Kein Widerspruch: Der frischeste Fisch – im Hafen unmittelbar nach dem Fang in bestem Öl eingelegt – kommt heute vielfach aus der Dose.

Kein Widerspruch: Der frischeste Fisch – im Hafen unmittelbar nach dem Fang in bestem Öl eingelegt – kommt heute vielfach aus der Dose.
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Dosen-Delikatessen: Wie konservierter Fisch zum Foodtrend wurde

Spaniens Lage an zwei Meeren machte konservierten Thunfisch schon in der Antike zur Delikatesse. Er ist aber nicht der einzige Meeresbewohner, der Gourmets erfreut.

Sind die Ski erst abgeschnallt, wird es mediterran im Zillertal. In der ersten »Sardinenbar Tirols« lädt man dann zu Champagner und Dosenfisch. Für »Zillertalerhof«-Hotelier Franz-Josef Perauer hat der Brückenschlag von Mayrhofen ans Meer »eine wunderbar positive Resonanz gebracht«. Mittlerweile haben sich die Dosen auch abseits der Bar als Vorspeise oder Zwischengericht durchgesetzt und selbst die gut 70 Kilometer von Innsbruck scheuen Fans von Sardinen und Muscheln nicht. »Außergewöhnlich und sehr trendig« sei dieses Angebot aus der Konserve allemal, resümiert Perauer. Und er ist längst nicht der einzige Gastronom, der den Geheimtipp vieler Delikatessenläden ganz selbstverständlich auf der Karte führt.

Maki mit Dosen-Sardine

Simon Xie Hong, mit seinem »ON« immer schon ein Vordenker zeitgemäßer Asia-Küche, serviert etwa Baby-Shirashi-Sushi mit Jahrgangssardinen. In der Wiener Wehrgasse kommen aber auch Sardellen-Maki auf den Tisch. Es sind kulinarische Inszenierungen wie diese, die zur Popularität des eingelegten Fischs beigetragen haben. »Nur Dose auf und Brot dazu ist zu wenig«, formuliert es der auf die Edelkonserven spezialisierte Händler Daniel Rietdorf. Die berühmten »Moules frites« ließen sich etwa auch mit marinierten Miesmuscheln zu den Pommes frites servieren, gibt der im deutschen Hanau ansässige Rietdorf ein weiteres Beispiel.

Sosehr der Geschmack des Meeres geschätzt wird, der einen Dose für Dose an die Küsten »beamt« – semantisch hat sich das noch nicht abgebildet. »Fischkonserven waren doch diese etwas angestaubten Notreserven aus der hintersten Ecke des Küchenschranks«, fasst Daniel Rietdorf das Imageproblem zusammen. Ganz bewusst hat er daher eine andere Bezeichnung für sein Unternehmen gewählt. »Maritime Zeitkapseln« nennt der studierte Biologe seinen Spezialhandel, der ausschließlich händisch verarbeitete Meerestiere nach Deutschland bringt. Rietdorf sieht konkret einen zweigeteilten Markt: »Die Heringskonserven-Fraktion, die eher den Preiseinstieg sucht und die Sardinenfans, die ihre Produkte im Delikatessenhandel finden«.

Heute sind es drei Länder, die sich die Edelkonserven teilen. Portugal als größter Erzeuger steht wie Frankreich vor allem für die (Jahrgangs-)Sardinen, während Anchovis und Muscheln aus Galizien sowie Thunfisch aus Andalusien Spaniens Spezialitäten darstellen. Doch auch das Binnenland Österreich mischt kräftig mit im Konserven-Business. Die »Conserveria Pinhais« in Matosinhos stellt seit 103 Jahren nahezu unverändert Sardinendosen unter dem Namen »Nuri« her. 

Binnenland fischt mit

Gerettet hat dieses Kulturgut Jakob Glatz, dessen Familienunternehmen über Generationen die Dosen importierte. 2016 erwarb man die Manufaktur zur Gänze. Mehr noch: Mit einem Shop in der Wiener Herrengasse verfügt der einst wenig mondäne Dosenfisch nun über einen »Flagship Store«. Denn längst sind die Fische ein gesuchtes Gut. Ihr hoher Marktpreis entsteht dort, wo man sich mit Fischen bestens auskennt: in den küstennahen Auktionshallen. »Die Verarbeitung erfolgt ausschließlich handwerklich. Natürlich gehören hierzu lokale Olivenöle und ausschließlich frische Fische«, so Dosenkenner Rietdorf. 

