Auch heute noch werden Sauermilchkäse mehrere Monate lang in Käsekellern gereift.

Auch heute noch werden Sauermilchkäse mehrere Monate lang in Käsekellern gereift.
© Montafon Tourismus GmbH / bewusstmontafon / Stefan Kothner

Sauerkäse: Duftendes Superfood

Im deutschsprachigen Raum werden seit Jahrtausenden regionale Käsespezialitäten aus Sauermilch gefertigt. Besonders schön sind diese zwar nicht, dafür aber überaus schmackhaft, charaktervoll und wegen ihres geringen Fettanteils besonders gesund.

Seit mindestens 7500 Jahren stellt die Menschheit Käse her. So alt sind die ersten Spuren der Käsebereitung, die Wissenschaftler in Polen gefunden haben. Wie der Käse damals fabriziert wurde, lässt sich nicht mehr exakt nachvollziehen, sicher ist aber, dass die Jungsteinzeitler die Milch auf irgendeine Weise zum Gerinnen bringen mussten. Denn nur so lässt sich Käse herstellen. Möglich ist dies auf zwei unterschiedliche Weisen: Durch Lab, ein Enzym, das im Magen von jungen Wiederkäuern zu finden ist – oder durch Ansäuern.

Bei der Zugabe von Lab gerinnt Milch zu einer gelartigen Masse, die im Fachjargon Gallerte oder Dickete genannt wird. Zerteilt man diese dann mit einem Messer oder einer Käseharfe in kleinere Stücke, wird die in der Gallerte enthaltene Flüssigkeit als Molke ausgeschieden. Zurück bleibt der Bruch, der vor allem Milchproteine und Fett enthält. Diese Trennung von Bruch und Molke setzt den Grundstein jeder Käseherstellung.

Allerdings funktioniert die Milchgerinnung auch durch Säure. Ein Effekt, den Experimentierfreudige vielleicht selbst schon festgestellt haben, wenn sie beispielsweise säurehaltigen Fruchtsaft mit Milch vermischt haben. Lässt man die Milch durch Fermentation sauer werden oder fügt man ihr eine Säure zu, flocken die Proteine aus.

Ob diese oder die Lab-Variante zuerst entdeckt wurde, kann nicht mehr rekonstruiert werden, es gibt beide wohl seit Jahrtausenden. Es kann durchaus sein, dass Lab- und Sauermilchkäse ungefähr gleichzeitig an unterschiedlichen Orten entstanden. Sicher ist aber, dass im Alpenraum lange vor allem Käse aus Sauermilch hergestellt wurden.

Wahrscheinlich brachten erst die Römer im Zuge ihrer Eroberungen die Lab­käserei nach Zentraleuropa. Sie veränderte die hiesige Käselandschaft von Grund auf: Labkäse wurden immer beliebter, während Sauermilchkäse an Bedeutung verloren. Die Verwendung von Lab erzeugt nämlich einen viel stabileren Bruch als die Säuerung der Milch, weswegen sie viel mehr Weiterverarbeitungsmöglichkeiten bietet. Aus Sauermilch können vor allem topfenähnliche Frischkäse hergestellt werden. Trotzdem werden auch diese gereift; dann entwickeln sie eine bröckelige Struktur und einen kräftig sauren und animalischen Geschmack. Als Sauermilchkäse im eigentlichen Sinn gelten nur diese gereiften, labfreien Käse.

Bei der Herstellung von »Sura Kees« oder »Bloderchäs« wird der Käsebruch zum Abtropfen in viereckige, gelochte Kisten geschöpft.
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Bei der Herstellung von »Sura Kees« oder »Bloderchäs« wird der Käsebruch zum Abtropfen in viereckige, gelochte Kisten geschöpft.

Gereifter Topfen

Sauermilchkäse sind meist Magerkäse. Früher entrahmten die Bauern die Milch, der Rahm wurde als wertvolle Butter weiterverkauft. Aus der Magermilch hingegen machten sie Käse zum Eigenverzehr. Deren Rezept hat sich bis heute wenig verändert: Frische Kuhmilch wird bei Raumtemperatur ein bis zwei Tage stehen gelassen. So setzt sich der Rahm auf der Oberfläche ab, der abgeschöpft wird. Nach dem Entrahmen werden der Milch Bakterienkulturen zugesetzt. Diese verwandeln sie in eine Art Topfen, der abgetropft, zu kleinen oder mittelgroßen Laiben geformt und mit Salz eingerieben wird. Wie lange die Käse anschließend gereift und wie sie währenddessen gepflegt werden, unterscheidet sich je nach Sorte. Davon gibt es im deutschsprachigen Raum auch heute noch erstaunlich viele – die meisten können auf eine lange Geschichte zurückblicken.

Mindestens seit dem 12. Jahrhundert wird etwa in Vorarlberg der »Montafoner Sura Kees« hergestellt. Ab den 1960er-Jahren ging seine Herstellung allerdings dramatisch zurück und wurde erst in den 1990ern von einigen Alpkäsereien wieder aufgegriffen. Für den »Sura Kees« wird der frische Käsebruch in Zylinderformen geschöpft, die Käsker genannt werden. Nach einer Abtropfzeit von rund 24 Stunden werden die Laibe, die zwischen 500 Gramm und einem Kilogramm wiegen, gesalzen und manchmal noch mit Paprikapulver eingerieben. »Sura Kees« wird bis zu einem Jahr gereift; nach rund drei Wochen wird der dabei entstehende Schimmelrasen abgewaschen. Nach und nach bildet sich eine speckig aussehende Rinde, die Muffa oder Muffna genannt wird. Sie trägt zum intensiven, sauren und animalischen Geschmack des »Sura Kees« bei. Während junger Montafoner Sauerkäse von einem breiten Publikum geschätzt wird, sind reifere Laibe aufgrund ihres intensiven Aromas und des speziellen Aussehens gewöhnungsbedürftig. In Vorarlberg werden aber viele Spezialitäten daraus zubereitet, wie Käsesuppe, Auflauf oder Spätzle; manchmal wird er auch mit Essig und Zwiebeln angemacht und mit Brot serviert.

