Helmut und Hannelore Kohl mit dem letzten sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow und seiner Frau Raissa 1990 im »Deidesheimer Hof«, Helmut Kohls Lieblingsgasthof.

Helmut und Hannelore Kohl mit dem letzten sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow und seiner Frau Raissa 1990 im »Deidesheimer Hof«, Helmut Kohls Lieblingsgasthof.
© Dieselheimer Hof

Helmut Kohl: »Alles was ich esse, macht dick«

Als Regierungschef hat Helmut Kohl die deutsche Wiedervereinigung möglich gemacht, Konflikte löste der »ewige Kanzler« am liebsten am Gasthaustisch – vorzugsweise bei Saumagen und einem guten Glas Pfälzer Riesling. Und seinen Urlaub verbrachte er jedes Jahr am Wolfgangsee.

War der Bundeskanzler urlaubsreif, reiste er mit Sack und Pack an den Wolfgangsee. Mehr als drei Jahrzehnte lang, von den frühen 1970ern, als er noch Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz war, bis in die späten Neunzigerjahre verbrachte Helmut Kohl gemeinsam mit seiner Familie so gut wie jeden Sommerurlaub in St. Gilgen. Vier Wochen lang genoss der längstdienende Kanzler der Bundesrepublik Deutschland die Natur und labte sich an den kulinarischen Schätzen der Region. Seine Amtsgeschäfte erledigte er, so es die Umstände zuließen, zwischen Frühstück und Jause. Und selbst politische Kaliber wie die britische Premierministerin Margaret Thatcher, die eigens ins Salzkammergut gereist war, um Kohl zu treffen, wurden mit dem Hinweis auf einen »dringenden Termin« hinauskomplimentiert, wenn dem Genussmenschen Kohl nach einem Ausflug in die örtliche »Konditorei Dallmann« war. Der Wolfgangsee war Helmut Kohls Jungbrunnen.

»So sind die Pfälzer«

Helmut Kohl war Pfälzer mit Leib und Seele – und als solcher sämtlichen leiblichen Genüssen zugetan. »Meine Eltern haben sich bei der Weinlese in Burrweiler im Herzen der Pfalz kennengelernt, und so ist mir die Vorliebe für Pfälzer Wein und die Pfälzer Lebensart sozusagen in die Wiege gelegt worden«, schrieb er 1996. Wie sehr der Staatsmann seiner Heimat und ihrer Küche verbunden war, wusste da bereits die ganze Welt. Denn vom ersten Tag seiner Kanzlerschaft an hat Helmut Kohl mit »seiner Pfalz« Staat gemacht.

Seine Landsleute liebten ihn dafür. Auf der bundespolitischen Bühne in Bonn und später in Berlin hingegen empfanden viele das Auftreten »des Langen aus Ludwigshafen« mit seinem breiten pfälzischen Dialekt nicht Kanzler-like, sondern vielmehr provinziell. »Ich lasse mich nicht verbiegen«, antwortete er seinen Imageberatern stets, wenn sie ihm nahelegten, er möge zumindest bei offiziellen Anlässen Hochdeutsch sprechen. Seine pfälzische Wesensart zu verleugnen, das hätte er als Verrat seiner Identität empfunden.

Was das Wesen der Pfälzer auszeichnet, erforschte bereits der Münchner Historiker Wilhelm Heinrich Riehl im Auftrag des bayrischen Königs Maximilian II. im Jahr 1854 akribisch. Nachdem die Bewohner der Rheinpfalz in den Revolutionsjahren 1848/49 als renitent aufgefallen waren, wollte der König möglichst alles über ihre Besonderheiten erfahren. »Die Pfälzer gehören zu den fleißigsten Landwirten Europas«, wusste Riehl zu berichten. Er rühmte ihre »Regsamkeit«, ihre »unvertilgbare Frische, Raschheit und Lebensklugheit«. Überdies seien sie »praktisch, piffig, schlitzöhrig und durchtriebene Schlauköpfe«. Alles Eigenschaften, mit denen sich Helmut Kohl identifizieren konnte. Das traf auch auf eine andere Eigenheit zu, die der Historiker den Pfälzern attestierte: die große Lust am Essen und Trinken. »Bei der Kirchweih vertilgen die Pfälzer Berge von Kuchen aller Art und riesige Mengen Fleisch

Großer Mann, große Tafel

Keine Frage, Helmut Kohl liebte es, in geselliger Runde zu tafeln. Kaum jemand verstand es wie er, Politik und Genuss mit so einer Selbstverständlichkeit miteinander zu verbinden. Bereits als junger Parteifunktionär hatte er erfahren, dass sich Zwistigkeiten leichter am Gasthaustisch lösen ließen als in einem nüchternen Sitzungszimmer. Keine Überraschung, dass der berühmte Weinkeller der Mainzer Staatskanzlei zu Kohls zweitem Wohnzimmer wurde, als er 1969 das Amt des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz übernahm.

