So ein Käse. Die Almen haben ihren ganz eigenen Geschmack. So überrascht der bröselige Steirerkas Biss für Biss mit einem würzig-herben Aroma.

So ein Käse.  Die Almen haben ihren ganz eigenen Geschmack. So überrascht der bröselige Steirerkas Biss für Biss mit einem würzig-herben Aroma.
© Steiermark Tourismus/Herbert Raffalt

Steirische Almen: Wo traditionelles Handwerk, Innovationen und köstliche Schmankerl aufeinander treffen

Hinter dem landschaftlichen Idyll der 1900 steirischen Almen und ihren zahlreichen kulinarischen Spezialitäten steckt eine einsatz- und entbehrungsreiche Bewirtschaftungsform.

Der Schatz liegt tief im Berg versteckt. Einst wurde hier Silber abgebaut, später wollte man die unterirdischen Gänge als Heilstollen nutzen. Heute lagern hier, am Fuße der »Teichalm« in der Oststeiermark, knapp zwanzig verschiedene Käsesorten bei ganzjährig konstanter Temperatur von zehn Grad. Die Laibe werden regelmäßig mit Salzwasser gereinigt und behutsam gewendet. Ansonsten gönnt man ihnen jene Ruhe und Zeit, die sie brauchen, um ihre besonderen Geschmacksaromen zu entwickeln. »Im Durchschnitt reifen sie zwischen sechs und sieben Monate«, erklärt Christoph Leitner.

Seit drei Generationen wird in seinem Betrieb in Fladnitz Milch verarbeitet, seit 2009 ist die »Sennerei Leitner« auch bäuerlicher Produzent der meisten Sorten des Arzberger Almenland-Stollenkäses – rund 30 Tonnen dieser Spezialität sind es pro Jahr. Verwendet wird dafür auch die Milch der eigenen Kühe, die die Sommer über auf den frischen Wiesen der Teichalm grasen. Der Hügelzug rund 30 Kilometer nordöstlich von Graz gehört zu einem der größten zusammenhängenden und bewirtschafteten Almengebiete Mitteleuropas. Es reicht von Pernegg im Murtal bis Koglhof im Feistritztal, vom Schöckl bis zum Rennfeld. Insgesamt umfasst die offizielle Liste »Naturpark Almenland« 125 Almen bis zu 3000 Ochsen, Kühe und Kälber verbringen die Sommermonate in diesen mittleren alpinen Höhenlagen zwischen der Getreide- und der Baumgrenze.

Almen sind Alleskönner 

Es sind besondere Naturreservate, deren Flächen von Tieren und Menschen durch extensive Beweidung und Heumahd genutzt werden. Diese Bewirtschaftungsform sorgt für den Erhalt der artenreichen Wiesen. Es entsteht »ein eng miteinander verzahntes Mosaik an unterschiedlichen Lebensräumen, trockene und feuchte Ökosysteme, Wiesen und Wald«, heißt es in einer Definition von Jan Christian Habel, der an der Paris Lodron Universität Salzburg den Fachbereich Umwelt und Biodiversität leitet. Die Almen sind sein Forschungsrevier. Es ist ein vielfältiges. Denn diese Areale gelten als Biodiversitäts-Hotspots. Sie sind Lebensraum für zahlreiche – teilweise inzwischen auch seltene – Tier- und Pflanzenarten und gern frequentierte Erholungs- und Sportkulisse für Naturgenießer. Damit haben sie ob ihrer Arten- und Nutzungsvielfalt große Relevanz für hochwertige Lebensmittel, Tourismus und Biodiversität. Kurz: Almen sind Alleskönner. Sie gelten als die Wunderwuzzis unter den Landschaften. Die Steiermark hat diesbezüglich Glück: Sie hat überdurchschnittlich viele davon. Das grünste Bundesland Österreichs zählt rund 1900 Almen, die sich auf einer Fläche von etwa 46.000 Hektar verteilen – und das nicht nur im Osten.

Biomilch, Salz, Wiesenkräuter. Im Steirerkas materialisiert sich formschön der Charakter seiner Herkunftsregion.
© Martin Huber
Biomilch, Salz, Wiesenkräuter. Im Steirerkas materialisiert sich formschön der Charakter seiner Herkunftsregion.

