Château Pichon-Baron präsentiert sich in vollem Glanz, der moderne Degustationspavillon fügt sich prächtig ins Gesamtbild.

Château Pichon-Baron präsentiert sich in vollem Glanz, der moderne Degustationspavillon  fügt sich prächtig ins Gesamtbild.
© Château Pichon Baron / Serge Chapuis

Pauillac: Das kann die beste Weinregion der Welt

Bordeaux ist an önologischen Superlativen ohnedies nicht arm. Doch die kleine Appellation Pauillac im Médoc mit ihren gerade einmal 1200 Hektar Weingärten gilt unter Kennern als beste Weinregion der Welt. Stellt sich die Frage: Was macht den Stil dieser Weine so unverwechselbar und begehrenswert?

Ein typischer Rotwein aus Pauillac ist geprägt von der Rebsorte Cabernet Sauvignon, die in der Appellation – neben Merlot, Cabernet Franc und etwas Petit Verdot – den Hauptsatz bildet. Er verfügt über eine dunkle, tiefe Farbe, neben den Edelholznuancen des Barriqueausbaus, vornehmlich in Zeder, dominieren schwarze Johannisbeere (vulgo Cassis), Brombeere, Walnuss, rauchig-mineralische und manchmal auch erdige Nuancen das Bukett. Die Weine sind körperreich, besitzen eine gute Säure und reiche Tannine und verfügen über ein ausgezeichnetes Reifepotenzial. In seiner Jugend ist das Bukett eines Pauillac im Vergleich zu seinen nördlichen Nachbarn aus Saint-Éstèphe etwas zurückhaltender, am Gaumen präsentieren sich die südlichen Nachbarn aus Saint-Julien etwas eleganter, geschmeidiger und zugänglicher.

Die Böden in Pauillac bestimmen den Stil natürlich mit, auffällig ist die hohe Konstanz in der Qualität der hier erzeugten Weine. Es ist kein Zufall, dass die Appellation fast zur Gänze von klassifizierten Gewächsen, darunter drei der vier Premiers Crus Classés des Médoc, abgedeckt wird. Und so hat es sich bei vielen Bordeaux-­Freunden eingebürgert, einen gesamten Jahrgang nach der Qualität im Pauillac zu beurteilen. Die Appellation gibt also den Takt vor – und beeinflusst dabei oftmals das Weinbaugeschehen über die Grenzen des Bordelais hinaus. Es sind Details bei der Beschaffenheit der Böden, beim Kleinklima, das Alter und die Art der Reben oder die Nähe zur Gironde, alles Faktoren, die in einem Gewächs ihre zumeist unverwechselbaren Spuren hinterlassen. Nur so ist es dem geübten Verkoster möglich, einen La­fite von einem Latour zu unterscheiden. Denn in Sachen Stil haben die Kellermeis­ter mit ihrem Beraterstab zwar im Laufe der letzten Jahrzehnte einige Korrekturen angebracht, aber je höher die Qualität der Herkunft, umso lauter »spricht« am Ende stets der Boden. Mit jedem Jahr der Reife gewinnt ein Pauillac an Präzision, und am Ende unterscheiden sich die Meisterwerke der Winzer so klar und deutlich voneinander wie ein Picasso von einem Monet oder einem Cézanne.

Historisches Klassement

Bereits in spätrömischer Zeit wurden im Médoc Weingärten bearbeitet. Der Dichter Ausonius, selbst in Aqui­tanien geboren, erwähnte solche sowie die Siedlung Pauliacus um das Jahr 335 n. Chr. in seinen »Briefen an Theon«. Die Kleinstadt Pauillac, die der Region heute ihren Namen gibt, liegt direkt an der Gironde. Und über ihren Hafen ist sie einst auch zu gewissem Wohlstand gekommen. Im 18. Jahrhundert konnte der Ort mit dem Weinhandel aufblühen. Denn damals wurde jenes Privileg aufgehoben, dass der Stadt Bordeaux ein Handelsmonopol mit England einräumte. Mit dem stark zunehmenden Weinbau im 19. Jahrhundert profitierte auch der Handelsplatz Pauillac.

Heute verfügt die Appellation Pauillac über eine Anbaufläche von 1213 Hektar, das sind nur etwa 7,5 Prozent der insgesamt rund 16.000 Hektar Weingärten im Médoc. Bewirtschaftet werden diese von 33 unabhängigen Erzeugern. Weitere 21 beliefern eine Genossenschaft. Erzeugt werden zwischen sieben und acht Millionen Flaschen pro Jahr. 18 der Weingüter gehören zu jenen, die im Jahr 1855 klassifiziert wurden. Keine andere Appellation weist eine höhere Zahl an Grands Crus Classés im Verhältnis zu ihrer Fläche auf, nur im großen Margaux sind 21 Betriebe klassifiziert. Eine abnehmende Zahl an Gütern in Pauillac sind als Crus Bourgeois eingestuft. Viele »bürgerliche Gewächse« mit gutem Terroir haben sich klassifizierte Nachbarn einverleibt, manche der Verbleibenden verzichten auf die Teilnahme an der kostspieligen Klassifikation. Im aktuellen Klassement, das bis 2025 Gültigkeit hat, ist einzig Château Plantey offiziell als bürgerliches Gewächs in Pauillac angeführt. Das zur AXA-Gruppe gehörende Château Pibran, noch 2003 als Cru Bourgeois Supérieur eingestuft, verzichtet seit der Neubewertung auf seinen Rang.