So mancher Journalist, der den Landeschef in der Regierungszentrale aufsuchte, staunte allerdings nicht schlecht, wie feudal dieser dort residierte. Der damalige Chefredakteur der Zeitung »Welt«, Herbert Kramp, schrieb nach einem Treffen mit Kohl in der Mainzer Staatskanzlei im Jahr 1972 an seinen Verleger, Axel Springer: »Seine Dimensionen und auch die Größenmaße des Amtszimmers von Kohl sind den leiblichen Maßen des Ministerpräsidenten angepasst.« Auch die große Vorliebe des »Kolosses« für Wurst und Wein hinterließ bei dem Chefredakteur bleibenden Eindruck. Und auch Kohl selbst wusste genau, warum er zeitlebens etliche Kilo zu viel mit sich herumtrug: »Alles, was ich esse, macht dick, und alles, was nicht dick macht, esse ich nicht so gerne.«

Saumagen mit Thatcher

Als Helmut Kohl 1976 Bundesvorsitzender der CDU/CSU wurde, musste er die prächtige Mainzer Staatskanzlei gegen ein schlichtes Büro im schmucklosen Adenauer-Haus in Bonn tauschen, was dem »Mainzer Kurfürsten« sehr schwerfiel. Auch kulinarisch wie vinologisch sei Bonn für ihn eine gehörige Degradierung gewesen, schrieb der Historiker Hans-Peter Schwarz in seiner Kohl-Biografie. Die Restaurants der damaligen Bundeshauptstadt konnten Kohls Pfälzer Gasthöfen nicht das Wasser reichen. Und von allen vermisste er den »Deidesheimer Hof« am meisten. In dem traditionsreichen Wirtshaus im kleinen Winzerdorf Deidesheim, nur wenige Autominuten von Kohls Wohnort Oggersheim entfernt, fühlte er sich besonders wohl. Nirgendwo sonst bekäme man besseren Pfälzer Saumagen, Leberknödel, Dampfnudeln und Sauerkraut als in der holzvertäfelten Gaststube, befand er. Und so brachte er während seiner 16-jährigen Ära als deutscher Bundeskanzler zwischen 1982 und 1998 zahlreiche Staatsgäste nach Deidesheim: Ob Englands Königin Elizabeth II., Frankreichs Jacques Chirac oder der Tscheche Václav Havel, sie alle ließ Kohl in dem alten Gutshof verwöhnen. Für den russischen Präsidenten Boris Jelzin orderte er Blutwurst-Strudel, Spaniens König Juan Carlos kredenzte der Küchenchef ebenso geräucherten Saumagen wie Kohls »Lieblingsfeindin«, Großbritanniens Premierministerin Margaret Thatcher. Die als »Eiserne Lady« titulierte Politikerin erinnerte sich später säuerlich: »Dem deutschen Bundeskanzler mundete der Saumagen offensichtlich.« Weitaus besser war die Stimmung zwischen Kohl und Michail Gorbatschow. Am 10. November 1990 stieß der »Kanzler der Einheit« mit dem sowjetischen Präsidenten auf die Wiedervereinigung Deutschlands an. Vom Dach des »Deidesheimer Hofs« wehte die sowjetische Flagge und auf dem Marktplatz jubelten Tausende Menschen.


Pfälzer Saumagen

(für 8–12 Personen)

Zutaten für die Füllung:
1 ½ kg Schweinefleisch von Nacken und Schulter
1 ½ kg blanchierte Kartoffeln
1 ½ kg Mett (oder Bratwurstbrät)

Zutaten für die Würzmischung:
2–3 EL Salz
½ TL Pfeffer
½ TL Muskat
1 TL getrockneter Majoran
½ TL Koriander
½ TL Nelkenpulver
½ TL Thymian
½ TL Kardamom gemahlen
½ TL getrocknetes Basilikum
etwas Lorbeerblatt gemahlen
50 g Zwiebel in Würfel geschnitten

Außerdem:
1 Saumagen (muss beim Fleischhauer bestellt werden)
Salz
30 g Butterschmalz

Zubereitung:

  • Das Fleisch in grobe Würfel schneiden. Die
    Kartoffeln schälen und in ca. 1 cm große Würfel schneiden. Fleisch, Kartoffeln und Mett vermischen und mit der Würzmischung abschmecken.
  • Saumagen unter fließendem kaltem Wasser gründlich waschen, trockentupfen. Zwei Ausgänge mit Küchengarn zubinden. Füllmasse durch die dritte Öffnung in den Magen füllen, Öffnung ebenfalls gut zubinden. Den Magen nicht zu prall füllen, damit er nicht platzt.
  • Reichlich Salzwasser zum Kochen bringen. Hitze reduzieren. Saumagen in das Wasser
    geben und bei geringer Hitze drei Stunden
    garen, nicht kochen lassen.
  • Saumagen aus dem Sud nehmen, abtropfen lassen und servieren. Erst am Tisch in Scheiben schneiden.