EU-Patent für Käse

Auch das Mur- und Ennstal weiter im Westen ist reich an Almen – und damit an kulinarischen Spezialitäten. Die beiden Regionen unterscheiden sich in Vielem, im Fall des hier produzierten Käses eint sie aber eine kuriose Homogenität. Da wie dort tragen sie den überschaubar ausgefallenen Namen »Steirerkas«. Jener im Ennstal ist als eigene Marke sogar EU-weit geschützt und als Patent angemeldet. Ein strenger Rahmen. Die EU-Abkürzung » g.U.« garantiert, dass die Erzeugung, Verarbeitung und Zubereitung in einem bestimmten geografischen Gebiet nach einem anerkannten und festgelegten Verfahren erfolgt. Unter anderem geht es dabei um den exklusiven »Menüplan« für die Milchkühe, die nur mit den Wiesengräsern der Almen oder mit Heu und Silage aus dem abgegrenzten Gebiet gefüttert werden dürfen.

Im Patentregister ist unter dem Kürzel PDO-AT-02588 schließlich die genaue Produktionsweise festgeschrieben: »Der Ennstaler Steirerkas ist ein bröseliger Urkäse aus Kuhmagermilch. Die Oberfläche des Käses ist trocken, bräunlich bis gräulich mit leichtem bis starkem Grün- und Weißschimmelbefall und von landkartenähnlichen Trockenrissen durchzogen. Im Inneren ist der Käse marmoriert, hellbräunlich bis braungrau und von einer körnigen oder brösligen bis feuchtbröseligen Struktur und mit leichter Schimmeläderung durchzogen«, heißt es dort in hölzern-nüchternem Ton. Auch seinem „typischen Geruch und überaus charaktervollen Geschmack“ nähert man sich mit technokratischer Detailversessenheit: »Der Geschmack ist von säuerlich, kräftig-pikant, würzig bis scharf. Der Geruch wird mit zunehmendem Alter intensiver und zeichnet sich durch ein kräftiges bis würziges Aroma aus, das durch einen erdigen Geruch und leichte Ammoniaknoten begleitet wird.« Man könnte es auch direkter sagen: Für manche Nasen stinkt er, für manchen Gaumen ist er ein kerniger Genuss. Für das Ennstal ist er jedenfalls ein Signature Dish.

Selbiges gilt für den anderen »Steirerkas« – für jenen aus dem Murtal. Auch er zählt zu den Sauermilchkäsen und wird aus gereiftem Magertopfen hergestellt, dem Gewürze wie Kümmel, Salz und Pfeffer sowie Kochsalz, Schmelzsalze und Milch hinzugefügt werden. Durch die Gewürze – und die Qualität der verwendeten Milch –, die in direkter Beziehung zur lokalen Vielfalt alpiner Pflanzen und Kräuter der Region stehen, erhält dieser fettarme Käse sein herzhaftes Aroma. »Die regionale Produktion trägt durch eine extensive Milchkuhhaltung zur nachhaltigen Aufrechterhaltung der Kulturlandschaft und Erhaltung der Artenvielfalt der Wiesen und Weiden bei«, anerkennt das Landwirtschaftsministerium den Käse in seiner Produktbeschreibung.

Teichalm Hochlantsch
© Bernhard Bergmann
Teichalm Hochlantsch

Nur frische Milch 

Das Lob könnte auch in der östlichen Obersteiermark gelten, unter anderem auf der Schneealpe an der Landesgrenze zu Niederösterreich. Seit 2012 wird dort, auf der »Lurgbauerhütte« der Familie Bayer auf 1764 Metern Seehöhe, in den Sommermonaten biozertifizierter Frisch-, Alm- und Bergkäse produziert. Die frische Milch dafür – sowie für Butter, Topfen und Joghurt – liefern die 14 Kühe, die die Almwiesen rund um die Sennerei abgrasen.

