Fachsimpeln über die Herausforderungen des Handels: Ali Celik und Margarete Gumprecht zu Gast im Delikatessengeschäft von Georg Leitenbauer in der Neubaugasse.

Fachsimpeln über die Herausforderungen des Handels: Ali Celik und Margarete Gumprecht zu Gast im Delikatessengeschäft von Georg Leitenbauer in der Neubaugasse.
© Xenia Trampusch

»Dann habe ich im Winter keine Erdbeeren«: Margarete Gumprecht und Ali Celik im Interview

In der Corona-Krise hat sich das Konsumverhalten der Wienerinnen und Wiener stark gewandelt – und das zum Besseren: Die Konsumenten werden mündiger, sagen die Wirtschaftskammer-Obleute Margarete Gumprecht und Ali Celik. Im Fokus stehen mittlerweile Regionalität und Qualität.

Falstaff: Das Konsumentenverhalten hat sich in der Krise stark gewandelt – und zwar nicht unbedingt zum Schlechten: Das Thema Regionalität hat an Bedeutung gewonnen. Ist das ein Trend, der anhält?

Margarete Gumprecht: Ja. Die Menschen haben während der Pandemie begonnen, sich bewusst im Grätzel umzuschauen. Man konnte keine weiten Wege zurücklegen, der öffentliche Verkehr war eingeschränkt. Da hat man entdeckt, welche tollen Produkte es vor der Haustüre gibt. Auch die Teuerung hinterlässt ihre Spuren. Die Menschen kaufen gezielter ein, werfen weniger weg, produzieren weniger Restmüll. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das wünschenswert. 

Ali Celik: Wir erleben immer öfter, dass Menschen mit einem Einkaufszettel kommen und sich vorher zu Hause genau überlegt haben, was sie benötigen. Da landen keine unnötigen Sachen im Einkaufswagerl. Und die Konsumenten kennen sich bei den Produkten besser aus als früher und wissen genau, wozu sie greifen. Sie agieren umweltbewusster – und damit auch selbstbewusster beim Einkauf. 

Gumprecht: Die Konsumenten wollen wissen: Woher kommen die Produkte? Wer hat’s gemacht? Wer steckt dahinter? Das ist ein wichtiger Faktor geworden. Selbst jene Menschen, deren Haushaltsbudget es nicht immer erlaubt, nur die feinste Ware zu wählen, schauen auf die Qualität – und reduzieren lieber bei der Quantität. Die Menschen wollen genießen.

Stellt das die Händler vor neue Herausforderungen?

Gumprecht: Ja, wir müssen den Fokus noch stärker auf Bioprodukte, Nachhaltigkeit und Fair Trade legen. Der Händler muss wissen, woher seine Produkte stammen, muss eine Geschichte erzählen können. So mancher Kunde würde beim Delikatessschinken ja am liebsten noch den Vornamen des Schweins erfahren …

Wien hat bei Gemüse und Obst einen hohen Selbstversorgungsgrad. Was braucht es, damit die Stadtlandwirtschaft so erfolgreich bleibt?

Gumprecht: Natürlich ist da die Stadtregierung gefordert, die unsere Landwirte unterstützen muss. Da geht es um die steigenden Energiekosten, aber auch um einen Schutz der landwirtschaftlichen Flächen, die man nicht für Bauprojekte freigeben darf. Und dann braucht es mehr Kommunikation. Viele Konsumenten wissen gar nicht, wie groß die Vielfalt an Produkten ist, die hier direkt aus der Region stammen. Wir haben Aquafischzucht, Pilze, Schnecken. Die Produzenten haben in den vergangenen Jahren viel Kreativität bewiesen. Das ist förderwürdig. Und dabei kann man auch gleich das Bewusstsein der Menschen für saisonales Einkaufen schärfen: Dann habe ich in Wien im Winter halt keine Erdbeeren!

