© Herbert Lehmann

Gemischter Satz: Wilde Mischung

Im Fahrwasser des höchst erfolgreichen Modells des Wiener Gemischten Satzes DAC erlebt dieser eine Renaissance.

Zu Beginn dieser aktuellen Bestandsaufnahme bedarf es einer Abklärung des Begriffs »Gemischter Satz«, denn dieser hat verschiedene Bedeutungen. Am Anfang steht der Weingarten selbst.
Heute ist es in Österreich allgemein üblich, in einem Weingarten reinsortig auszupflanzen, dass heißt in einer klar begrenzten Parzelle wächst eine einzige Rebsorte. Das macht es dem Winzer leichter, diesen Rebberg zu pflegen und auf die speziellen Bedürfnisse einer Sorte exakt einzugehen. Denn aufgrund ihrer spezifischen Unterschiede verlangen alle Reb-arten ihre maßgeschneiderte Behandlung vom speziellen Schnitt bis zur Wahl des Lesezeitpunkts.
Doch das war nicht immer so: Bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein waren sämtliche Weingärten mit einer mehr oder weniger bunten Mischung von Sorten bepflanzt, die in der damals üblichen Pfahlerziehung bewirtschaftet wurden. Meist standen mehr als 10.000 Reben auf einem Hektar, und diese lebten in friedlicher Koexistenz, die man den Gemischten Satz nannte.
Im Laufe der Jahrhunderte hatten sich stets regionale Weinsorten als besonders geeignet herausgestellt, die dann von den Winzern verstärkt vermehrt wurden. Das konnte unter besonderen Bedingungen sogar dazu führen, dass in es in gewissen Regionen schon früh zur Ausbildung von Leitsorten kam. Ein gutes Beispiel ist die Dominanz des Rieslings im Rheingau, für dessen Aufkommen auch die spezielle Struktur des Weinbaus in der Hand von großen aristokratischen Domänen ausschlaggebend war.
In Österreich wurde der Weinbau in kleinen Einheiten betrieben, eine Vielzahl an Winzern bewirtschaftete überschaubare Flächen und war bis zur Grundentlastung 1849 noch abgabepflichtig. Und da stand der Faktor Ertragssicherheit an erster Stelle. Wollte man diesbezüglich auf Nummer sicher gehen, dann war der Gemischte Satz erstes Gebot.
Pflanzte man frühreife Rebsorten neben spätreifenden, säurearme neben säurereichen, neutrale neben Bukettsorten, dann konnte man am Ende des Jahres höchstwahrscheinlich ein gewisses Quantum an Wein ernten. Verließ man sich auf eine einzige Sorte, so war man in vielen Jahren am Ende oft der Dumme. Daher waren sortenreine Auspflanzungen, um deren Vorteile man in Bezug auf die Weinqualität sehr wohl wusste, sehr lange die große Ausnahme von der Regel, denn sie setzten auch eine wirtschaftliche Unabhängigkeit des Grundbesitzers voraus. Erst mit dem Entstehen von Musterweingütern wie jenem von Erzherzog Johann in der Steiermark und den ersten Weinbauschulen wurden Voraussetzungen geschaffen, die das Blatt wendeten.

