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Der polarisierende Kalbflüsterer und seine Spitzenköche

Vom Leben am Bergbauernhof über einen Berliner Gefängnisaufenthalt nach Brüssel als Generaldirektor für Tourismus in der Europäischen Wirtschaftskammer und schließlich zum Fleischlieferanten der Spitzengastronomie: Hannes Hönegger und der Versuch eines Porträts.

Das Treffen mit dem Lungauer Kalbflüsterer findet im ersten Stock einer ruhigen Weinbar in Wiens erstem Bezirk statt. Hönegger wartet bereits mit seiner PR-Beraterin und grüßt mit verschmitztem Lächeln – auf dem Kopf prangert eine Cap des Hamburger Fußball-Zweitligisten St. Pauli. Nicht weit vom St. Paulianer Millerntor-Stadion serviert Starkoch Tim Mälzer mit seinem Team in der »Bullerei« mitunter das beste Fleisch, was man in Hamburg bekommt. Und wer beliefert Mälzer? Richtig: Kein anderer als der Lungauer Kalbflüsterer.

»Es war schon immer ein gewisser Drang, die Welt zu erobern.«

Mälzer ist nicht der einzige Spitzenkoch, der Hönegger – zumindest, was Fleisch angeht – blind vertraut. Zu seinen Kunden zählen ihm zufolge absolute Gastro-Größen wie Vitus Winkler, Martin Klein vom Salzburger »Hangar-7«, Roel Lintermans und Hubert Wallner. Die einem Ritterschlag gleichende Aussage kam Hönegger zufolge jedoch vom Chefkoch des einzigen 3-Sterne-Restaurant Österreichs – Juan Amador persönlich. Hönegger traf sich mit ihm während eines Pressetermins. Als er von der etwas irritierten Journalistin gefragt wurde, wer Hönegger denn jetzt sei, entgegnete Amador nur: »Darf ich vorstellen? Mein Fleischlieferant«.

Amador sei Höneggers erster Kunde in dessen neuen Online-Shop gewesen – bestellt wurde exquisiter Leberkäse für das gesamte Küchenteam. Auf die Lieferung inklusive des neuen Buchs »Das goldene Kalb« und seiner beigelegten Telefonnummer folgte auch prompt der Anruf Amadors und daraus dann ein gemeinsames Herbst-Menü. Wie das Leben so spielt! »Ich glaube, dass das Leberkäse-Semmerl wieder zu etwas Besonderem wird, wie schon unsere Großeltern das als Highlight genossen haben und nicht als Massenprodukt viermal am Tag«, erklärt Hönegger.

Ich habe sehr viel mit der Spitzengastronomie zu tun, in der Bio größtenteils verpönt ist, aber nicht aus dem Grund, weil es Bio ist, sondern weil es keine Rolle spielt, weil nur die Qualität zählt. Und man muss einfach ganz ehrlich sagen, dass ein Rib-Eye-Steak aus Urugay qualitativ besser ist als eines aus Österreich.

Das macht Hönegger vor allen Dingen an der Fütterungsqualität und der beruflichen Erfahrung mit dem Lebensmittel fest »und weil wir das einfach nicht hinbekommen. Auch wenn wir mit Sesamsamen durch die Gegend laufen und das Zeug verfüttern. Wir bekommen in diesem Land auch kein ordentliches Wagyu-Steak hin.« Es sind diese Aussagen, die den Fleischer zu einer schillernden Persönlichkeit machen, die einfach polarisiert.

Da gibt es die EU-Norm, dass ein siebeneinhalb Monate altes Jungrind – wie wir es in Österreich schon bezeichnen würden – einfach noch zum Kalbfleisch gilt. Und ganz Deutschland isst, wenn es Kalb isst, nur 7,5 Monate alte Jungrinder. Und dann kommt plötzlich der Österreicher mit vier Monate altem Milchkalb. Da drehen die natürlich dann ab in Hamburg. Im Grill Royal in Berlin – das ist klar.

Durchbruch in der Spitzengastronomie

Es sollte ein alles verändernder Besuch im Salzburger »Hangar-7« werden, als Hönegger eingeladen wurde, »mal alles mitzubringen, was er sich unter dem Thema Barbecue vorstellt«. Küchen waren für ihn stets laute Orte des Chaos, schlechter Stimmung und rollender Köpfe. Das sollte sich an besagtem Tag ändern. Im »Ikarus« untermalte paradoxerweise Stille das rege Treiben des über zwanzig Kopf großen Teams. Chefkoch Martin Klein gab über sein emblematisches Headset die Order in charmant elsässischem Dialekt: »Wir schicken die Tomaten mit dem kalten Aufzug« – ein nahezu orchestriertes »Oui, Chef!« folgte prompt und Hönegger schossen die puren Freudestränen in die Augen. Der Schulterschluss mit der gehobenen Gastronomie war vollbracht.