Celik: Bis vor der Pandemie wollten viele Menschen alles haben, das es auf der Welt gibt – egal, wo und zu welcher Jahreszeit. Da ist ein Umdenken passiert. Das ist unsere Chance, im Handel die Wege zu verkürzen und dort, wo es geht, auf Ware aus dem Ausland zu verzichten. Bedenken Sie, dass etwa Gemüse aus der Türkei oder aus Spanien vier Tage oder länger benötigt, bevor es überhaupt bei uns in Wien ist. Einheimische Produkte sind demgegenüber immer frischer und besser. Dafür müssen wir die heimischen Produzenten aber richtig unterstützen: bei den Transportkosten, bei den Energiekosten, aber auch im Kampf gegen den Fachkräftemangel und mit Blick auf die hohen Lohnnebenkosten. Von Letzterem ist gerade auch die Gastronomie in großem Maße betroffen, das spüren wir im Lebensmittelgroßhandel direkt.

Inwiefern?

Celik: Gerade bei uns am Großmarkt fragen Gastronomen immer öfter bereits geschältes, geschnittenes und fertig abgepacktes Gemüse an. Viele Wirte können es sich nicht mehr leisten, Personal zu beschäftigen, das den ganzen Tag lang Kartoffeln schält oder Zwiebeln schneidet. Das sind Tätigkeiten, die an uns ausgelagert werden. 

Werfen wir einen Blick auf die Wiener Einkaufsstraßen: In manchen läuft das Geschäft gut, andernorts hapert es am Branchenmix und an der Kundenfrequenz. 

Gumprecht: Eines der größten Probleme auf jenen Einkaufsstraßen, die nicht so gut funktionieren, ist der Leerstand. Wenn es zu viele Leerstände gibt, kann das ein ganzes Grätzel schwer in Mitleidenschaft ziehen. Hier bräuchte es Möglichkeiten, rascher um Förderungen anzusuchen, damit man leerstehende Geschäftslokale schnellstmöglich umbauen und neu verpachten kann. Die Wirtschaftskammer Wien hat sich mit dem Projekt »Meinkaufstadt« zum Ziel gesetzt, genau da Unterstützung zu liefern. Wir fördern nicht mit der Gießkanne, sondern konkret in jenen Grätzeln, in denen es derzeit nicht ohne Hilfe geht. Das ist ein Signal an die Wirtschaftstreibenden, aber auch an die Konsumenten, die wir dazu ermutigen wollen, vor Ort einzukaufen.

Beim Gespräch in »Leitenbauers Feinkostimbiss« im 7. Bezirk: Die Wirtschaftskammer-Funktionäre Ali Celik und Margarete Gumprecht mit Falstaff-Chefredakteur Christoph Schwarz.
© Xenia Trampusch
Beim Gespräch in »Leitenbauers Feinkostimbiss« im 7. Bezirk: Die Wirtschaftskammer-Funktionäre Ali Celik und Margarete Gumprecht mit Falstaff-Chefredakteur Christoph Schwarz.

Die großen Konkurrenten sind und bleiben die Einkaufszentren …

Gumprecht: Ja, da herrscht in Österreich ein Überangebot. Eine Zahl, die das verdeutlicht, ist die Verkaufsfläche pro Kopf, über die der Einzelhandel hierzulande verfügt. Da ist Österreich mit circa 1,6 Qua­dratmetern pro Person europaweit führend. Ich bin übrigens nicht grundsätzlich eine Gegnerin von Einkaufszentren, da gibt es auch sehr gute reichhaltige Angebote. Früher war es ein besonderes Erlebnis, dort hinzufahren. Aber dieser Trend ist zu Ende, jetzt bewegen wir uns in die Gegenrichtung. Heute ist es ein Erlebnis, beim kleinen Händler persönlich betreut zu werden.

Die persönliche Beratung ist eine der letzten Stärken, die der Einzelhandel gegenüber dem Onlinehandel hat.

Celik: Auch das ist eine Entwicklung, die wir während der Pandemie beobachten konnten: Die Konsumenten informieren sich zwar online, kaufen aber stationär ein. Sie schätzen die persönliche Beratung und das Service, wollen Produkte fühlen, riechen, verkosten und schmecken. Für so manchen Händler sind die Stammkunden ja fast wie Familie. Man kennt einander, hilft einander, kann den Wohnungsschlüssel hinterlegen, ein Paket abgeben.

