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Gasthaus »Zum Vaas« in Forstinning: Wie Wirtshaustradition bestehen kann

Ohne unnötige Coolness und gewollt moderne Konzepte: Das Gasthaus »Zum Vaas« basiert auf echten Traditionen und Werten. Vom viel besprochenen »Wirtshaussterben« kann hier keine Rede sein.

Die Sonne flirrt Mittags durch die dichten Blätter der großen Linde im Gastgarten von »Zum Vaas« in Forstinning. Sie wirft sanft tanzende Schatten auf die stoff-gedeckten Gartentische zwischen Verbene-Stöcken und prachtvollen Hortensien. Die Tische werden sich schnell füllen, mit frisch gezapftem Bier, einer Flasche Winzerchampagner am Nebentisch, krossem Schweinebraten und einer feinen Interpretation von Salat Niçoise mit Bohnen aus dem eigenen Garten und Wildfang-Garnelen. An einer großen Tafel feiert eine glückliche Gesellschaft mit Jung und Alt die standesamtliche Hochzeit.

Vom viel besprochenen »Wirtshaussterben« kann hier keine Rede sein. So herausfordernd es für viele Traditionsgasthäuser ist, ihr Klientel nicht an moderne Konzepte, Länderküchen-Restaurants und bunte Teller-Akrobatik zu verlieren: hier, eine knappe halbe Auto-Stunde östlich von München Richtung Passau zeigt die Familie Bauer, wie alternativlos gut ein Gasthaus sein kann, dass sogar die Münchner trotz Überangebot in der Stadt am liebsten rausfahren.

Familiäre Tradition seit 1864

Wie viele Geschichten die gemütliche Gaststube hier wohl zu erzählen hat? Sicherlich alle. Seit 1864 ist »Zum Vaas« in Familientradition geführt. Die Geschwister Veronika und Johannes Bauer sind die vierte Generation, die Gasthof und Hotel an der großen Kreuzung in Forstinning betreiben. Und keineswegs sah es in den fast 160 Jahren immer rosig aus. Abgesehen von den geschichtlichen Herausforderungen kamen auch wirtschaftliche und familiäre Aufs und Abs hinzu – eine bewegte Geschichte, die die Räumlichkeiten und Atmosphäre heute vielleicht so nahbar machen, weil rund um diesen Kachelofen schon immer alle gleich waren.

Seit 1864 ist »Zum Vaas« in Familientradition geführt
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Seit 1864 ist »Zum Vaas« in Familientradition geführt

Am Vormittag widmet sich Oma Liselotte Bauer akribisch der frischen Blumenauswahl für die Tisch-Vasen. Mit Adleraugen und Effizienz sortiert sie welke Zweige aus. Schließlich ist sie kurz davor für alle Mitarbeiter von Service und Küche nach individuellem Wunsch noch ein paar Brote zur Stärkung zu schmieren, die Kartoffeln für den heutigen Salat zu pellen – und später ein Auge auf die Enkel zu werfen, die von der Schule kommen und am Stammtisch ihre Hausaufgaben machen. Mit flinker Leichtigkeit wird sie später trotzdem durch die Stube huschen und den Gästen ihren Wunsch nach einem weiteren Schnitt von den Augen ablesen.

Veronika und ihr Bruder Johannes kennen ihre vielen Stammgäste so gut wie ihren mehr als interessanten Weinkeller und behandeln sie auch gleichermaßen gut und pragmatisch.

Die attraktiven Preise für die Weine, die über die Jahre durch Beziehungen gewachsen sind, werden weitergegeben – warum denn auch nicht? Es soll jeder Freude daran haben und die Weine dürfen ruhig getrunken werden. Werden sie auch (aus guten Weingläsern!) – und zwar von der gesammelten Gastronomie und Sommelier-Riege aus der Stadt, derer man hier sonntags meistens einige antrifft.

 

 

Kulinarik, die so gut ist, dass sie nicht prahlen muss

Während Johann Bauer Senior im Gastraum den Sportteil der Zeitung liest, dringen aus der Küche die geschäftigen Geräusche der täglichen Vorbereitung. Sein Schwiegersohn und Küchenchef Philipp Schneider kocht, wie es nur jemand kann, der sein Handwerk beherrscht und zugleich gelassen genug ist und so viel Wert auf guten Geschmack legt, dass er sein Ego am Pass beiseitelassen kann. Eine rare Fähigkeit unter Köchen, wo es leider doch oft darum geht, optisch zu zeigen, was man vermeintlich kann. So wird schnell einmal aus dem Auge verloren, worum es eigentlich geht. Philipps Motto scheint zu sein: Ästhetik ja, (und was für eine!) – aber nie auf Kosten von Qualität und Geschmack.

Veronika präsentiert den hauseigenen Garten. Ein Traum aus mehreren Tomaten-Gewächshäusern, einem Kürbis- und Gurkenfeld und essbaren Blüten, die sie jeden Vormittag »schnell« für die Küche sammeln geht. Ein gackerndes Heer verschiedener seltener Hühnerrassen läuft hier mehr oder weniger frei herum. Die Eier kommen hauptsächlich in die Spätzle, und natürlich auf den Frühstückstisch für die Hotelgäste »weil die einfach besser sind«. Angebaut wird hier, was gut wächst und irgendwie auch Spaß macht. Verwendet wird alles, was sinnvoll ist, aber ohne den Anspruch, das Gasthaus selbst komplett zu versorgen. Zwei flauschige Hasen wohnen es auch auf der großen Wiese – die sind aber selbstverständlich »nur zum Streicheln für die Kinder«, erzählt Phillip Schneider mit einem Augenzwinkern.

 

Hier wird einfach gut gekocht und sich herzlich um die Gäste gekümmert.

Nachhaltigkeit im besten Sinne

»Zum Vaas« ist ein großer Betrieb. Bis zu 100 Gäste sind zu Peak-Zeiten Mittags oder Abends keine Seltenheit, und die Speisenauswahl auf Tageskarte und auch bei den Klassikern ist nicht riesig, aber umfangreich. Logistisch funktioniert das alles, weil hier jeder mit anpackt – sei es Familie oder Mitarbeiter. Das ganze Team isst jeden Tag gemeinsam zu Mittag, nach dem Service in der Gaststube. Ein schönes Symbolbild für die Augenhöhe, die hier herrscht – zwischen Familie und Mitarbeitern, und auch zwischen Gasthaus und Gästen.

Ein Ort also, an dem all das selbstverständlich ist, worüber alle reden: Saisonale Küche bei perfekt ausgeführtem Handwerk, freundlicher Service, wertschätzender Umgang mit den Mitarbeitern, Lebensmittel aus dem eigenen Garten – »Nachhaltigkeit«.

Ist »Zum Vaas« ein gutes Beispiel für ein »modernes« Gasthaus? Ja, im besten Sinne. Und zwar ohne unnötige Coolness und gewollt moderne Konzepte, sondern basiert auf echten Traditionen und Werten und auf der viel genannten »Authentizität«, menschlich wie kulinarisch. Hier ist nichts kaputt gedacht und auf modern gemacht. Hier wird – so einfach es klingt – einfach gut gekocht und sich herzlich um die Gäste gekümmert.


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