Seit dem 14. Jahrhundert ist die Herstellung von Sauermilchkäse im Grenzraum Schweiz und Liechtenstein erwiesen. Je nach Region wird er »Sura Käs«, »Surchäs« oder »Bloderchäs« genannt. Der Käsebruch wird in viereckige, gelochte Kisten geschöpft, was ihm seine typische quadratische Form verleiht. Dort bleibt er 24 Stunden zum Abtropfen, bevor er aus der Form genommen und gesalzen wird. Die Käselaibe, die zwischen sechs und acht Kilogramm wiegen, können bereits jetzt geviertelt und als frischer »Bloderchäs« verkauft werden. Er ist leicht brüchig und schmeckt angenehm milchig-säuerlich. Manchmal werden die Käse allerdings länger gelagert. Während der Reifephase entsteht auch hier ein Schimmelrasen auf der Käseoberfläche. Der sogenannte Bart wird immer wieder abgeschabt, woraufhin sich eine glasige Rinde bildet, die als Speck bezeichnet wird. Nach 80 Tagen Reifezeit hat der Käse rund 75 Prozent seines Gewichts verloren. Er ist bröckelig und schmeckt sehr intensiv: sauer, tierisch, erdig und manchmal leicht blumig. Heute wird er nur noch von Kennern geschätzt, die ihn gerne pur mit einem Stück Brot essen.

Erstaunliche Vielfalt

Ebenfalls der alpinen Sauermilchkäsetradition entstammt der Graukäse, der sich in Tirol und Südtirol noch einer gewissen Beliebtheit erfreut. Besonders im Ahrntal in Südtirol gehört Graukäse zur kulinarischen Tradition. Dort wurde sogar das Slow-Food-Präsidium »Ahrntaler Graukäse« eingeführt, um dieses wertvolle Traditionsprodukt zu schützen. Nach der Säuerung der Milch wird der Topfen auf rund 50 Grad erhitzt. Die Käseformen, in die er anschließend zum Abtropfen gepresst wird, fassen zwischen 500 Gramm und fünf Kilogramm. Die jungen Graukäselaibe reifen in einem warmen Keller, wodurch sich auf ihrer Rinde eine feine, graue Schimmelschicht bildet, die nicht entfernt wird – woher auch der Name Graukäse rührt. Dieser mit zunehmender Reife schärfer werdende Käse wird zu verschiedenen Spezialitäten verarbeitet: Man macht Kaspressknödel, serviert ihn mit Blut- oder Bandnudeln oder macht ihn wie den »Sura Kees« mit Essig und Zwiebeln an.

Es stammen aber nicht alle Sauermilchkäse aus den Bergen: Ihre Herstellung hat auch im Flachland Tradition. Der Handkäse, zum Beispiel, stammt aus dem Rhein-Main-Gebiet in Deutschland und ist dort bis heute eine beliebte Spezialität. Topfen wird zu kleinen, rundlichen Käselaiben geformt und gereift, bis er außen speckig und innen noch leicht feucht ist. Früher wurden die Laibe von Hand geformt, je nach Käserhand waren sie unterschiedlich groß – so kam der Handkäse zu seinem Namen.

Ab in den Schwitzraum

Nach dem Formen kommen die Käse in den Schwitzraum, so genannt, weil er warm und feucht ist. Dort bildet sich auf ihrer Oberfläche eine dünne, trockene Haut. Während der weiteren Reifung von rund 40 Tagen werden die Handkäse regelmäßig mit Salzlake besprüht, die manchmal mit einer Rotschmier-Bakterienkultur versetzt wird. Fertig gereifter Handkäse wiegt zwischen 20 und 120 Gramm, er riecht feinwürzig und schmeckt mild. Die kleinen, speckigen Käse werden gerne in eine Vinaigrette aus Öl, Essig, Zwiebeln und Kümmel eingelegt und mit Brot serviert. Dieses Gericht heißt »Handkäse mit Musik«. Manchmal wird behauptet, dass damit auf Verdauungsgeräusche nach dem Verzehr des eingelegten Käses angespielt wird.

Dass die Käsesorten über die Jahrhunderte überlebt haben, ist kleinen Käsereien zu verdanken, die trotz der schwindenden Beliebtheit an ihrer Herstellung festgehalten haben. Heute ist der Sauermilchkäsekonsum vielerorts wieder im Aufschwung: Dank des geringen Fett- und hohen Proteingehalts ist er sehr gesund und findet in der Fitnessszene großen Anklang. Junger Sauermilchkäse ist wegen seines milden Geschmacks in süßen und herzhaften Gerichten beliebt, aber auch die gereiften Sorten sollte man nicht verpönen. Es gibt schließlich unzählige regionale Rezepte, um sie auch für ungeübte Gaumen in ein Geschmackserlebnis zu verwandeln.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2024

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Larissa Graf
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