© Wonge Bergmann

»Fauna« von Nils Henkel: Ein großes Werk eines großen Kochs

Nils Henkel präsentiert mit »Fauna« eine eindrucksvolle Ergänzung zu seinem preisgekrönten Werk »Flora«. Auf 376 Seiten offenbart dieses kulinarische Meisterwerk anspruchsvolle Rezepte, wertvolle Tipps und eine einzigartige Vielfalt an Fisch- und Fleischgerichten, die die Essenz seiner Schaffensjahre in Spitzenrestaurants widerspiegeln. Im Interview spricht der Meisterkoch außerdem über seine Küchenphilosophie und Krustentiere vom anderen Ende der Welt.

Nils Henkel ist ein großer Koch; für Kenner einer der besten in Deutschland. Mit »Fauna« legt er jetzt sein zweites großes Werk vor, das seine Klasse dokumentiert. Groß in jeder Hinsicht: Im Format (30 mal 25 Zentimeter), im Umfang (376 Seiten) und vor allem inhaltlich. Mit anspruchsvollen Rezepten, vielen nützlichen Tipps und starken Fotos von Wonge Bergmann auf sehr hochwertigem Papier.

Als Nachfolger von »Flora« – vor zwei Jahren veröffentlicht und unter anderem mit der Goldmedaille der Gastronomischen Akademie ausgezeichnet – komplettiert »Fauna« das kulinarische Spektrum des Ausnahmekochs. Die Reihenfolge ist für Henkel logisch. Er gilt als einer der Pioniere der vegetarischen Küche in der Spitzengastronomie, hat Köstlichem von Tieren jedoch nie abgeschworen.

Die beiden Bücher sind die Essenz seines Schaffens von 1997 bis Anfang 2020 in den Drei- und Zwei-Sterne-Restaurants im »Schloss Lerbach« bei Köln und auf »Burg Schwarzenstein« im Rheingau, wo Henkel jeweils ein »Flora«- und ein »Fauna«-Menü präsentierte. Nach dem detaillierten Einblick in seine Gemüseküche nun also die zwischen 2011 und 2019 entstandenen Rezepte für seine 75 liebsten Fisch- und Fleischgerichte. Der größere Teil ist der Meeresfauna gewidmet.

»Ich will die Leser in erster Linie inspirieren«

Die 98 Euro sind gut investiert für ambitionierte Hobbyköche und Profis – und alle, die gerne etwas Besonderes essen. Allein das Schmökern macht Freude und Appetit; das Nachkochen sicher nicht jedem… Die meisten Rezepturen sind sehr komplex und aufwendig, erfordern handwerkliches Geschick, gute Grundkenntnisse und teilweise Geräte, die nicht in jedem Haushalt stehen.

Für Nils Henkel alles kein Problem. »Ich will die Leser in erster Linie inspirieren. Jeder kann mit seinen Mitteln und Fähigkeiten improvisieren.« Das gelte auch für Produkte und Zutaten. »Das aus meiner Sicht optimale Ergebnis entsteht, wenn man sich 1:1 an die Vorlage hält. Aber selbstverständlich geht´s auch einfacher«, sagt er.

Diese Option setzt der 54-Jährige seit gut drei Jahren an seiner neuen Wirkungsstätte um. Im »Bootshaus« im Hotel »Papa Rhein« in Bingen begeistert Henkel abends in der Regel mehr als 100 Gäste in zwei Sitzungen mit sehr guten Gerichten zu moderaten Preisen. »Das hat mit Sterne-Küche nichts zu tun«, meint er, und doch spielen manche Kompositionen in dieser Liga. Auf ganz großer Flamme kocht der Meister dort einmal im Monat am »Chef’s Table« für einen kleinen Kreis modifizierte Rezepte aus »Flora« und »Fauna«. Unter diesen Titeln stehen auch die beiden Menüs im »Tipken’s by Nils Henkel« im Luxushotel Severin’s auf Sylt, das unter dem Patronat des gebürtigen Kielers Casual Fine Dining auf hohem Niveau bietet.

Nachhaltigkeitsgedanke und saisonalen Fokus

Auf seiner Homepage heißt es zum neuen Buch: »Die raffinierten Kreationen gleichen kleinen Kunstwerken und haben neben der einzigartigen Stilistik des Spitzenkochs einen starken Nachhaltigkeitsgedanken und einen saisonalen Fokus gemein, wobei der Eigengeschmack der erstklassigen Produkte immer an erster Stelle steht.« Stimmt alles.

