Antonio Colaianni möchte dem «Ristorante Ornellaia» an der Zürcher Bahnhof­strasse mehr «lockere Italianità» einhauchen.

Antonio Colaianni möchte dem «Ristorante Ornellaia» an der Zürcher Bahnhof­strasse mehr «lockere Italianità» einhauchen.
© Bindella

Heilemann und Colaianni starten neu durch

Wie die Spitzenköche auf den schwierigen Markt reagierten – und was sie an ihren neuen Wirkungsstätten vorhaben.

Hinter Antonio Colaianni liegen aufregende Monate. Im Dezember musste er trotz ausgezeichneter Auslastung das Restaurant «Gustav» schliessen, weil die Investoren nicht mehr an das Gesamtkonzept mit Luxuswohnungen als Hauptgeldquelle glaubten, im Frühling verhinderte der Ausbruch des Corona-Virus die Durchführung fest eingeplanter kulinarischer Events. «Ich kam aus den Ferien nach Hause und hatte schon wieder ganz viel Zeit für mich. Diesen unerwarteten Luxus habe ich genossen, ich merkte aber auch, dass mir allmählich ein wenig der Drive abhandenkam», blickt Colaianni auf den Lockdown zurück.

Ristorante Ornellaia

Feuer habe er erst wieder gefangen, als sich die Möglichkeit auftat, das «Ornellaia» an der Bahnhofstrasse zu übernehmen: «Peter Herzog, mit dem ich schon im ‹Clouds› zusammengearbeitet hatte, rief mich an und fragte, ob ich Interesse hätte, ein Top-Lokal an bester Lage zu übernehmen. Als er mir sagte, um welches Objekt es sich handelte, musste ich erst einmal schlucken. Ich halte grosse Stücke auf den bisherigen ‹Ornellaia›-Küchenchef Giuseppe D’Errico und weiss sehr gut, wie es sich anfühlt, wenn auf einmal Schluss ist.»

Da die Besitzer des Ristorante «Ornellaia» – das gleichnamige Spitzenweingut aus der Toskana und die Zürcher Familie Bindella – unabhängig von Colaiannis Entscheid eine Neuausrichtung des Lokals beschlossen hatte, sagte Colaianni trotz des Mitgefühls für D’Errico zu. Mit klaren Zielen: «Wir möchten die 17 Gault-Millau-Punkte und den Michelin-Stern behalten. Vor allem aber wollen wir, bei aller Eleganz, die das ‹Ornellaia› ausstrahlt, eine lockere Italianità ins Lokal bringen und Schwellenangst abbauen. Für mich wäre es das Schönste, wenn die Leute sagen: ‹Wir gehen zu Antonio ins Ornellaia.› Ich werde deshalb vermehrt in die Rolle des Gastgebers schlüpfen.» Mitte August kommt das «Ornellaia»-Team zusammen, im September geht es dann richtig los.

Neben Antonio Colaiannis langjährigem Weggefährten Antonino Alampi ist auch Patrick Frischknecht – einst Teil der ersten «Gustav»-Brigade des Berners mit italienischen Wurzeln – an Bord. Für den Patisserie-Posten sucht Colaianni noch nach einem valablen Ersatz für Felicia Ludwig, die im «Sablier» am Flughafen als Souschefin eine neue Herausforderung angenommen hat. «Ich möchte wieder jemanden, der handwerklich exzellent ist und keine Allüren hat. Die Ausrichtung der Desserts wird italienischer sein als zuletzt im ‹Gustav›.» Er fühle sich in diesen Tagen der Planung wie der Manager eines Fussballteams, der ein Team für die kommende Saison zusammenstelle, sinniert Colaianni. «Ein exzellentes Netzwerk ist das A und O, zumal ich nicht bei Kollegen Personal abwerben möchte.»

Klassisch und Kreativ

Für die Fans von Colaiannis Klassikern gibt es im «Ornellaia» ein Wiedersehen mit Bouillabaisse, Kaninchenterrine, Rindstatar mit Kartoffelschaum, gefülltem Artischockenboden und Raviolone mit Eigelb. «Die Stammgäste, die mich seit Jahren begleiten, wünschen sich das. Dazu werde ich eine Reihe kreativer Gerichte und ein Menü mit sechs, maximal sieben Gängen anbieten. Auch die Orecchiette meiner Mutter Maria und der Ormalinger Schweinebauch, den ich ab und zu ins Menü einbauen werde, dürfen nicht fehlen. Die Preise werden tiefer sein als bislang, allerdings leicht höher als im ‹Gustav›.» Für den Mittag plant der Chef einen Business-Lunch. «Da brauchen wir Bewegung», betont er.