Wer etwa »Atún Rojo Balfegó« ordert, bekommt den begehrtesten Teil des Thunfischs. Sushi-Köche der ganzen Welt ordern den »o-toro« (Bauchlappen), der als frischer Fisch etwa auch bei Juan Amador in seinem Drei-Stern-Restaurant in Wien verarbeitet wird. Doch der Hersteller aus dem katalonischen L’Ametlla de Mar bietet ihn auch als Konserve an: Für 40 Euro die Dose erhält der Konsument bei Balfegó 230 Gramm der Delikatesse, in Meersalz und Bio-Olivenöl eingelegt. 

Antike Fischermethode

Spaniens maritime Geografie prädestiniert das Land für jene Fische, die sich am häufigsten in der Dose wiederfinden. Sind es in Galizien die Flussmündungen (Rías), die unterschiedliche Salz- und Nährstoffgehalte für viele Arten von Muscheln und Sardinen bieten, gruppieren sich die Thunfischfischer rund um Tarifa. Denn auf ihrem Zug von den kalten Meeresregionen zu den Laichplätzen im Mittelmeer müssen die Tiere an Gibraltar vorbei. Es waren die Phönizier, deren exzellente Kenntnis der See sie die ersten Fischerkolonien in Andalusien einrichten ließen.

»Almadrabas« nennen sich die ausgeklügelten Systeme entlang der Küste, die im Zusammenspiel mit langen Stellnetzen und mehreren Booten eine Art Sackgasse für die Thunfisch-Schwärme errichten. Der Begriff der Fischer auf Sardinien – hier war lange die Insel San Pietro die Quelle für besten Dosenthunfisch – beschreibt deutlich, was danach folgt: »Mattanza« oder: das Gemetzel. Wobei diese Bezeichnung in die Irre führt, denn die althergebrachte Methode schont die Bestände im Gegensatz zu Fangschiffen mit Schleppnetzen, die mit moderner Technik (»Schwarmradar«) den nordatlantischen Thunfisch brutal überfischten. Die handwerkliche Fischerei mit Fallen (»almadrabas«) hat nur minimale Umweltauswirkungen, attestiert selbst der World Wildlife Fund (WWF) der historischen Fangmethode ebenso wie der Angelleinenfischerei.

Alternative zu Thunfisch

»Je kleiner und je billiger der Fisch, desto weniger gefährdet und belastet ist er«, formuliert es angesichts der schwindenden Bestände an Thunfisch Marwan Saba. Für die formschönen Konserven seines Wiener Unternehmens »Pyscis« zählen absolute Spitzenqualität und limitierte Auflagen – aber lieber von Sardine und der Fregattmakrele. Die kleinen Filets werden in La Tarifa von Hand entgrätet, enthäutet und pariert, ehe sie mit andalusischem Olivenöl aufgegossen und leicht gesalzen werden. Mitunter sind es keine 900 Dosen, die unmittelbar neben dem Fischerhafen eingelegt werden. Diese Delikatessen sind gefragt. Mittlerweile gehen die Dosen, die es bei »Joseph Brot«, »Unger & Klein« oder im »Café Rosegger« in Leibnitz gibt, in 13 Länder.

Marwan Sabas Kriterienkatalog, um als Konsument sorgsam behandelte Fische oder Muscheln zu erkennen, besteht aus wenigen Fragen: »Ist die Haut unversehrt beziehungsweise die Muscheln nicht gebrochen, die Farbe natürlich und ansprechend? Wirkt der Geruch einladend und sind Geschmack und Mundgefühl ein Genuss?« Gänzlich sicher, so der »Pyscis«-Gründer, mache eine Parallelverkostung einer guten und einer billigen Konserve nebeneinander; »das kostet sehr wenig und gibt jedem sofort einen klaren Eindruck von Qualitätsunterschieden«.


 

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2023

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Roland Graf
Autor
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