 

© Wonge Bergmann

Wertvoll ist »Fauna« nicht zuletzt dank der zahlreichen Grundrezepte auf fast 100 Seiten; darunter Teige und Schäume, Fonds, Gele, Gelees, Emulsionen, Saucen, Gewürzöle, Eis und Sorbets. Desserts dürfen freilich nicht fehlen. Die passenden Getränkeempfehlungen (Wein und Unvergorenes), Infos zu Geräten und Utensilien sowie Hinweise auf Produzenten und Partner runden das im Hampp-Verlag herausgegebene Werk ab.

»Einmal Fleisch und einmal Fisch in der Woche reicht«

Unser Autor Joachim Heidersdorf hat mit Nils Henkel über sein neues Buch und Küchenphilosophie sowie über ausgewogene Ernährung gesprochen.

 

FALSTAFF: Nach »Flora« nun »Fauna«: Ist das Ihr kulinarisches Lebenswerk?

HENKEL: Nein. Das ist ein Herzensprojekt. Ich betrachte die beiden Bücher als eine Art Werkskatalog der letzten Jahre im Schlosshotel Lerbach und meiner Tätigkeit auf Burg Schwarzenstein. Man sollte nie Nie sagen, doch mit diesem Kapitel des Kochens auf allerhöchstem Niveau habe ich Stand heute abgeschlossen. Die Rezepte und die herrlichen Fotos aus dieser Zeit verdienen es meiner Meinung aber, dokumentiert zu werden und werden hoffentlich viele Menschen inspirieren.

Dabei geht es Ihnen nicht nur ums Nachkochen – oder?

Nicht nur. Ich möchte die Käufer zu einer gesunden Ernährung mit guten Produkten animieren. Und zum Verzehr von mehr Gemüse.

Das klingt bei einem Buch mit Rezepten von Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten seltsam.

Die Tierwelt gehört ja weiter dazu. Wir essen auch zu Hause mit der Familie gerne mal Fleisch. Ich bin kein Dogmatiker, rate aber zu einem ausgewogeneren Speiseplan. Früher gab es oft nur einmal in der Woche Fleisch, den klassischen Sonntagsbraten. Und freitags Fisch. Dazwischen wurde in der Regel fleischlos gegessen – bei körperlich oft anstrengender Tätigkeit als heute. Einmal Fleisch und einmal Fisch in der Woche wäre auch heutzutage ausreichend.

Also lieber weniger und dafür besseres Fleisch essen?

Genau. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Der hohe Konsum hat zur Massentierhaltung und zur industriellen Landwirtschaft geführt. Die meisten Menschen schließen gerne die Augen vor der Realität, vor dem Schlachtprozess und dem Leid der Tiere. Wenn ich Fleisch und Geflügel verwende, möchte ich wissen, wo es herkommt. Es gibt viele kleine individuelle Erzeuger, denn das Wohl der Tiere am Herzen liegt. Einige nenne ich in meinem Buch. Wenn wir alle unsere Gewohnheiten etwas verändern, würden sich die Bedingungen in der Tierhaltung verbessern. Auch bei Fischen und Krustentieren ist die beste Qualität für mich das oberste Gebot. Es kommen nur Produkte auf den Teller, die ich jederzeit roh essen würde. Außerdem müssen wir uns bewusst sein, dass der Faktor Food mit etwa zehn Prozent zur Klimaerwärmung beiträgt. Ein Problem der Wohlstandsgesellschaft.

Warum verwenden Sie dann auch Fische und Krustentiere vom anderen Ende der Welt?

Das ist eine berechtigte Frage. Eine Zeitlang habe ich das aus Prinzip nicht gemacht und aus Nachhaltigkeitsgründen finde ich das nach wie vor nicht vernünftig. Doch, wie erläutert, die Qualität zählt. Es gibt Ausnahmeprodukte wie Hiramasa Kingfish, Tristan Lobster oder Ora King Lachs, die ich so grandios gut finde, dass ich sie ab und zu ins Fauna-Menü aufnehme. Typische Luxusprodukte wie Steinbutt und Hummer verwende ich eher selten und am liebsten dann, wenn sie Saison haben und in bester Qualität verfügbar sind.

Sie sind an der Ostseeküste aufgewachsen. Woher kommt Ihr Faible für Gemüse?

Ich liebe das Meer, Fische und Meeresfrüchte. Als ich 2008 nach gut zehn gemeinsamen Jahren mit Dieter Müller die alleinige Verantwortung für das Drei-Sterne-Restaurant übernahm, musste ich mir Gedanken über meine eigene Stilistik machen. Ich wollte raus aus der Arbeit mit selektierten Luxusprodukten und der frankophilen Abhängigkeit, wollte viel lieber mit Produkten aus der Region oder zumindest aus Deutschland arbeiten, viel mehr mit Gemüse, und damit die Natur auf meine Teller holen. Das war für mich der Antrieb, auf ein vegetarisches Gemüsemenü zu setzen.