Ein Teil von Bindella

Und wie fühlt es sich für Colaianni an, Teil eines so grossen Unternehmens wie Bindella zu sein? «Beim Wein ist der Einfluss von Bindella natürlich spürbar. Der Schwerpunkt liegt ganz klar auf Italien, eine so ausufernde Champagnerkarte wie im ‹Gustav› passt da nicht ins Konzept. Beim Essen habe ich aber das alleinige Sagen, das war mir sehr wichtig.» Der neue Arbeitgeber sei für ihn ein Glücksfall, betont der Meister der sinnlich-mediterranen Küche.

«Ohne starken Partner ist Spitzengastronomie kaum mehr realisierbar. Erst recht nicht, wenn man auch dem Service und dem Interieur grosse Bedeutung beimisst», sagt Colaianni. «Ich verstehe die jungen Köche, die sich ganz aufs Essen fokussieren möchten und deshalb mit weniger Personal im Gastraum arbeiten oder die Tischdecken weglassen. Meine Philosophie ist aber eine andere.»

Ein Meisterkoch im «Widder»

Einen starken neuen Partner hat auch Stefan Heilemann gefunden. Der mit zwei Michelin-Sternen und 18 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnete Deutsche wechselte im Mai ins «Widder Hotel», wo er seit Anfang Juni das Fine-Dining-Lokal im ersten Stock mit seinen Kreationen bespielt.

Die Überlegungen, nach der Schliessung des Hotels «Atlantis by Giardino» mit Sommelier Stefano Petta Sponsoren zu suchen und den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen, wurde durch das Angebot von «Widder»-General-Manager Jörg Arnold obsolet. Auch, aber längst nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. «Natürlich haben mich die Gefahr einer zweiten Corona-Welle und die damit verbundenen finanziellen Risiken beschäftigt. Vor allem aber ist das ‹Widder› ein ikonischer Ort für Zürich. Wer hier arbeitet, steht im Schaufenster – und genau das wollen meine Brigade und ich. Eine ambitionierte Küchenmannschaft setzt sich nicht einfach ins gemachte Nest und spult ihr Programm ab, sondern pusht sich ganz von alleine», so Heilemann.

Exklusiver Chef's table

Im «Widder» ist der Meisterkoch für seine Gäste viel sichtbarer als zuvor im «Atlantis», arbeitet er doch in einer offenen Küche. «Ich rutsche dadurch mehr in die Rolle des Gastgebers, was durchaus sein Gutes hat. Je klarer das Profil eines Restaurants ist, desto besser. Die Leute möchten ja sehen, wer hinter den Gerichten steht. Das ist heutzutage ein wichtiges Verkaufsargument», sagt er. Den Gourmets am Chef’s Table serviert Heilemann seine Kreationen sogar höchstpersönlich, so wie man das aus Spitzenrestaurants in Skandinavien kennt.

Wie Colaianni sieht der neue «Widder»-Küchenchef in einer grossen Stammkundschaft und im Bemühen, stets auf deren Wünsche einzugehen, den Schlüssel zum Erfolg in der durch Corona noch anspruchsvolleren gastronomischen Landschaft. «Wir freuen uns, wenn wir neben dem Menü auch einmal einen ganzen entgräteten Steinbutt mit einer Thai-Curry-Langostino-Füllung oder ein besonderes Fleischstück zubereiten können. Dass ich fast mein ganzes Team – inklusive Spüler und Service – mit in den ‹Widder› nehmen konnte, erleichtert es uns sehr, konstant auf höchstem Niveau weiterzuarbeiten und solche Specials anzubieten.»

Weiterhin auf sein bewährtes Team zählen zu können hat für Stefan Heilemann zudem eine starke emotionale Komponente. «Das ‹Ecco› war unser Baby, wir haben es von Geburt an begleitet und erfolgreich gemacht. Nach der Schliessung verspürten wir alle eine unheimliche Leere, waren ratlos und traurig. Umso ausgelassener war die Freude über das gemeinsame Engagement im ‹Widder›.» Die Freude ist allerdings auch bei Heilemann nicht ungetrübt. «Wir stehen nur hier, weil Tino Staub und seine Brigade Platz für uns gemacht haben. Obwohl sie über Jahre erstklassige Arbeit ablieferten, ging für sie ein Kapitel zu Ende – wie für uns zuvor im ‹Atlantis›.» Ein gutes, respektvolles Verhältnis zu Staub, der dem «Widder« als Executive Chef erhalten geblieben ist, habe darum einen hohen Stellenwert für alle. «Ich bin sehr dankbar dafür, mit welcher Offenheit er uns empfangen hat.»

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2020

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Alex Kühn
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