Berührende Geste

Jahre zuvor hatte Kohl bereits einmal seine Landsleute und die Welt erstaunt. Mit Frankreichs Präsident François Mitterrand zeigte er im September 1984, dass sich auch die tiefsten Gräben der Vergangenheit überwinden lassen. Zum Gedenken an die Toten beider Weltkriege war Kohl nach Verdun gereist, an jenen Ort, wo sein Vater im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte und Mitterrand im Zweiten Weltkrieg verwundet worden war. Während beide Staatsmänner im Regen betroffen schweigend vor den zahllosen Gräberreihen standen, streckte Mitterrand plötzlich dem deutschen Kanzler seine Hand entgegen. Dieser ergriff sie sofort. Die Bilder davon gingen um die Welt und die beiden verband für den Rest ihres Lebens eine enge Freundschaft.

Weitaus weniger verband den »Kanzler der deutschen Einheit« mit dem Künstler Christoph Schlingensief. Dem Theaterregisseur missfiel die Arbeitsmarktpolitik Kohls, und so rief er alle Arbeitslosen auf, zu einem bestimmten Zeitpunkt im Wolfgangsee baden zu gehen, um auf diese Weise Kohls Lieblingssee über die Ufer treten zu lassen und sein Feriendomizil zu überfluten. Die Aktion bekam zwar medial große Aufmerksamkeit, aber die angereisten Demonstranten brachten weder den See zum Überlaufen noch den abgeklärten Staatsmann zum Umdenken. Gut möglich, dass sich Kohl während Schlingensiefs Performance lieber beim »Holzingerbauer« außerhalb von St. Gilgen stärkte.

Nach seiner Abwahl 1998 kam Helmut Kohl nur noch einmal mit seiner Ehefrau Hannelore nach St. Gilgen. Nach ihrem Tod 2001 wollte er nicht mehr hierher zurückkehren. An der Seite seiner zweiten Ehefrau Maike Kohl-Richter verbrachte er seine letzten Lebensjahre an den Rollstuhl gefesselt und des Sprechens nicht mehr mächtig. Der einst so redselige Pfälzer war verstummt. 2017 starb der »Ehrenbürger Europas«, ohne den es kaum so rasch zu einer Wiedervereinigung Deutschlands gekommen wäre, in seinem Haus in Oggersheim.


Helmut Kohl – der ewige Kanzler

  • Helmut Kohl wurde am 3. April 1930 in Ludwigshafen am Rhein geboren. Als Bundeskanzler regierte er von 1982 bis 1998 insgesamt 5870 Tage, länger als alle Vorgänger. Nicht einmal Angela Merkel konnte seinen Rekord brechen, sie bekleidete das Amt zehn Tage kürzer als der »Ewige Kanzler«.
  • Kohl begann schon als Gymnasiast, sich politisch zu engagieren. 1960 heiratete er die Dolmetscherin Hannelore Renner. Sie bekamen zwei Söhne, Walter und Peter, und inszenierten sich als Vorzeigefamilie. Später verfasste Hannelore Kohl sogar ein Kochbuch mit Lieblingsrezepten ihres Mannes.
  • Mit 36 Jahren war Kohl bereits Landesvorsitzender der CDU in Rheinland-Pfalz, 1969 übernahm er das Amt des Ministerpräsidenten. 1976 ging er als Bundesvorsitzender der CDU/CSU nach Bonn. Im September 1982 wurde Kohl sechster deutscher Bundeskanzler.
  • Während seiner Ära prägte der Staatsmann nicht nur sein Land, sondern Europa. 1984 reichten er und Frankreichs Präsident François Mitterrand sich als Zeichen der Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland über den Gräbern von Verdun die Hand. Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 ebnete Kohls Verhandlungsgeschick den Weg zur Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland. In der Folge leitete er die Einführung des Euro, die Wirtschaftsunion und die Osterweiterung der EU in die Wege.
  • Die Probleme im Zuge der Wiedervereinigung schwächten Kohl politisch, 1998 verlor er die Bundestagswahl. 2001 setzte seine Frau Hannelore ihrem Leben ein Ende, sie litt an einer unheilbaren Krankheit. 2008, gesundheitlich bereits gezeichnet, heiratete Kohl die Volkswirtin Maike Richter. 2017 starb der einst so mächtige Politiker im Alter von 87 Jahren.

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Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2023

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Judith Hecht
Autor
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