 Mit zunächst wenig Erfolg, wenn ich mich richtig erinnere.

Ja, die Zeit war vielleicht noch nicht reif für diesen Wandel, zumindest nicht in Lerbach. Das Interesse der Gäste war sehr bescheiden, das Gemüsemenü wurde schlichtweg nicht besonders ernst genommen und schon gar nicht als Alternative zum Degustationsmenü mit Kaisergranat, Gänseleber und Reh. Es hat lange gedauert, bis sich das änderte – und auch bei mir, bis ich konsequent mit dem Thema umging. Die ersten Gemüsemenüs waren nicht unbedingt vegetarisch, die Produkte schon mal in einem Geflügelsud gegart oder mit etwas Entenschmalz confiert. Je mehr ich mich mit der Sache auseinandersetzte, desto mehr stellte ich fest, dass die gemüsebasierten Fonds und Reduktionen ihren ganz besonderen Reiz haben, vor allem eine außergewöhnliche geschmackliche Klarheit.

Stimmt der Eindruck, dass sogar in »Fauna« das Gemüse hie und da im Vordergrund steht und Fleisch oder Fisch die Rolle des Begleiters einnehmen?

Das ist richtig. Die Gerichte der Fauna-Küche sind stark von Kräutern und Gemüsen geprägt. Zum einen, weil ich es wichtig finde, für den Einsatz von Fisch und Fleisch einen vernünftigen und zeitgemäßen Rahmen zu finden. Zum anderen, weil Gemüse in meiner Küche den zentralen Schwerpunkt darstellt. Bei manchen Gerichten überwiegt das Gemüse, Fleisch wird dann zum perfekten Begleiter.

Gibt es Rezepte, auf die Sie stolz sind oder die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Alle (lacht). Im Ernst: Jedes Gericht hat seine Geschichte. Der Schweinebauch etwa hat mich über viele Jahre begleitet, immer wieder variiert, im Buch mit Birnen, Bohnen und Speck. Typisch norddeutsch und eng mit meiner Herkunft verbunden. Oder der gedämpfte Skrei mit Grünkohl und der Seesaibling mit gegrillter Sellerie. Diese Rezepte drücken auch meine Liebe zur Natur aus.

Und was steckt hinter der »Makrele Marrakesch«?

Ich bin weltoffen, auch kulinarisch. Ich verfolge mit meiner Küche keinen krassen regionalen Ansatz, aber es ist mir wichtig, regional zu denken und die Auswahl der Produkte an die Jahreszeit und die saisonale Verfügbarkeit anzupassen. Ich verknüpfe heimische Produkte auch sehr gerne mit den Aromen der Welt. So sind manche Gerichte an deutsche oder nordische Küche angelehnt, manche sind mediterran, orientalisch oder asiatisch inspiriert. Das genannte Rezept ist nach einer Marokko-Reise entstanden. Da bin ich intensiv mit Gewürzen in Verbindung gekommen und danach habe ich mich immer stärker mit diesem Thema beschäftigt. Das hat zu meiner eigenen Gewürzlinie geführt.

Worauf kommt es Ihnen am Ende auf dem Teller am meisten an?

Meine Gerichte müssen nicht nur hervorragend schmecken, auch wenn das sicher der wesentliche Aspekt ist. Essen muss Spannung erzeugen, im Mund muss etwas passieren, man sollte sich als Esser damit beschäftigen. Ganz wichtig ist mir, dass die einzelnen Komponenten geschmacklich deutlich wahrnehmbar und keine austauschbare Deko sind. Ich mag das Spiel mit verschiedenen Texturen und Temperaturen und beispielsweise auch knusprige und rohe Elemente. Durch verschiedene Zubereitungen erhöht sich die geschmackliche Bandbreite eines Produkts und man empfindet als Esser im idealen Fall, das Produkt selten so intensiv geschmeckt zu haben.
Wer sich an die Rezepte in Fauna hält, wird das hoffentlich oft erleben.

Kochen Sie zu Hause nach diesen Rezepten?

Die aufgeführten Aspekte für eine Spitzenküche ergeben sehr komplexe Rezepturen, die auch ich zu Hause für die Familie sicher nicht komplett kochen würde, weil es viel Zeit kostet. Ich empfehle, sich beim Kochen zu Hause auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren und ruhig ein paar Elemente wegzulassen.

© Wonge Bergmann

Fauna – von Nils Henkel
Gebundene Ausgabe
376 Seiten
ISBN: 978-3-942561-52-5
98 Euro


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Joachim Heidersdorf
Autor
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