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Cortis Küchenzettel: Es weihnachtet in Veracruz

Die mexikanische ist eine der größten Küchen der Welt. Nirgendwo verbindet sich das atemberaubend vielfältige kulinarische Erbe Amerikas auf so glückliche Weise mit der europäischen Tradition. Auch in diesem vorweihnachtlichen Gericht.

In unseren Breiten macht sich nur langsam eine Ahnung davon breit, wie raffiniert und vielfältig die Küchen Mexikos sind – und wie viel wir bisher versäumt haben. Die längste Zeit ließen wir uns verstaubte Fastfood-Verbrechen aus der Texmex-Ecke oder, vielleicht sogar noch ärger, Gemüsepfannen aus dem Convenience-Froster, willig als mexikanisches Essen reinschieben. Mit dem, was auf den Straßenmärkten Mexikos an Wunderdingen dargeboten wird, mit der schrankenlosen Vielfalt an Gegrilltem und Geschmortem, roh Mariniertem und Gebratenem, in Bananenblättern Gedämpftem und mit Saucen und Salsas von atemberaubender Kraft und Raffinesse Kombiniertem, hatte das natürlich nichts zu tun.

Aber wie so oft, wenn es um Speisen geht, die mit an Wahnsinn grenzender Leidenschaft gekocht und genossen werden, wie so oft, wenn das Essen einer Gesellschaft Thema ist, die leiblichen Genuss als zentralen Daseinsgrund erkennt: Es lässt sich nur schwer exportieren, abseits seiner Wurzeln nachkochen und – ohne die entsprechende Infrastruktur und Bereitschaft der Obrigkeit, sich auch auf Straßenessen einzulassen – interpretieren.

Beim mexikanischen Essen ist es besonders schwierig. Die Vielfalt der Flora Zentralamerikas, der unfassbare Reichtum an Kulturpflanzen bringt mit sich, dass ganz wesentliche Zutaten in unseren Breiten gar nicht zu haben sind. Die Vielfalt der Chilis, ob frisch, geräuchert und/oder getrocknet, ist nur ein Teil davon. Essenzielles Obst und Gemüse, man denke nur an die Tomatillo, eine der wichtigsten Gemüsepflanzen Zentralamerikas (und mit der Physalis verwandt), benötigen oft tropisches Klima.

Zum Glück aber kennt die mexikanische Küche eine so noble Tiefe und Breite, dass auch das europäische Erbe bis heute als fester Teil des kulinarischen Selbstverständnisses verankert ist. Rund um Weihnachten etwa erinnern sich viele Mexikaner des eingesalzenen Kabeljaus (Bacalao), wie er auf der iberischen Halbinsel Tradition hat. Tatsächlich ist das Rezept, Bacalao a la Veracruzana, also nach Art der mexikanischen Stadt Veracruz, ganz eng mit jenem für Bacalao a la Vizcaina verwandt, einer seit Jahrhunderten etablierten Art, den eingesalzenen Fisch nach Art des Golfs von Biskaya vorzurichten.

Nur, dass in Mexiko auch Tomaten Teil der Sauce sind, was traditionsbewusste Basken ablehnen – mit dem Hinweis, dass diese zum Zeitpunkt der Entstehung des Gerichts noch nicht als Nahrungsmittel verwendet wurden. Ganz im Gegensatz zu den kleinen roten Paprikaschoten (Pimiento Choricero), die der Sauce die charakteristisch rote Farbe und den tief aromatischen Charakter verleihen.

Die Mexikaner muss derlei Traditionshuberei nicht kümmern. Schließlich sind sowohl Paprika und Chili als auch Tomaten aus Mittelamerika zu uns gekommen – und die Mexikaner wissen seit Jahrtausenden, wie köstlich jede auf ihre Weise, aber auch beide gemeinsam schmecken können.

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Erschienen in
Falstaff Nr. 09/2023

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Severin Corti
Severin Corti
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