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Algen: Hype mit Potenzial?

Wakame, Dulse, Kombu, Spirulina und Chlorella: Aufgrund ihres Gesundheitsnimbus und der Nachhaltigkeitsdebatte rücken grosse und kleine Algen zunehmend ins Rampenlicht. Zählen sie tatsächlich zum Essen der Zukunft?

Seit Jahrtausenden haben Algen in vielen Teilen der Welt einen fixen Platz in der traditionellen Küche. In Asien genauso wie etwa in Schottland und Wales, Irland, Island und Dänemark. Dabei kommen die sogenannten Makroalgen auf den Tisch, also jene Algenarten, die bis zu sechzig Meter lang werden können und als Seetang im Meer mit freiem Auge erkennbar sind.

Sie werden frisch, getrocknet oder eingelegt gegessen: Wakame-Algen als Salat oder Kombu als Geschmacksverstärker im Fischsud Dashi. Am bekanntesten bei uns sind wohl die Nori-Algen als Teil von Maki und Temaki. Mittlerweile werden Makroalgen aber querbeet eingesetzt: Umibudo macht sich als Topping bei Rice Bowls gut und Meeresspaghetti werden als Pizzabelag verwendet oder der Pasta untergemischt. Dulse – der Speck unter den Algen – garniert Melonen wie sonst Serrano oder übernimmt die Würze in der Carbonara. Und analog zum Rindfleisch wird Kelp (Seetang) getrocknet als Jerky (Dörrfleisch) als Snack zwischendurch angeboten. Gemeinsam mit Champignons, Erbsenprotein, schwarzen Bohnen, Quinoa und Tomatenstücken findet sich Seetang aber auch als Burger wieder. Keine Frage, Algen sind zunehmend ein kulinarisches Thema. Dabei sind nicht nur Makroalgen, sondern auch Mikroalgen gefragt. 

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Im Gegensatz zu ersteren bestehen zweitere bloss aus einer Zelle und sind mikroskopisch klein. Nur als Konglomerat sind sie zu erkennen, wie etwa die Kieselalgen im Aquarium. Sie werden als Lifestyle-Produkt mit Superfood-Charakter promotet wie etwa Chlorella und Spirulina – als Nahrungsergänzungsmittel in Pulver- oder Tablettenform ebenso wie einzelnen Produkten wie Smoothies, Keksen, Nudeln oder Aufstrichen zugesetzt.

Superfood Alge?

Tatsächlich weisen Algen ein sehr konzen­triertes Nährstoffprofil auf. In erster Linie sind die Qualität und Menge von Fettsäuren und Eiweiß ins Treffen zu führen. So enthalten Algen mehrfach ungesättigte Fettsäuren, hauptsächlich Omega-3 und Omega-6. Omega-3 nehmen wir sonst vor allem aus fetten Meeresfischen auf, die wiederum Algen gefressen haben. Dieser Umweg liesse sich einsparen und das wäre aus ökologischer Sicht angesichts der gefährdeten Fischbestände auch sinnvoll. Zudem spielt die Eiweissversorgung bei der Entwicklung nachhaltiger Ernährungssysteme und dem Schwenk hin zu mehr pflanzlichen Rohstoffen eine grosse Rolle. Algen verfügen je nach Spezies über einen Eiweissgehalt von 30 bis 70 Prozent in der Trockenmasse. Das sind Werte, mit denen andere Quellen wie Hülsenfrüchte, Reis, Milch oder Eier nicht mithalten können. Zusätzlich punkten Algen mit hoher biologischer Wertigkeit. Das bedeutet, dass wir vom aufgenommenen Eiweiss einen hohen Anteil in körpereigenes Eiweiss verwerten können, weil sie die essenziellen Aminosäuren liefern. Vor allem in Richtung Fleischersatzprodukte wird daher derzeit intensiv geforscht und entwickelt.

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Begrenztes Nährstoffwunder

Nichtsdestotrotz bleibt in der Praxis die verzehrte Menge der springende Punkt, womit sich der Beitrag von Algen zur Nährstoffversorgung stark relativiert. Als Nahrungsergänzungsmittel werden mit einer Tablette beispielsweise bei Eiweiss maximal vier Prozent des Tagesbedarfs gedeckt. Für Vitamine und Mineralstoffe wie Zink und Magnesium gilt Ähnliches. Abgesehen davon, dass Algen dafür nicht nötig sind. Vollkornprodukte oder eine Portion Haferflocken tun es auch. Wer sich eine Extraportion Chlorophyll, das die Blutbildung und Zellatmung verbessern soll, gönnen mag, muss ebenfalls nicht zwingend zu Algen greifen. Grünes Gemüse wie Spinat genügt. Spirulina und Chlorella werden zudem häufig auch wegen ihres Vitamin-B12-Gehalts beworben. Allerdings liefert Spirulina nur ein für den Menschen nicht verwertbares Vitamin-B12-Analogon und ist somit als Quelle obsolet. Chlorella dagegen reichert B12 aus der Umgebung an und kann tatsächlich als vegane Vitamin-B12-Ressource genützt werden. 

Von einer allzu gesteigerten Dosis Algen – sowohl in Tablettenform als auch in essbarerer Variante – ist jedenfalls abzuraten. Zum einen kann es bei übermässiger Aufnahme als Nahrungsergänzungsmittel zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu Nierenproblemen kommen. Zum anderen schwankt der Jodgehalt in Algen sehr stark, wodurch Überdosierungen rasch möglich sind. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt daher nicht mehr als ein Gramm Algen pro Tag zu essen. 

Auch eine Frage des Geschmacks

Inwieweit sich Algen bei uns durchsetzen, ist aber sowieso eine Frage der sensorischen Akzeptanz. Die dunkelgrüne bis schwarze Farbe ist gewöhnungsbedürftig, auch der eher muffige Algengeruch und erdige Geschmack mögen nicht alle auf Anhieb überzeugen. Hinzu kommt bei Makroalgen die Konsistenz, die von weich, glitschig bis bissfest variieren kann. Wie aber bei nahezu allen Speisen mögen wir sie mehr, je öfter wir sie essen. Gleichzeitig ist von einem Überkonsum aufgrund der mitunter hohen Jodgehalte abzuraten. Bleibt zum Schluss: Als Gemüsebeilage können essbare Algen unser kulinarisches Spektrum bereichern und auf nachhaltige Weise wertvolle Nährstoffe liefern. Als isolierte Nahrungsergänzungsmittel sind Algenpräparate dagegen eher kritisch zu hinterfragen. Der oftmals propagierte gesundheitliche Zusatznutzen fällt eher weniger ins Gewicht, interessanter sind hingegen die ökologischen Aspekte. 


 

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2023

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Marlies Gruber
Autor
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