Ich habe natürlich die tollsten Kalbs-Tomahawks gebracht, Steaks, Rinderfilet und ich hatte auch Wildkäse-Krainer dabei. Und er hat mich angeschaut und hat zu mir gesagt: Wir sind hier im ›Hangar 7‹ – glaubst du, wir essen hier Würstchen? Und hat die Würstchen weggepackt. Ich dachte, ja, Entschuldigung, ich habe das nicht gewusst und hatte dann irgendwie zu tun und der Termin war zu Ende. Zwei Tage später bekam ich einen Anruf: ›Wir müssen reden.‹ Da hat er zu Hause diese Würstchen gegessen. Seit diesem Tag gibt es die Würste im ›Hangar-7‹ für Fans und Freunde des Hauses.

Ein Märchen von Neuanfang und Beharrlichkeit

Die Geschichte nimmt ihren Anfang in der malerischen Region Lessach im Lungau. Hannes Hönegger, der in einer sehr heimeligen, wohlbehüteten Familie aufwuchs, hat es geschafft, eine Mini-Revolution in der Welt eines bewussten Fleischkonsums zu entfachen.

Auf kulinarischen Umwegen im Gefängnis und das beste Schnitzel der Welt

Höneggers Leben verlief  und verläuft nicht immer so farbenfroh. Über Umwege landete er in jungen Jahren in einem Berliner Gefängnis, wo er eine Metzgerlehre ablegte, die den weiteren Verlauf seines Lebens maßgeblich bestimmen sollte. Auf die Frage, wie das Essen im Gefängnis sei, antwortete er, dass traurigerweise viele Seniorenheime und Krankenhäuser gebe, in denen die Lebensmittelqualität weit unter Gefängnisstandard sei. Die Feststellung ist so einfach vorstellbar wie skandalös. Der 22-tägige Gefangenentransport von Berlin nach Österreich war laut Hönegger eine psychische Grenzerfahrung – mit kulinarischer Erlösung:

Von Berlin nach Österreich fährt man als Strafgefangener mit so einem Bus, 22 Tage quer durch Deutschland. Also das darf man mit Tieren nicht machen. Und wenn der Transport 22 Tage dauert, hast du ein Problem. Mit Menschen geht das. Und dann gab es in Nürnberg das beste Schnitzel Wiener Art, das ich bisher je gegessen habe – emotional gefühlt.

Wie geht es weiter beim Kalbflüsterer?

Nachdem kürzlich bekannt wurde, dass die »Tatarie Marie« – Höneggers Gastro-Baby – nun an den Wörthersee expandiert, lässt sich Hönegger im Tête-à-tête noch einmal in die Karten gucken; offenbart dabei Pläne, nun auch in der Berliner Szene im Spätherbst mit einem Pop-Up bleibenden Eindruck hinterlassen zu wollen.

Die ›Tatarie Marie‹ wird sicherlich keine Eintagsfliege bleiben, sondern wird sich in dieser Form vervielfältigen, was uns ja immer schon anfänglicher Plan war. Wir haben mit Dominik Stolzer einfach einen sehr prädestinierten Küchenchef mit irrsinnig langjähriger Erfahrung.

Ein Insidertipp für den Weg

Für den gebürtigen Lungauer gibt es ein nicht zu verpassendes Highlight im Herbst:

Kulinarisch muss man einmal im Jahr in den Lungar und zwar jetzt dann im Herbst. Ich würde keinen Ort vorschlagen, sondern je älter das Gasthaus, desto besser die Wahl. Da gibt es die Zeit des sogenannten Schaf-Aufbraten, also Lamm-Braten. Das ist eine alte Lungauer Tradition, wenn die Schafe und Lämmer von der Alm kommen, was im Lungar ja sehr besonders ist, weil das so alpines Gelände ist, dass nicht einmal der Wolf sich überall wohlfühlt, gibt es diese Zeit, wo man diesen traditionellen Lammbraten genießt mit Bratkartoffeln. Und das hört sich sehr einfach an, ist aber ein völliges Highlight. Und das wird in diesen Gasthöfen zelebriert mit Krautsalat.

Redaktion
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