Gumprecht: Wir haben in unserem eigenen Betrieb zugleich gemerkt, wie wichtig der Onlineauftritt ist. Wir haben die Öffnungszeiten unserer Pferdefleischereien verkürzt und vergessen, die Zeiten online anzupassen. Plötzlich standen Kunden vor verschlossener Tür und waren verärgert, weil sie sich extra vorab online informiert hatten, ob sie um 16 Uhr noch einen Leberkäse oder ein paar Leckerli für den Hund bekommen. Ich habe damals in Sachen Digitalisierung viel dazugelernt.

Kann es sich ein Unternehmer noch leisten, keine Website zu führen?

Gumprecht: Ich rate auch den kleinsten Betrieben, unbedingt einen digitalen Fußabdruck zu hinterlassen. Klar, nicht jeder benötigt einen hochprofessionellen Auftritt samt Onlineshop. Oft reicht eine kleine Website, die zeigt, welche Produkte oder Dienstleistungen ich anbiete. Aber man muss im Internet gefunden werden. Der Handel ist das älteste Gewerbe der Welt – auch wenn es da vielleicht noch andere gibt, auf die das zutreffen könnte (lacht) – und musste daher schon oft beweisen, dass er mit dem steten Wandel der Gesellschaft zurechtkommt. Darum sind unsere Händler auch sehr innovativ und erfinderisch.

Wo in Wien gehen Sie selbst gerne einkaufen?

Celik: Der Schwedenplatz und seine Umgebung funktionieren wahnsinnig gut, mit dem Donaukanal, den Schiffen, den Freiflächen, der guten Verkehrsanbindung. Da treffen sich Jugendliche und Touristen, dort fühlt man sich unterhalten.

Umstritten ist in Wien bis heute die Sonntagsöffnung. Da füllen türkische Bäckereien derzeit eine Lücke. Sie sind oft der einzige Ort, an dem man am Sonntag einkaufen kann.

Gumprecht: Ein heikles Thema! Die Bäckereien dürften am Sonntag offen halten, solange sie produzieren. Hut ab vor den vielen türkischen und auch österreichischen Bäckereien, die da so fleißig sind. Wir müssten aber eine viel breitere Debatte über das Öffnungszeitengesetz führen. Wien ist die einzige Großstadt, die bis heute keine Tourismuszonen hat, obwohl wir bundesweit der Tourismusmagnet Nummer eins sind. Ich denke, die Zeit wird kommen, in der an der Liberalisierung der Öffnungszeiten kein Weg mehr vorbeiführt. Auch im Sinne der Work-Life-Balance der Mitarbeiter. Es gibt viele Menschen, die gerne am Sonntag arbeiten würden. Etwa, weil sie sich dann mit ihrem Partner bei der Kinderbetreuung besser abwechseln könnten.

Celik: Ich habe großen Respekt davor, dass der Sonntag in Österreich ein Feiertag ist. Aber für unsere kleinen Händler bedeutet das einen Wettbewerbsnachteil etwa gegenüber den Tankstellen oder den großen Ketten, die an Verkehrsknotenpunkten wie Bahnhöfen am Sonntag alle möglichen Waren verkaufen, nicht bloß das Nötigste. Zumindest für Familienbetriebe, die unter der Woche ohnehin kaum eine Chance gegen den Discounter oder die großen Ketten haben, würde ich mir liberalere Öffnungszeiten am Wochenende wünschen.

Gumprecht: Ich denke, gerade die Wiener würden dieses Angebot gerne nutzen. Sie ticken da anders als die Menschen in den Bundesländern: Hier in der Großstadt wird nicht auf Vorrat gekauft und vorgeplant wie in ländlicheren Regionen, hier besorgt man sich die Produkte jeden Tag frisch. Der Wiener weiß heute noch nicht, worauf er morgen Gusto hat. Und er kauft auch
gerne einmal nur fünf Deka Wurst. Für mich als Oberösterreicherin war das anfangs unvorstellbar.


Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Erschienen in
Falstaff Wien Special

Zum Magazin

Christoph Schwarz
Christoph Schwarz
Chefredakteur
Mehr zum Thema