Köchin und Aktivistin in einer Person: Die Berlinerin Sophia Hoffmann nimmt ihren Beruf mit großer sozialer Verantwortung wahr.

Köchin und Aktivistin in einer Person: Die Berlinerin Sophia Hoffmann nimmt ihren Beruf mit großer sozialer Verantwortung wahr.
© Zoe Spawton

Avantgarde der Kulinarik: Das perfekte Resteessen

Kochen ist für Sophia Hoffmann hochpolitisch. In ihrem Berliner Restaurant »Happa« führt sie vor, wie man Lebensmittelabfälle vermeidet und wie vegane, nachhaltige, feministische Küche aussehen kann.

Bei Sophia Hoffmann bekommt man ein gutes Gewissen um nicht einmal 55 Euro. Und nebenbei wird man auch noch satt. Denn es geht in ihrer Küche um Abfallvermeidung. Sie kocht durchwegs vegan, setzt sich für Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit ein und dafür, dass wir unsere Lebensmittel wieder mehr wertschätzen.

Regional-saisonale Küche gibt es im  »Happa« von Sophia Hoffmann auch in üppigem Ausmaß oder, wie man neudeutsch sagt, im »Family-Style«.
© Zoe Spawton
Regional-saisonale Küche gibt es im »Happa« von Sophia Hoffmann auch in üppigem Ausmaß oder, wie man neudeutsch sagt, im »Family-Style«.

Vergangenen November eröffnete die 43-Jährige ihr erstes eigenes Restaurant, das »Happa« im Berliner Stadtteil Kreuzberg, benannt nach dem in der Babysprache gebräuchlichen Wort für Essen: »Happa-Happa«. In achtköpfigen Team nur Frauen. Ein Gericht gibt es im »Happa« schon für unter zehn Euro – jeder soll sich das Essen dort leisten können. Das Fünf-Gänge-Menü für besagte 55 Euro dagegen wird nur an ausgewählten Abenden angeboten. Den Rest der Zeit hat der Laden nur mittags geöffnet. »Meine Gründungspartnerin Nina Petersen hat eine kleine Tochter. Also haben wir entschieden, unser Restaurant nur ›nine to five‹ zu betreiben«, erklärt Sophia Hoffmann. Denn in der Gastro, kritisiert sie, gehe es immer nur darum, wie man es den Gästen so recht wie möglich machen kann. »Dieses Prinzip haben wir umgedreht.«

Neue Küchenphilosophie

Bekannt wurde Hoffmann übers Internet mit Gerichten wie Suppe aus Kohlrabischalen oder Dreierlei vom Karfiol, für das sie auch den Strunk und die Blätter verarbeitet: mit Ahornsirup, Sojasoße und Olivenöl mariniert werden sie im Ofen knusprig gebacken. Die Lebensmittel für ihr Restaurant bezieht sie von einem Start-up namens Querfeld. In Großstädten beliefert es Schulen, Kantinen und andere Einrichtungen mit Obst und Gemüse, das nicht der Supermarkt-Norm entspricht. Das Prinzip: Landwirte verkaufen die Ware, auf der sie sonst sitzen blieben, und Abnehmer profitieren von den günstigen Preisen – und dem guten Gefühl, etwas gegen Lebensmittelverschwendung zu tun. Über 1.200 Kilo Grünzeugs wurden im »Happa« allein auf diese Weise im ersten halben Jahr seit Eröffnung gerettet, berichtet Hoffmann. »Wenn ich meine Lieferung von Querfeld bekomme«, sagt sie, »sehe ich keine Mängel, sondern Möglichkeiten.« Ein Satz, der vielleicht sogar ihre gesamte Küchenphilosophie auf den Punkt bringt.

Gelernt habe Hoffmann diesen wertschätzenden Umgang mit Nahrungsmitteln bereits als Kind. Es gibt eine eindrückliche Szene aus einer Fernseh-Dokumentation über die Köchin: Hoffmanns Eltern – beide Kriegskinder – schildern darin, wie verwundert sie gewesen seien, als auf einmal der Begriff »Zero Waste« überall als großes Zukunftsthema aufpoppte. »Bei uns zu Hause«, sagt darin Hoffmanns Vater, »hat es nie etwas anderes gegeben. Nicht das kleinste Fitzelchen Essen ist weggeschmissen worden.« Diese Haltung ihrer Eltern habe die Köchin tief geprägt. 

