«Roots Kitchen»: Neue Massstäbe bei pflanzlicher Ernährung

Vegan kochen, ohne es zu predigen – noch vor wenigen Jahren unvorstellbar. Die Macher von «Roots Kitchen» setzen hierbei in Zürich seit acht Jahren neue Massstäbe und betreiben sogar erfolgreich eine Firmenkantine.

Penne Bolognese – natürlich gänzlich ohne tierische Produkte. Dazu ein erfrischender Hibiskus-Eistee mit Brombeeren, Apfel, Limette, Thymian und Minze. Montagmittag in der öffentlichen Kantine der Schweizer Sportfirma On. Beton, Eichenholz und Chromstahl dominieren den lichtdurchfluteten Raum. Der englischsprachige Koch Matty schöpft Teigwaren und eine Sauce mit schönem Glanz. Geriebener Käse darf nicht fehlen. Käse? Es ist ein Parmesan-Ersatz aus Mandeln, der geschmacklich eine ähnliche Wirkung erzielt. Nur für Bindung sorgt er nicht. Das Gericht ist dennoch richtig schmackhaft. Wem hier das Hackfleisch fehlt, der soll sich halt einen anderen Namen fürs Gericht ausdenken. Denn die Sauce aus Linsen, Karotten, Tomaten und Kräutern ist richtig gut gekocht. Und sorgt für ein angenehmes Körpergefühl ohne lähmendes Foodkoma am Nachmittag.

«Roots»-Gründer Frédéric Brunner setzte von Beginn an auf vegane Küche – ohne dabei je missionarisch zu wirken.
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«Roots»-Gründer Frédéric Brunner setzte von Beginn an auf vegane Küche – ohne dabei je missionarisch zu wirken.

Reformhaus-Ambiente?

Hinter «Roots Kitchen», der ersten gänzlich veganen Kantine der Schweiz, steckt das Zürcher Gastrounternehmen Even GmbH. Bekannt für seine veganen «Roots»-Restaurants hat sich das Unternehmen, das mittlerweile 120 Mitarbeitende beschäftigt, in Zürich in den letzten acht Jahren zum Lieblingsrestaurant vieler ernährungsbewusster Menschen gemausert. Vegan hiess damals Reformhaus-Ambiente. Nicht so bei «Roots». Gesunde Bowls,
Salate, Sandwiches, Säfte: Hier tankt sie nach der Gym-Session frische Energie, hier gönnt er sich zwischen Meetings ein schnelles, schmackhaftes Mittagessen mit gutem Gewissen gegenüber Körper und Umwelt.

Moritz Merz verantwortet Marketing und Kommunikation, er ist überzeugt, dass viele ihrer Gäste gar nicht merken, dass sie vegan essen.
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Moritz Merz verantwortet Marketing und Kommunikation, er ist überzeugt, dass viele ihrer Gäste gar nicht merken, dass sie vegan essen.

Mit Roger Federer in der Kantine

Im «Roots Kitchen» bei On wagt sich das Gastrounternehmen erstmals in den Bereich Systemgastronomie. Das Team um Küchenchef Raphael Wittwer, der vormals Küchenchef im Zürcher «Spitz» mit 14 GaultMillau-Punkten war, verpflegt jeden Mittag bis zu 500 Gäste aus dem Industriequartier.

Zur Hälfte sind es – man erkennt sie bestens an den Schuhen – On-Mitarbeitende, doch die Kantine ist öffentlich. Das Start-up mit den ikonischen Laufschuhen mit der wolkenartigen Sohle, an dem Roger Federer beteiligt ist, subventioniert die Verpflegung seiner Belegschaft substanziell. Ein bewusstes Statement: Man will ein hochmoderner Arbeitgeber sein; das vegane, gesunde Essen kommt bei der Belegschaft gut an. Auch den zurückgetretenen Tennis-Superstar treffe man hier ab und an beim Essen an.

Neben dem Tagesgericht lädt ein reichhaltiges Salatbuffet zur Qual der Wahl: Blattsalate, Süsskartoffeln, Randenhummus, Couscous, Reis, Brokkoli, Blumenkohl mit Granatapfel­kernen, herrlich duftende Saucen.

Küche als Produktionsstätte für die diversen «Roots»-Standorte

«Wir verwenden keine Convenience-­Produkte», erklärt Geschäftsleitungsmitglied Moritz Merz. Er ist fürs Marketing und die Kommunikation zuständig. «Unsere Küchenequipe schält und schneidet jede Zwiebel selbst, presst den Ingwer selbst, rüstet den Salat, kocht jede Sauce frisch. Und wir verzichten auf Flugware». Längst gilt der Hauptfokus – von Nährwerten und tierfreien Produkten abgesehen – nicht mehr dem Instagram-tauglich angerichteten Teller, sondern der schmackhaften Mahlzeit.

