© Gina Müller / carolineseidler.com

La Cucina Italiana: Gesunde Küche trotz Kohlenhydraten?

Das italienische Volk ist das schlankste in Europa. Und das, obwohl mit Pizza, Pasta, Risotto & Co. viele Kohlenhydrate auf dem Speisezettel stehen. Sind Carbs also doch nicht so böse, wie ihnen oftmals nachgesagt wird?

Neben dem Fußball gilt das Kulinarische in Italien als eine nationale Leidenschaft. ­Qualität wird großgeschrieben und es darf auch durchaus länger dauern – die Zubereitung genauso wie das Essen. Die Rezepte verblüffen dabei häufig mit ihrer »Purezza«: Simple Zutaten, unkomplizierte, aber reich beseelte Gerichte machen den Kern der Küche aus. Nach Primi und Secondi Piatti darf das Dolce nicht fehlen. Weder an Fett noch an Kohlenhydraten mangelt es, und doch sagt die Statistik: Im europäischen Vergleich ist der Anteil an normalgewichtigen Menschen mit 55 Prozent in Italien am höchsten. Das wirft Fragen auf. Was machen die nur anders? 

Schaut man genauer auf die Zahlen, zeigt sich, dass in allen Ländern das Gewicht mit dem Alter steigt, aber in Italien scheint es von Anfang an gut zu laufen. Denn tatsächlich sind nicht einmal zwei von zehn der 18- bis 24-Jährigen mehrgewichtig, während der EU-Schnitt bei 25 Prozent liegt und in Irland bereits 40 Prozent in der Altersklasse zu viel auf die Waage bringen. Ist das italienische Volk vielleicht einfach nur überproportional jung und deswegen statistisch so schlank? Fehlanzeige. Das Durchschnittsalter ist mit 47 Jahren sogar das höchste in Europa.

Bewegen sie sich mehr als andere? Auch das kann Umfragen zufolge ausgeschlossen werden. Etwa 45 Prozent geben an, sich nicht regelmäßig und ausreichend zu bewegen. In der EU sind es 35 Prozent im Schnitt. Das ist also auch keine Erklärung. 

In allen Ländern zeigt sich zudem, dass Männer eher übergewichtig sind als Frauen. Doch während etwa jeder zweite Italiener mehrgewichtig ist und damit mit vielen anderen Europäern gleichzieht, sind es vor allem die Italienerinnen, die den wesentlichen Ausschlag geben und offenbar mehr auf ihre Figur achten als andere. Knapp über 60 Prozent haben Idealgewicht, das ist mittlerweile mehr als außergewöhnlich und mag an der Mode oder den Rollenbildern liegen – oder an der Esskultur. Dabei denken wir bei italienischer Küche häufig an Pizza, Pasta, Risotti und Gnocchi – alle bilden Paradebeispiele für Kohlenhydrate (engl. »carbohydrates«, kurz »carbs«), die mit der Low-Carb-Welle, dem Aufkommen der Paleo-Diät (Steinzeit-Ernährung) und der ketogenen Ernährung in Verruf kamen. Ihnen gemeinsam ist der Grundsatz, wenige Kohlenhydrate aufzunehmen, und das ­Versprechen, sich dadurch einiger Kilos zu entledigen. Widersprechen also die statistischen Daten den konzeptionellen Low-Carb-Überlegungen? Ja, weil Kohlenhydrate per se nicht dick machen. Das bestätigt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Verzichtet man auf sie, zeigt sich zwar ein vorläufiges Minus auf der Waage, aber das ist selten von Dauer.  

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Low Carb: ein Kurzzeitmodell

Essen wir zu wenig Kohlenhydrate, werden zuerst die entsprechenden Reserven in Leber und Muskeln, die sogenannten -Glykogenspeicher, geleert. Dabei handelt es sich um Glukose, die in Form von Glykogen vorliegt und die für einen stabilen Blutzuckerspiegel vorrätig gehalten wird. Weil Glukose Wasser bindet, geht mit dem Abbau der Glykogendepots ein Flüssigkeitsverlust einher. Daher rührt die rasche Gewichtsreduktion. Im Vergleich zu anderen Diäten lassen sich deswegen mit Low Carb schnell Erfolge erzielen. Sobald die Kohlenhydratspeicher leer sind, holt sich der Körper die Energie aus Fettsäuren statt aus Glukose. Es werden sogenannte Ketonkörper gebildet und Fettdepots reduziert. Das allerdings funktioniert nur, wenn einerseits die Fettzufuhr sehr hoch (60 bis 90 Prozent der Tagesenergiezufuhr) und gleichzeitig die Kohlenhydrataufnahme mit maximal 50 Gramm pro Tag absurd niedrig ist. Schon ein Apfel enthält die halbe Ration. Denn Kohlenhydrate finden sich nicht nur in Kartoffeln, Nudeln, Reis, Brot und Süßem, sondern auch in Obst, Gemüse und Milchprodukten. Über einen längeren Zeitraum auf so viele Lebensmittelgruppen zu verzichten, ist einerseits hinsichtlich der Zufuhr von Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und Ballaststoffen ungünstig, andererseits für die meisten Menschen ohnehin kulinarisch nicht erstrebenswert und durchführbar. Zwar purzeln die Kilos mit Low-Carb-Konzepten anfänglich flott, über einen längeren Zeitraum sind sie allerdings nicht wirkungsvoller als Standard-Ernährungsumstellungen (ausgewogene, energiereduzierte Mischkost). Zudem kann die hohe Fettaufnahme möglicherweise das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigern.  

Mediterranes Genießen

Weder ist also die italienische Kost arm an Kohlenhydraten, noch würde eine kohlenhydratarme Kost die Idealfigur zwingend begünstigen. Allerdings gilt die mediterrane Kost als eine besonders gesundheitsförderliche. Hülsenfrüchte, Getreide, Obst und Nüsse, Gemüse, Fisch und Olivenöl stehen im Mittelpunkt, Fleisch und Milchprodukte kommen mäßig vor. Und Alkohol regelmäßig, aber ebenfalls in moderaten Mengen. Menschen, die solchen Mustern folgen, weisen aktuellen Meta-Analysen zufolge ein geringeres Risiko für chronische Erkrankungen wie etwa Diabetes oder koronare Herzkrankheiten auf. Dazu kommt: Tendenziell haben das gemeinsame Essen, Trinken, Abwechslung, Qualitätsorientierung, Sich-Zeit-Nehmen und Genießen einen hohen Stellenwert in Italien. Und damit geht bekanntermaßen auch ein normales Gewicht einher.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2023

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