Die Rohwürste der Schweizer Romandie haben lange Tradition. 

Die Rohwürste der Schweizer Romandie haben lange Tradition. 
© Schweizerische Vereinigung der AOP-IGP

Schweizer Romandie: Das Wurstparadies

Die Schweizer Romandie, vor allem das Waadtland, ist ein wahres Eldorado für Wurstliebhaber. Rund ein Dutzend regionale Wurstkreationen umfasst das kulinarische Erbe des Kantons.

Geht es um typische Schweizer Spezialitäten, fallen den meisten Menschen wohl zunächst Käse und Schokolade ein. Und stellt man die Frage nach drei typischen Gerichten des Alpenlandes, wird das Rösti aufblitzen, genauso wie Raclette und Fondue. Würste aber, ja Würste, kommen den meisten Gourmets bei der Schweiz kaum in den Sinn. Dabei ist die Schweiz ein wahres Wurstparadies. Vor allem in der Romandie, dem französischsprachigen Teil des Landes, entstehen einige der schmackhaftesten Würste überhaupt: die Saucissons.

Die Rohwürste aus Schweinefleisch sind so typisch für die Romandie wie das Unesco-Weltkulturerbe Lavaux und der UNO-Sitz in Genf. Einige von ihnen, wie die Saucisson vaudois aus dem Waadtland beispielsweise, sind sogar vom Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft geschützt. Gemeinsam ist allen Varianten, dass sie hauptsächlich aus Schweinefleisch hergestellt, mit Pökelsalz versetzt und in den meisten Fällen kalt geräuchert werden. Auch die Zubereitung der Wurst zum Verzehr ist einheitlich. So werden die Saucissons erhitzt, bevor sie auf dem Teller landen. In knapp siedendem Wasser benötigen sie je nach Größe bis zu anderthalb Stunden, bis sie verzehrfertig sind. Und je nach Fettanteil benötigen die Würste dann auch noch ihre Zeit bei der Verdauung.

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Boutefas - »Die Dralle«

Was eine gute Wurst ausmacht, beschrieb der französische Schriftsteller Jacques Chessex seinerzeit in seinem Buch »Leben und Sterben im Waadtland« so: »Der Saucisson muss herb und drall und fleischig sein«, liest man da. Attribute, die auf kaum eine andere Saucisson besser zutreffen als auf den Boutefas. Mit einem Gewicht von bis zu drei Kilogramm ist er zweifelsohne die prallste und drallste von allen Waadtländer Rohwürsten. Der Name der Wurst leitet sich vom Waadtländer Dialekt ab: »Boute la faim« heißt so viel wie »verjagt den Hunger« – und berücksichtigt man die bereits erwähnten Dimensionen der Wurst, ist diese Bezeichnung doch äußerst passend.

Erstmals schriftlich erwähnt wurde die häufig fußballgroße Spezialität, für die ausschließlich das Ende eines Schweinedarms verwendet wird, im Jahr 1634, wie historische Aufzeichnungen, zu finden im Freiburger Staatsarchiv, beweisen. Wie diese Wurst aussah, lässt sich heute jedoch leider nicht mehr nachvollziehen. Sicher hingegen ist, dass sich der Boutefas im Anerkennungsprozess als IGP (Indication Géographique Protégée) durch das Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft befindet. Das Pflichtenheft für die Herstellung der Wurstspezialität wurde im Jahr 2000 publiziert.

Demnach wird für den Boutefas grob gehacktes Waadtländer Schweinefleisch mit reichlich Speck, Pfeffer und Nitritpökelsalz in einen Schweine-blinddarm gepackt, dieser am offenen Ende mit einer Schnur verschlossen und die Wurst anschließend kalt geräuchert. Je nach Gusto gibt der Metzger der Wurstmasse noch einen Schuss Wein oder Schnaps hinzu. Beim Zubereiten des Boutefas ist allerdings Vorsicht geboten. Versieht man die Wurstenden vor dem Sieden nicht mit Zahnstochern, spritzt einem beim Aufschneiden sonst nämlich das Innenleben in hohem Bogen entgegen.

Der mächtige Boutefas bringt bis zu drei Kilo auf die Waage. Wie die Saucisson vaudois wird auch er kalt geräuchert.
© Migros
Der mächtige Boutefas bringt bis zu drei Kilo auf die Waage. Wie die Saucisson vaudois wird auch er kalt geräuchert.

Saucissom Vaudois – »Die Klassische«

Die einfachste und am meisten verbreitete Variante der Saucisson ist sicherlich die Saucisson vaudois. Die grobe, geräucherte Rohwurst aus Schweinefleisch und Speck wird hauptsächlich mit Salz und Pfeffer gewürzt, manchmal auch zusätzlich mit Koriander oder Wein, und anschließend kalt geräuchert. Ihren Ursprung hat sie im Mittelalter, als man im Kanton Waadt erstmals Wurstwaren räucherte und kochte. Die Schweinefleischproduktion besaß damals einen hohen Stellenwert, da die »Schotte«, die als Nebenprodukt bei der Käseherstellung anfällt, den Schweinen verfüttert wurde.