Das tatsächliche Ende für einen Großteil der heimischen Mischanlagen kam schließlich durch eine Katastrophe. 1867 trat in Klosterneuburg erstmals die Reblaus auf, ein Schädling, eingeschleppt aus Nordamerika, der die Weingärten fast zur Gänze vernichtete und das Neuauspflanzen auf resistenten amerikanischen Unterlagsreben notwendig machte. Nun schlug die Stunde des Reb­schulgewerbes, die Nachfrage nach geeignetem Pflanzmaterial war enorm.
Die Reblaus veränderte den österreichischen Weinbau nachhaltig, die Zahl der reinsortig gepflanzten Weingärten stieg schlagartig an. Bei dieser Gelegenheit wurden auch zahlreiche Rebsorten ausgemustert. Diese Revolution in den Weingärten sollte sich in Österreich ein weiteres Mal wiederholen, nämlich mit der fast flächendeckenden Einführung der Lenz-Moser-Hochkultur. Nun verschwand auch der große Rest der noch bestehenden Mischsatzanlagen und die Zahl der kultivierten Rebsorten nahm weiter ab.
Es ist wohl den Wiener Heurigen geschuldet, dass der Gemischte Satz heute noch existiert, denn es waren diese populären gastronomischen Einrichtungen, die ihn als Weinkategorie am Leben hielten. Tatsächlich haben im Wiener Weinbaugebiet Anlagen mit verschiedenen Rebsorten an einem Standort eine lange Tradition, die hier nur dank der Buschenschenken überleben konnte, die diese oft undefinierbaren Kreationen offen und als G’spritzten verkauften.
Dass in den vergangenen Jahrzehnten aus dieser Weinkategorie eine Spezialität von höchster Güte entwickelt wurde, die sogar mit einem DAC geadelt wurde, ist das Verdienst einiger engagierter und visionärer Wiener Winzer, die die Einmaligkeit dieser Gelegenheit erkannt haben. Dank strikter Spielregeln ist der Wiener Gemischte Satz nun die Speerspitze dieser Weinkategorie und hat mitgeholfen, in jüngerer Zeit so manchen uralten Mischweingarten auch in anderen Weinbauregionen vor der endgültigen Rodung zu bewahren. Mehr noch: Der Wert von alten Anlagen wird heute wieder geschätzt, vereinzelt werden auch wieder neue Gemischte Sätze angelegt.
Wenn ein Winzer einen Wein aus verschiedenen Rebsorten komponieren will, warum macht er dann nicht einfach eine Cuvée, also einen Verschnitt aus einzelnen Weinen? Der Unterschied zwischen einem Gemischten Satz und der Cuvée ist eklatant: Bei einem klassischen Gemischten Satz entsteht die Mischung im Weingarten und nicht im Keller. Eine Vielzahl an Sorten, zumindest aber drei, wächst an einem Standort, auf einem speziellen Terroir. Alle Trauben werden ohne Rücksicht auf die speziellen Eigenheiten der Sorte an einem Stichtag zusammen geerntet und zusammen verarbeitet.

Der Erfolg des Wiener Gemischten Satzes DAC macht auch manchen Winzern in anderen Regionen Lust, diese oftmals vernachlässigte Weinkategorie wieder ins Rampenlicht zu stellen.

Kein anderer Weinstil wird daher den Charakter eines Weinjahrgangs so gut abbilden wie ein Gemischter Satz. Die Geschmacksrichtung und das Volumen können natürlich von der Gewichtung der gepflanzten Rebsorten abhängen.
Laute und aromatische Sortenanteile wie Muskateller oder Traminer werden sich schon bei kleineren Anteilen aromatisch bemerkbar machen, Riesling, Sauvignon Blanc und Co. werden für das nötige Säuregerüst forciert, Burgundersorten sorgen für Stoffigkeit. So gesehen legt der Winzer die künftige Cuvée durch die Auswahl und Gewichtung der Rebsorten beim Auspflanzen der Anlage für die Zukunft fest, er gibt eine Grundausrichtung vor.
Am Ende entstehen immer ganz individuelle Produkte. Diese handeln von Herkunft, von einem speziellen Ort in einer Region und bieten dem Verkoster eine Vielschichtigkeit an Nuancen an, die er so in einem reinsortigen Wein kaum antreffen wird.
Falstaff hat Weine aus Gemischtem Satz aus so gut wie allen Weinregionen aufgespürt und verkostet und eine faszinierende Vielfalt an Stilen angetroffen. Von leicht und spielerisch bis komplex, tiefgründig und lagerfähig spannt sich der Bogen, der vom Weinviertel bis in die Südsteiermark reicht. Es sind Weine mit viel Charakter.

Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2019

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Peter Moser
Peter Moser
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