Nachhaltige Prägung

Komplett vegan lebt Hoffmann seit gut zwölf Jahren. Bereits als Teenager habe sie eine Phase gehabt, in der sie sich intensiv mit dem auseinandersetzte, was sie aß, und vieles hinterfragte. Diese Gedanken habe sie in ihren Zwanzigern allerdings weggeschoben und wieder angefangen, Fleisch zu essen – doch das Thema pflanzliche Ernährung holte sie wieder ein. Genauso wie das Kochen. »Im Nachhinein finde ich es lustig, dass ich erst mit 30 Köchin geworden bin«, sagt Hoffmann. »Am Herd zu stehen, war schon als Kind meine Lieblingsbeschäftigung.« Doch nach der Schule entschied sie sich für einen Weg, der nichts mit ihrer heutigen Profession zu tun hat: Sie studierte Deutsch und Soziologie, absolvierte eine Ausbildung zur Friseurin, trat als DJane auf. 

Erst als sie einen Lifestyle-Blog startete, auf dem sie auch Rezepte veröffentlichte, fand sie zur alten Leidenschaft zurück. Vielleicht, sagt sie rückblickend, wäre ihr Leben ganz anders verlaufen, hätte es schon während ihrer Kindheit weibliche Starköche als Vorbilder gegeben. Denn Geschlechter­gerechtigkeit ist Sophie Hoffmanns zweites großes Thema:

Nach wie vor sind Frauen in der Gastronomie unterrepräsentiert. Und alle Köchinnen mit klassischer Berufsausbildung, die ich kenne, haben am Arbeitsplatz Erfahrungen mit Übergriffen und Diskriminierung gemacht. Im Jahr 2023 haben nur elf Frauen in Deutschland Michelin-Sterne erhalten, noch weniger als im Jahr davor.

Wenn die Gesellschaft aber wolle, dass kleine Mädchen von sich aus sagen, dass sie mal Köchinnen werden wollen – genauso wie sie inzwischen vielleicht Bundeskanzlerin als Berufswunsch angeben –, müsse sich etwas ändern.

Überzeugungstäterin

Es gibt vielleicht begabtere und kreativere Köchinnen und Köche als Sophie Hoffmann. Aber es gibt kaum jemanden, der sich traut, Missstände so deutlich anzuprangern wie sie. Viele Gastronomen fürchten, ihre Karriere mit politischen Positionierungen zu gefährden. Nicht so Sophia Hoffmann. Sie fordert vielmehr öffentlich, dass zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung alle Nahrungsmittel teurer werden und folglich auch die Sozialabgaben für wohlhabende Menschen steigen müssen – damit Arme sich das Essen noch leisten können. Oder sie bekennt in den sozialen Medien ihre uneingeschränkte Solidarität mit den radikalen Klimaaktivisten der »Letzten ­Generation«.

»Vor einiger Zeit hatten wir einen Gast im Lokal«, erzählt Hoffmann, »der kritisierte, dass es aus Marketingperspektive eine Katastrophe sei, um wie viele Themen ich mich gleichzeitig kümmere, denn da komme ja keiner mehr mit.« Sie lacht und sagt:

Ja, ich habe viele Themen. Ich traue den Menschen aber zu, dass sie komplex denken können.

Und je intensiver sie selbst sich außerdem mit Lebensmittelerzeugung, fairem Handel, Feminismus, sozialer Nachhaltigkeit und Klimawandel auseinandersetze, desto deutlicher erkennbar werde für sie, wie sehr alles zusammenhänge. »Jedes Essen«, sagt Hoffmann,  »ist deshalb immer auch eine politische Angelegenheit.«

Stichwort Lebensmittelverschwendung


Etwa 15 Millionen Tonnen Lebens-mittel landen jedes Jahr in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz insgesamt im Müll. Noch schockierender erscheint diese Menge, wenn man bedenkt, dass weltweit 735 Millionen Menschen nicht genug zu essen haben. Dabei wäre es gar nicht so schwer, dem als Verbraucherin und Verbraucher entgegenzuwirken. Etwa indem wir unsere Einkäufe besser planen, auch optisch unschönes Gemüse in den Einkaufswagen packen, einsehen, dass kurz vor Ladenschluss die Theke eben nicht mehr prall gefüllt sein muss, und akzeptieren, dass das Mindesthalt-barkeitsdatum von Lebensmitteln kein Verfallsdatum ist, sondern lediglich ein Frischemarker, und dass viele Produkte wesentlich länger genossen werden können.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2023

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Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
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