Bei den Grands Crus, die in insgesamt fünf Ränge eingeteilt werden, besitzt Pauillac drei der insgesamt fünf Premiers Crus im Médoc: Lafite-Rothschild, Latour und seit 1973 Mouton-Rothschild. Die beiden Pichon-­Güter sind im zweiten Rang platziert, dritte Gewächse gibt es nicht, Duhart-Milon ist viertklassiert, und es gibt zwölf Fünftgewächse. Viele dieser Cinqui­èmes sind allerdings in der Lage, Rotweine von einer Güte zu erzeugen, die heute ihre Klassifi­kation bei Weitem übertrifft.

Ein echter Pirat

Château Duhart-Milon (Rothschild)

Ein exzellenter Wein, den niemand so richtig auf dem Radar hat, kommt vom einzigen im vierten Rang klassifizierten Weingut in Pauillac. Das Gut in Nachbarschaft zu Lafite und Mouton liegt in der Gemarkung Milon, der namensgebende Sieur Duhart verbrachte hier seinen Lebensabend, nachdem er im Dienste König Ludwigs XV. als Kaperfahrer die Weltmeere unsicher gemacht hatte. Im 19. Jahrhundert kam das Gut in den Besitz der Familie Castéja, um 1900 wurde es als eines der besten Häuser im Médoc tituliert, dessen »ausgezeichnete Rebsorten einen Wein ergeben, der mit Mouton- und Lafite-Rothschild vergleichbar ist«. Das 20. Jahrhundert brachte zahlreiche Besitzerwechsel und den allmählichen Niedergang, die Gebäude verfielen, heute ist Duhart ein »Château« ohne Schloss. Zur vorletzten Jahrhundertwende war die Produktion noch größer als jene von Latour oder Mouton, als 1962 die Rothschild-Familie (Lafite) Duhart kaufte, waren nur mehr 17 der 76 Hektar des Rebberges in Ertrag. Der heutige Besitzer hat durch große Investitionen in Neuanpflanzung, Drainage und Kellertechnik den Wein wieder dorthin geführt, wo er als Grand Cru Classé hingehört. Spätestens seit 2015 gehört dieses »Aschenputtel« zu den heißesten Aktien am Pauillac-Markt, 2022 ist hier der beste Wein seit Jahrzehnten gelungen (96 Falstaff-Punkte), der mit 85 Euro gegenüber dem Carruades de Lafite 2022 (ebenfalls 96 Punkte) mit einem Subskriptionspreis von rund 260 Euro als gehobenes Schnäppchen bezeichnet werden darf.

Foto beigestellt

Die südlichen Gefilde

Fährt man über die Schlösserstraße (D2) aus Bordeaux Richtung Norden in die Region Pauillac, so markiert eine kleine Senke, in welcher das Bächlein Ruisseau de Juillac fließt, die Grenze zu Saint-Julien im Süden. Hinter einer Mauer erstreckt sich hier rechts der Straße der Weinberg von Château Latour, der der Wasserfläche der Gironde am nächsten kommt. Hier liegt feiner Kies, mit wenig Sand und Lehm durchsetzt. Dieses Terroir hat die beste Drainage aller Gewächse hier. Das ist der legendäre »L’Enclos« von Latour, und hier befindet sich auch die Kellerei.

Aber nicht immer ist der Standort des Schlosses auch mit der Lage der Weingärten gleichzusetzen. Ein Beispiel ist Château Pichon-Comtesse. Von dessen Terrasse hat man einen schönen Ausblick auf die besten Reben von Latour. Zwischen der Straße und einer Eisenbahntrasse im Westen liegt zunächst der Hauptplot von Pichon-Baron. Erst dann folgt der Kern der Weingärten der Comtesse. Hinter den Gleisen liegen die Weingärten von Château Haut-Batailley rund um den gut sichtbaren Tour d’Aspic rechts der D 206. Hier grenzen im Süden einige Lagen von Château Lynch-Bages an – was erklärt, weshalb die Familie Cazes vor nicht allzu langer Zeit Haut-Batailley von den Besitzern von Château Grand-Puy-Lacoste erworben hat.

An der westlichen Appellationsgrenze liegen noch weitere Weingärten von Baron, Comtesse und Lynch-Bages sowie im Norden jene von Grand-Puy-Ducasse. Folgt man der D 206 in nördlicher Richtung, so kommt zur Rechten bald Château Batailley, die Abzweigung nach links führt zu Château Lynch-Moussas, das aufwendig restauriert wurde.

Die Stadt Pauillac liegt am Ufer des Flusses Gironde und teilt das Gebiet in einen nördlichen und einen südlichen Teil. Im Westen von Pauillac befindet sich das schöne Château Grand-Puy-Lacoste. Seit dem Kauf durch die Familie Borie und ihrem ersten Jahrgang 1978 wird hier ein eleganter Klassiker gekeltert, kernig und doch rotbeerig und frisch. Der Zweitwein, Lacoste-Borie, ist ebenfalls eine Bank.