Infolgedessen entwickelte sich die Saucisson vaudois zu einem der wichtigsten Nahrungsmittel der Waadtländer Bevölkerung. Seit dem Jahr 2004 besitzt die Wurst, die ausschließlich im Kanton Waadt hergestellt wird, eine geschützte Herkunftsbezeichnung, erkenntlich durch eine grüne Plombe an der Schnur, welche die Wurst verschließt. Traditionell wurde sie, wie die anderen Wurstspezialitäten des Waadtlands auch, von Mitte September bis April hergestellt und verzehrt. Mit der Entwicklung von neuen Konservierungstechniken seit dem Zweiten Weltkrieg änderte sich dies und die Würste können seither das ganze Jahr über produziert werden. Auf den Teller kommen sie jedoch weiterhin meist im Herbst und Winter, denn zu dieser Jahreszeit haben sie, wie die anderen Wurstspezialitäten des Waadtlands auch, Tradition.

Saucisse aux choux – »Die Pfiffige«

Der Überlieferung nach soll die Saucisse aux choux im Jahr 879 durch einen schlitzohrigen und ebenso rebellischen Akt erfunden worden sein. Die Legende erzählt, dass Kaiser Karl der Dritte zu diesem Zeitpunkt durch die Schweizer Lande zog und im waadtländischen Orbe zu nächtigen gedachte. Natürlich war der Kaiser nicht alleine unterwegs, und so mussten die Bürger des Dorfes mehr als hundert Menschen verköstigen. Ein Ding der Unmöglichkeit, denn es gab zu wenig Fleisch. Also griffen die Bewohner zu einem Trick und streckten das Schweinefleisch mit ausreichend vorhandenem Kraut. Seit diesem Tag gehört die Kabiswurst, wie sie auf Schweizerdeutsch genannt wird, zum kulinarischen Erbe des Ortes. Begleitet vom typischen Laucheintopf, Papet vaudois, wurde sie gar zum Waadtländer Nationalgericht.

Eine weitere, nicht minder amüsante Legende legt nahe, dass die Waadtländer der bernischen Herrschaft, die von 1536 bis 1798 dauerte, immer zum Ende des Jahres einige Tausend Würste als Zins abliefern mussten. Was die Würste enthalten sollten, war nicht genau definiert, und so stopften die Waadtländer die Würste mit billigem Kabis, also eben Weißkraut. Heute hingegen ist exakt festgelegt, was eine Saucisse aux choux enthalten darf, denn seit dem Jahr 2000 besitzt sie eine eigene Herkunftsbezeichnung, wie bei der Saucisson vaudois gekennzeichnet durch eine grüne Plombe. Die Wurstmasse wird aus Schweinefleisch, gebrühter Schwarte und blanchiertem Weißkraut hergestellt und in Rinderkranzdärme gefüllt. Gewürzt wird sie mit Salz und Pfeffer, der Metzger darf jedoch auch andere Gewürze verwenden. Im Gegensatz zur Saucisson vaudois ist die Saucisse aux choux weich, was sie mit dem Aroma des Krautes zu einer besonders eleganten Wurst macht.

Treberwurst – »Die Aromatische«

Weniger die Wurst selbst als die Zubereitung ist bei der Treberwurst, einer weiteren Schweizer Wurstspezialität, ausschlaggebend. Jedes Jahr wird sie von Jänner bis März in vielen Deutschschweizer Weinbauregionen serviert. Ihren Ursprung hat sie jedoch in der Weinbauregion Bielersee, zwischen Biel und Neuenburg, wo sie ab Mitte der 1920er-Jahre von den hiesigen Winzern angeboten wurde. Aber was ist die Treberwurst nun?

Im Grunde handelt es sich dabei um eine normale Saucisson, die im Brennkessel einer Destille während der Herstellung von Marc, also Tresterbrand, im Dampf gegart wird. Oftmals flambiert man sie vorher noch mit Marc, was den Geschmack der Wurst intensiviert. Früher, als die Winzer ihren Schnaps noch selbst vor ihren Kellern im Freien destillierten, pflegte man sich bei dieser Arbeit mit Wurst vom im November geschlachteten Hausschwein zu verpflegen und dabei den Schnaps zu kosten. Irgendwann kam einer auf die Idee, die Würste im Brennkessel zu erhitzen – und diese vom Marc »parfümierten« Würste waren so gut, dass eine Tradition entstand. Eine, die zwischenzeitlich zwar einschlief, jedoch Ende der 1970er wieder Fahrt aufnahm und sich bis heute hält. Und Anfang jeden Jahres pilgern seither Scharen in die Winzerdörfer und lassen es sich bei Wurst, jungem Wein und Marc gutgehen.


Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2021

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Dominik Vombach
Dominik Vombach
Chefredaktion Schweiz
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