatte, bestehend aus verschieden ­aromatisiertem Apfelsaft.

Diese Idee einer Basisflüssigkeit fand Sternekoch Frank gut und modifizierte sie. Sein Grundsaft besteht zur einen Hälfte aus zwei Sorten Äpfeln – einer süßen und einer säuerlichen – und zur anderen aus Karotten, Stangensellerie und Petersilienwurzel, die er alle zusammen entsaftet. Damit das Ergebnis nicht zu sättigend ist, unterzieht er dieses Gemisch einer Heißfiltration, die alle Feststoffe von der Flüssigkeit trennt, sodass diese einfach abgesiebt werden ­können. Das Ergebnis motzt er beispielsweise mit Zutaten wie Molke, Leindotteröl, Kren oder Honig auf oder versieht in anderen Varianten die Glasränder wie bei einer Margarita mit eigens hergestellten Gewürzmischungen. Diese Kreationen seien eigentlich viel zu komplex, um sie nur als Säfte zu bezeichnen, sagt ­Wahlberliner ­Sebastian Frank, es handle sich dabei viel eher um kleine, flüssige »Satellitengerichte«.

REZEPT: GEMÜSESAFT MIT LEINDOTTERMOLKE

Auch das »Nobelhart & Schmutzig«, ebenfalls in Berlin und aktuell auf Platz 45 der »The World’s 50 Best«-Liste, nimmt den Trend des sogenannten »Juice Pairings« sehr ernst. Dort entscheiden sich inzwischen gut zehn Prozent der Gäste für die nicht alkoholische Begleitung. Das sei ein wachsender Wirtschaftsfaktor, der nicht zu vernachlässigen ist, erklärt Souschef ­Florian Hartinger. Denn bekanntermaßen wird in der Gastronomie vor allen Dingen mit ­Getränken Geld verdient. 80 Euro kostet im »Nobelhart & Schmutzig« die alkoholfreie Speisenbegleitung, die bei jedem Menüwechsel aufs Neue zusammengestellt wird, aus einem Rezepte-Pool, der inzwischen etwa 30 alkoholfreie Saftmischungen umfasst und weiterwächst. Einen Teil der Säfte macht man in dem Luxus­restaurant dabei selbst, andere werden von lokalen Keltereien bezogen und weiterverarbeitet. Der Quittensaft von Stefan Vetter etwa werde mit Heu versetzt, dann zu einem Kaltauszug angesetzt und abschließend passiert. »Längst ein Klassiker«, so Souschef Hartinger. 

REZEPT: KAROTTEN-KAMILLE-SAFT

Maximilian Wölle, Chef-Barkeeper im neu eröffneten Luxushotel »The ­Amauris« am Wiener Ring, sieht den Trend nüchterner, obwohl auch das hoteleigene Restaurant »Glasswing« ein gutes Beispiel für eine exzellente Begleitung mit Getränken ohne Alkohol abgibt. Er respektiere, wenn jemand keinen Alkohol trinken will. Doch statt diesen Gästen nur Säfte zu kredenzen, wird dort zum siebengängigen Menü von Küchenchef Alexandru Simon ein Wechsel aus Säften, fermentieren Getränken und alkoholfreien Cocktails, sogenannten ­Mocktails, angeboten, wie der »Piment ­Colada« aus Kokoswasser, geklärtem Ananas­saft, »Lyre’s Spiced Cane Spirit«, ­Piment d’Espelette und Ginseng. »Sieben Gänge nur mit Saft ist nichts für die meisten Gäste«, so Barkeeper Wölle. »Auch wenn es verschiedene Geschmäcker sind, irgendwann macht der Gaumen zu.« Die neu gewonnene Freiheit, wild zu kombinieren, sei die eigentliche Errungenschaft: Wein mit Cocktails, Tees mit Säften, fermentierte Getränke mit Bier und so weiter. Die Gäste seien dafür offener denn je, sagt Wölle. Zumal dann, wenn sie spüren, dass sich jemand wirklich Gedanken gemacht hat.

REZEPT: PIMENT COLADA

Tipps & Adressen

Obstkelterei van Nahmen
1917 als Apfel- und Rübenkrautfabrik gegründet, startete 1930 die Produktion von Obstsäften. Seit 2005 führt Peter van Nahmen, Urenkel des Gründers, die Geschäfte am Niederrhein. Mit sortenreinen Obstsäften, Frucht-Seccos und trendigen Sparkling Juicy Teas hat er erfolgreich eine neue Nische besetzt.

Diersfordter Straße 27, 46499 Hamminkeln
T: +49 2852 96099-0, vannahmen.de

Obsthof Retter
Auf dem Obsthof Retter im steirischen Pöllau werden in einem speziellen Manufakturverfahren aus Wildfrüchten aus den weltweit besten Urwaldlagen Bionatursäfte und alkoholfreie Jahrgangsabfüllungen produziert, die bis zur optimalen Trinkreife hinter den dicken Mauern des Pöllauer Schlosskellers reifen.

Winzendorf 142, 8225 Pöllau
T: +43 3335 4131-0, obsthof-retter.com

Manufaktur Jörg Geiger
Jörg Geigers Herz schlägt für alte Apfel- und Birnensorten von der Schwäbischen Alb. In seiner Manufaktur verarbeitet er seit 30 Jahren Streuobst zu einmaligen Destillaten, Schaumweinen und alkoholfreien Sekten, »PriSecco« genannt, die fast so edel sind wie Champagner. 

Eschenbacher Straße 1, 73114 Schlat
T: +49 7161 99902-24, manufaktur-joerg-geiger.de

Kohl Bergapfelsäfte
Auf fast 1000 Metern Seehöhe am Ritten in Südtirol produziert Kelterer Thomas Kohl naturreine Bergapfelsäfte mit der Idee, seine handgepflückten Äpfel so gut zu behandeln wie Wein. Seit ein paar Jahren pflanzt der Apfelbauer auch seltene Apfelsorten an, zum Beispiel Winter-Calville, Ananasrenette oder Goldparmäne, die er als »Grand Cru« verkauft.

Hauptstraße 35, 39054 Unterinn am Ritten
T: +39 471 359442, kohl.bz.it

 


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Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2023

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Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
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