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Fermentation: Der Sommer im Winter

Lange schien es eine verlorene Kunst, doch seit ein paar Jahren geht es nicht mehr ohne: Fermentation. Aber was genau bedeutet das eigentlich? Und was ist der Unterschied zum Einlegen? Viele Fragen – wir haben die Antworten.

Was haben Essig, Bier und Brot gemeinsam? Sie alle sind Ergebnisse von Fermentation. Das ist eine Kulturtechnik, die bis zurück zu den Anfängen der Menschheit führt: Schon vor 13.000 Jahren haben Menschen mithilfe von Fermentation ihre Lebensmittel haltbar gemacht. In der Rakefet-Höhle im Norden von Israel wurden Mörser und Gefäße entdeckt, in denen Rückstände gefunden wurden, die darauf schließen lassen, dass die Menschen damals schon ein mehrstufiges Verfahren nutzten: vom Mälzen über Maischen bis zum Brauen.

Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, Lebensmittel zu fermentieren: Hefe- und alkoholische Gärung, enzymatische ­Umwandlung, Edelschimmel, Milchkefir, Milchsäuregärung, Wasserkefir, Essigsäure­gärung und Kombucha. Welche Art der Fermentation man wählt, liegt einerseits am Produkt, das man veredeln will, andererseits an dem Geschmack, der erzielt werden soll.

Fermentierte Beeren

»Ich fermentiere alles, was die Saison hergibt«, sagt Rico Birndt, Sternekoch aus dem »Mural Farmhouse« in München. Nur so lasse sich der Sommer in den Herbst und Winter retten. Zum Beispiel seine Himbeeren, aus denen er ein Eis herstellen will. »Wenn ich die einlege, dann entwickelt sich eine enorme Geschmackstiefe«, sagt er. Das geschehe dank der Lacto-Fermentation. Das ist eine der gängigsten Techniken, Lebensmittel zu verfeinern – so wird Fermentieren auch oft genannt. Außerdem macht man sie dabei auch haltbar.

Lacto-Fermentation kann man auch als Milchsäuregärung bezeichnen. Was dabei passiert: »Bei der Lacto-Fermentation werden Kohlenhydrate durch Milchsäurebakterien verstoffwechselt«, schreiben Antje de Vries und Anne-Cathrine Preißer in ihrem Buch »Fermentation«. Dabei sei es egal, ob die Kohlenhydrate aus der Lactose oder Saccharose oder Fructose stammen. Auch Proteine können verstoffwechselt werden.

Lacto-Fermentation

Birndt legt seine Himbeeren mit zwei Prozent Salzanteil luftdicht in einen Vakuumbeutel ein. Nach fünf bis sieben Tagen bläht sich der Beutel auf, dann ist die Gärung abgeschlossen. Konkret haben sich in der Woche, in der die Himbeeren die Luft angehalten haben, die Stärke und der Zucker zu Säure zerlegt. Der höhere Säurewert sorgt dafür, dass sich der Geschmack und auch die Konsistenz der Himbeere verändern. Aber auch die Haltbarkeit. »Da saure Medien für viele Organismen, darunter gesundheitsschädliche Mikroorganismen wie Escherichia coli oder Salmonellen, keine günstigen Wachstumsbedingungen bieten, sind fermentierte Produkte im Vergleich zu den Rohstoffen immer länger haltbar«, schreiben Vries und Preißer.

Obwohl Menschen schon seit so langer Zeit fermentieren, hat es bis 1857 gedauert, bis Louis Pasteur (genau, der Mann, nachdem das Pasteurisieren benannt ist) den Prozess wissenschaftlich nachvollziehbar machte. Er verstand die Aufgaben von Bakterien in der Fermentation und beobachtete, dass es besonders gut funktioniert, wenn die Rohstoffe sauerstofffrei eingelegt sind. Wenn der Vakuumbeutel sich aufbläht, füllt Rico Birndt die Himbeeren in ein Weckglas, dämpft das Ganze ab, damit sie nicht weiter fermentieren und lagert sie ein, bis sie im Herbst zum Einsatz kommen.

Neben der Haltbarkeit und dem veränderten Geschmack haben fermentierte Produkte auch einen Einfluss auf die Gesundheit: Beim Fermentieren werden Mikroorganismen vorverdaut, das sorgt dafür, dass Nährstoffe besser verfügbar sind, was sowohl Darmflora als auch Immunsystem freut. Außerdem zerstört die Fermentation einige Toxine: Oliven etwa werden erst durch das Einlegen verträglich.

Fermentierte Drinks

Michael Peceny ist im »Tian« in Wien für die alkoholfreie Getränkebegleitung zuständig. Seine Lieblingswaffe ist – eh klar – die Fermentation. »Die Getränke bekommen dadurch eine schöne Säure, sind leicht verträglich und vielschichtig«, sagt er. Ganz egal, ob es ein klassisches Kombucha ist, ob er eine Essiglimonade macht oder Amazake, ein traditionell japanisches Getränk, das er mithilfe des Pilzes Koji herstellt: Fermentierte Drinks helfen dabei, eine interessante Alternative zur Weinbegleitung zu servieren, sagt Peceny. Und noch etwas: »Weil wir so viel einlegen, werfen wir im Restaurant kaum etwas weg.«

Ein bisschen ein Überraschungsspiel sei das Fermentieren aber für ihn manchmal, sagt Rico Birndt. Er erinnert sich etwa, dass einmal eines der Weckgläser nach dem Eindampfen nicht ganz dicht verschlossen gewesen war. Das habe dazu geführt, dass die Zitrusfrüchte munter weiter fermentierten. »Als ich es dann probiert habe, haben die Dinger nach Maracuja geschmeckt. Jetzt legen wir die Kumquats nur noch so ein.« Fazit: Die Fermentation ist mit Sicherheit die Zukunft neuer Geschmackswelten.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2023

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