Für diese typischen Almspezialitäten hat jede Region und jede Sennerei ihre Besonderheiten. Grundsätzlich ist aber beispielsweise das Käsemachen keine geheime Raketenwissenschaft. Es folgt einer traditionellen, jahrhundertealten Methode. So wird die Milch nach dem Melken gesammelt, abgekühlt und beginnt zu reifen. Der sich über Nacht gebildete Rahm wird am nächsten Morgen abgeschöpft, die Milch langsam erhitzt. Im dazu verwendeten Kessel beginnt sie, langsam zu gerinnen und wird dann mittels sogenannter Käseharfe in linsengroße Stücke zerteilt. Dieser Käsebruch wird gerührt und erwärmt, bis er die richtige Festigkeit erreicht hat, und dann mit einem Tuch aus der Molke gefiltert, in eine Form gelegt und langsam ausgepresst. Nach 24 Stunden ist der letzte Molkerest abgeronnen und der Käselaib wird für zwei Tage in ein Salzbad gelegt. Danach beginnt
das Reifen. Das kann mehrere Monate dauern. In dieser Zeit ist die »Käsepflege« besonders wichtig: Der Käselaib wird dabei mit einem Salzwassergemisch regelmäßig gebürstet und gewendet. Eine langwierige Arbeit, die viel Genauigkeit erfordert.

Wilde Kräuter 

Präzises Geschick und Wissen ist auch bei der Nutzung der auf Almen in großer Vielfalt wachsenden Kräuter notwendig. Eigens qualifizierte Kräuterbauern bringen es im »Naturpark Almenland« mit. Sie kennen die Bedürfnisse, Eigenschaften und Wirkung der Almkräuter, die hier dank optimaler Bedingungen ein besonders intensives Aroma und kräftige Blütenfarben entwickeln. Melisse, Malve, Ringelblume, Kornblume & Co. werden im Wildwuchs gesammelt oder kleinflächigen Anbau gepflegt, von Hand geerntet und schonend zu Qualitätsprodukten wie Kräuterteemischungen, Kräutersalzen, Kräuterkuchen oder Kräutereistee verarbeitet.

Gelebt wird diese vielfältige Bewirtschaftung der Almen in unseren Breiten bereits seit dem 12. Jahrhundert. Waren es bis vor 50 Jahren die Zugochsen, die sich auf der Alm von der meist kargen Winterfütterung erholten und neue Kräfte für das Einspannen sammelten, so sind es jetzt neben den Milchkühen auch Almochsen, die gezüchtet und unter Einhaltung strenger Tierwohlkriterien zu hochwertigen Lebensmitteln verarbeitet werden. In der Oststeiermark wurde dafür bereits Ende der 80er-Jahre die Rindfleischmarke »Almo« entwickelt. Almo-Ochsen verbringen die Sommermonate von Mai bis Oktober auf der Alm und fressen dort hochwertiges Gras und würzige Almkräuter. Im Winter bekommen sie in geräumigen Laufställen hochwertiges Heu, Silage und gentechnikfreies Getreide. Diese nachhaltige Bewirtschaftung wirkt gegen das Zuwachsen mit Sträuchern und Bäumen, stärkt den Erhalt der Biodiversität und hilft damit, dass das Landschaftsbild der Almregionen erhalten bleibt. Die über 400 oststeirischen »Almo«-Landwirte haben dafür eine eigene, nicht ganz uneigennützige Formel errechnet: Jede Portion Rindfleisch am Teller hält 50 Quadratmeter Almwiesen frei. Kann man so sehen – oder es auf eine ganzheitlichere Ebene heben, wie einst der Kaiser.  Er erkannte früh, dass von funktionierenden Almen die Gesellschaft insgesamt profitiert und führte bereits 1909 ein »Gesetz zum Schutze der Almen« ein. In abgewandelter und föderaler Version gilt es bis heute. »Almen sind jene Wirtschaftsobjekte, welche infolge ihrer Höhenlage und der dadurch gegebenen klimatischen Verhältnisse landwirtschaftlich nur während der durch die Höhenlage gegebenen beschränkten Vegetationsperiode zur Viehhaltung genutzt werden können«, heißt es etwa im geltenden Steiermärkischen Almschutzgesetz. Darin wird nicht nur Art und Nutzen der Bewirtschaftung beschrieben, sondern auch auf die besonderen topografischen und klimatischen Verhältnisse hingewiesen. Almen sind damit die Grenzzone alpiner Gemütlichkeit. Das macht sie so beliebt – aber auch verletzlich. 

 

Alle Insidertipps finden Sie hier.

Geschmacksverstärker mit Bodenhaftung: Eine enorme Vielfalt an verschiedenen Kräutern wächst auf den Almen und bereichert die regionale Küche.
© Tom Lamm
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Erschienen in
Steiermark Special 2023

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Klaus Höfler
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