Auch möchte «Roots»-Gründer Frédéric Brunner mit seinen Konzepten niemals missionarisch wirken. «Wir sind nicht sicher, ob vollständiger Veganismus tatsächlich positiv für uns Menschen wäre», so Brunner. «Es ist jedoch sicher sinnvoll, wenn wir viel weniger Fleisch essen und generell weniger tierische Produkte ­konsumieren.»

Die erste komplett vegane Kantine der Schweiz ist nicht nur für den Staff der Sportfirma On geöffnet, hier kehren auch Leute aus der Umgebung ein.
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Die erste komplett vegane Kantine der Schweiz ist nicht nur für den Staff der Sportfirma On geöffnet, hier kehren auch Leute aus der Umgebung ein.

«Wir waren auf kritik vorbereitet»

Eine komplett vegane Kantine? Bevormundet der Arbeitgeber hierbei seine Mitarbeitenden nicht zu sehr? Merz: «Wir waren auf Kritik und emotionale Reaktionen vorbereitet.» Der zur Eröffnung im vergangenen Jahr erwartete Aufruhr blieb gänzlich aus, die Zeit scheint reif, das Durchschnittsalter bei der Sportfirma On von rund 30 Jahren und der Standort Zürich helfen – und das Essen schmeckt. Für Umsatzrekorde – das Tagesgericht kostet 19 Franken – sorgt regelmässig die Lasagne, bei der das Fleisch durch Ackerhack, ein Produkt aus Erbsen, Bohnen, Kürbis- und Sonnenblumenkernen, ersetzt wird.

Merz glaubt, dass viele externe «Roots Kitchen»-Gäste gar nicht wüssten, dass sie gerade vegan – er nennt es selbst lieber «Plant-based» – speisen würden. Und von Kantinen-Mief ist ohnehin keine Spur. Ein Schienenturm auf Rädern als Rückgabestation, Abfertigung mit grimmigem Blick, Schöpfstationen und Kaffeeautomaten? Fehlanzeige. Den Koffein-Booster gibt es am Tresen von Kaffeeweltmeister Matt Winton, selbstverständlich aus eigener Röstung hochwertiger Bohnen fair bezahlter Bauern. Beim Bezahlen der Verpflegung setzt «Roots» auf einen eigens konzipierten Selfscanning-Automaten. Ohnehin nutzt die Even GmbH das Ingenieurwissen ihrer Führungsriege für diverse interne Prozesse wie etwa für ein Tool zur Einschätzung und Minimierung des Food Waste. Eine Lebensmittelwissenschaftlerin verantwortet die Entwicklung der Produkte und steht den Gastronomen zur Seite.

Das vielleicht beste Gebäck der Stadt

Zahlreiche Mittagsgäste besuchten das Lokal bereits, um sich für ein mögliches Konzept am eigenen Arbeitsort schlau zu machen. Aktuell macht sich die Even GmbH Gedanken, wie die Erfahrungen aus dem On-Projekt auf Verpflegung an Universitäten übertragen werden kann. Ein erstes Projekt könnte noch dieses Jahr umgesetzt werden. «Wir möchten kein grosser Player werden, aber das eine oder andere Leuchtturmprojekt ins Leben rufen und die Leute vielleicht inspirieren.» Mehr gibt er nicht preis.

Im Pavillon vor dem Bürogebäude backen Nino und Alexandra Brüllmann in der «Collective Bakery» die vielleicht beste Viennoiserie der Stadt. Knusprig-fluffliges Sauerteigbrot, Pain au Chocolat, salziges Gebäck mit Auberginenfüllung und Parmesan. Die «Collective Bakery» gehört ebenso zur «Roots»-Familie und ist der Beweis, dass das Unternehmen den Veganismus nicht predigt. «Wir haben Stammgäste, die täglich im ‹Roots› oder im ‹Roots Kitchen› essen. Die Backwaren in der ‹Collective Bakery› gönnt man sich vielleicht nicht jeden Tag», meint Merz. «Aber wenn, dann soll es richtig gut schmecken.» Auf Butter beim Backen wird nicht verzichtet, Kalorienzähler sind hier fehl am Platz.

Zurück ans Buffet im «Roots Kitchen». Zeit für ein Dessert. Pflanzenbasierte Milch und Joghurt, eine Auswahl an Zerealien, Mango, Erdbeeren, Heidelbeeren, Granat-apfelkerne, Passionsfrucht. Und dann zurück ins Büro. Satt, glücklich und vital.


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