Im Osten gelangt man zum Château Croizet-Bages und schließlich zu Lynch-­Bages, weithin sichtbar mit seiner gläsernen Fassade und dem kleinen Dorf Bages, das von der Besitzerfamilie Cazes in einen feinen weintouristischen Hotspot verwandelt wurde. Das Café »Lavinal« ist hier längst eine Pflichtadresse für Gourmets und Weinfreunde gleichermaßen, das Hotel­restaurant »Château Cordeillan-Bages« betuchtem Publikum vorbehalten. An den oberen Teil von Latour schließt das Terroir von Château Haut-Bages Libéral an, und hier ist die Tour durch das südliche Pauillac im Uhrzeigersinn auch schon abgeschlossen.

Bio-logische Entwicklung

Château Haut-Bages Libéral

Der Anteil der Betriebe in Pauillac, die zertifiziert organisch oder – wie in diesem Fall – biodynamisch arbeiten, ist im Vergleich mit anderen Appellationen in Bordeaux sehr groß. Claire Villars, Besitzerin von Haut-Bages Libéral, stieg 2016 auf Biodynamie um, nachdem Pontet-Canet ab 2005 und Château Latour ab 2015 diesen Weg eingeschlagen hatten. Pédesclaux folgte 2019, seit 2021 sind nun auch Lafite-Rothschild und Duhart-Milon in Umstellung auf biologisch. Und auch wenn es das atlantische Klima, der Mehltau und weitere Faktoren den Winzern nicht leichtmachen, die Zahl der klassifizierten Betriebe, die auf organischen Wein setzen, wächst in jedem Jahr. Madame Villars und ihr Gemahl Gonzague Lurton zählen mit ihren zahlreichen Gewächsen wie Ferrière, La Gurgue und Durfort-Vivens zu den Wegbereitern der Biodynamie. Haut-Bages Libéral grenzt nördlich direkt an den L’Enclos von Latour und verfügt über drei Meter tiefe Kiesböden und mehr Lehm im Untergrund. In Jahren mit weniger Niederschlag, wie zuletzt 2022, kann die geringere Drainage durchaus von Vorteil sein. Bereits 2009 wurden die ersten Parzellen umgestellt, auch im Keller wurden wesentliche Verbesserungen vorgenommen. So hat sich im Laufe der Zeit der Wein von seinem robust-voluminösen Stil verabschiedet und immer mehr die vorteilhaftesten Züge eines wahren Pauillac angenommen. Wer den tollen 22er (95 Falstaff-Punkte) subskribiert hat, der zu je 40 Prozent in neuen und gebrauchten Fässern und zu 20 Prozent in Tonamphoren gereift wird, hat sich um ganze 45 Euro einen echten Klasse-Rotwein eingehandelt.

Übrigens: Das »bürgerliche« Château Haut-Bages Monpelou war ursprünglich ein Teil von Duhart-Milon, ist im Besitz der Familie Castéja (Borie-Manoux) verblieben und bietet einen preiswerten, robusten Einstiegswein in die Welt von Pauillac.

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Prominenter Norden

Der Ort Pauillac selbst ist leider keine langen Reden wert, obwohl zuletzt in die Infrastruktur investiert wurde. Einzig das Gebäude von Grand-Puy-Ducasse am nördlichen Ende der Uferpromenade wäre ein Grund für Weinfreunde, hier halt zu machen, kämen die Umbauarbeiten je zu einem Ende. Wer den Ort im Westen umfährt, erreicht auf Höhe Padarnac zunächst das vom Architekturbüro Wilmotte & Associés runderneuerte Château Pédesclaux. Biegt man links ab, sieht man das bezaubernde Anwesen von Château Pontet-Canet, folgt man der D2, kommt man in Le Pouyalet zu Château Mouton Rothschild, dahinter liegt Château d’Armailhac. Richtung St. Éstèphe liegt der schlichte Bau von Château Clerc Milon und das weltberühmte Château Lafite Rothschild.

Die hohe Qualität der klassifizierten Gewächse hier hat ihren Preis: Weine wie Croizet-Bages liegen bei rund 40 Euro, ein Lafite-Rothschild 2022 lag in Subskription bei 830 Euro. Château Latour ist erst erhältlich, wenn er die nötige Flaschen­reife erreicht hat, zuletzt war das heuer der Jahrgang 2015 – Preis: 710 Euro. Es lohnt sich aber allemal, in die Weine von ­Pauillac zu investieren, denn diese haben den längsten Atem von allen Rotweinen der Welt. Große Jahrgänge reifen problemlos 30 Jahre und zeigen sich dann in toller Verfassung, wie etwa jene von 1990. Aber auch Pauillacs von 1982, 1961, 1959, 1955 oder 1945 beweisen mit Nachdruck, dass eben gerade hier die besten Weine der Welt wachsen.

 

HIER  geht es zu den Verkostungsnotizen und Punkten.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2023

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Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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