Ein Zürcher Jungunternehmen züchtet Microgreens in einem Bürogebäude im Stadtgebiet.

Ein Zürcher Jungunternehmen züchtet Microgreens in einem Bürogebäude im Stadtgebiet.
© Claudia Link

Microgreens aus Zürich: Klein, aber oho!

Microgreens sind in aller Munde – viele Köche kämen ohne die jung geernteten, geschmacksintensiven Gemüsepflanzen nicht mehr aus.

Kein Ächzen, kein Stöhnen, dafür aber laute Rapmusik und freudige Gesichter. So sieht die Gemüseernte bei Umami in Zürich aus. Fast jeder der etwa zehn Angestellten hier im Produktionsraum begrüsst uns mit Handschlag und stellt sich mit Namen vor. Gutes Klima. Das herrscht hier augenscheinlich unter den Mitarbeitern, noch viel wichtiger ist es aber für die Microgreens, die Umami hier oben im vierten Stock eines von aussen unscheinbaren Industriegebäudes an der Zürcher Badener Strasse produziert. Wir sind unterwegs mit Robin Bertschinger, einem der Gründer des Unternehmens, der uns in den Raum nebenan führt – das Herz von Umami. Die Luft hier ist von Feuch­tigkeit geschwängert, das Rauschen von Wasser bestimmt die Geräuschkulisse, es ­ist warm, nahezu tropisch – und hell. Die mehrstöckigen Holzgestelle sind gefüllt mit Microgreens in unterschiedlichen Entwicklungsstadien – unten gerade frisch eingesät, ganz oben in ihrer vollen Pracht. Wer zu Hause schon einmal Kresse gezüchtet hat, kennt sich mit Microgreens schon ein wenig aus. Die jungen, essbaren Keimpflanzen benötigen etwa sechs bis vierzehn Tage, bis sie geerntet werden können. Damit liegen sie hinsichtlich des Wachstumsstadiums zwischen Sprossen und ausgewachsener Pflanze. Geschmacklich sind sie besonders intensiv, konzentriert, wie wir feststellen, als Bertschinger uns ein paar reicht und ­wir probieren. «Das hier ist Rettich, eines unserer beliebtesten Microgreens», erklärt er. Durch die Gestelle vor uns fliesst Wasser, die Microgreens ziehen daraus die benötigten Nährstoffe, und die wiederum werden nicht zugesetzt, sondern entstehen auf natürliche Weise.

Ein Miniaturwald mitten in der Stadt

Am Ende der Gestelle ­türmen sich Pflanzen entlang der Wand, fast wie in einem Miniaturwald. Wir erspähen unter anderem Farn, Brunnenkresse, ja sogar Orchideen, und davor befindet sich ein Becken mit Fischen – einige der wichtigsten Mitarbeiter von Umami. «Muscheln, Plankton, Garnelen, Polypen und Schwämme gehören ausserdem zur Tierwelt der Anlage. Wir füttern die Fische, die verwerten das Futter, und die Ausscheidungen werden wie in einem See von anderen Lebe­wesen genutzt. Das nährstoffreiche Wasser sammeln wir anschliessend und leiten es zu den Pflanzen weiter. Das ist im Grunde das Prinzip der Aquaponik», erklärt Bertschinger. Insgesamt befinden sich in der Anlage, die knapp 60.000 Liter fasst, etwa 250 verschiedene Pflanzen und 50 Tierarten, und das alles in drei separaten Klimazonen.

Aquaponik

Betrachtet man die Anfangszeit der drei Gründer Robin Bertschinger, Manuel Vock und Denis Weinberg, ist das fast schon L­uxus. Alles begann nämlich in einem einzigen Raum, einem alten Bankarchiv in Adliswil. Hier tüftelte man das System aus und brachte im August 2016 die ersten Microgreens auf den Markt. Seit letztem Sommer befindet sich die Produktionsstätte von Umami nun hier oben im vierten Stock in einem ehemaligen Fotolabor, das man selbst umbaute und nach den eigenen Wünschen gestaltete. Bertschinger ist sichtlich stolz auf die Umbauten, die zum grössten Teil selbst vorgenommen wurden. Er führt uns zum Kühlhaus für d­ie Microgreens, das aus Holz besteht und eine reine Wasserkühlung besitzt. Die Abwärme wird wieder in das System eingespeist. Nur ein Beispiel von vielen für die Energieeffizienz der Anlage. Ursprünglich geplant war das alles nicht. Die Gründer, allesamt ehemalige Betriebswirtschaftsstudenten, wollten zunächst ein Restaurant in Zürich eröffnen. Auf die Teller sollten vornehmlich selbst angebaute Lebensmittel kommen – mindestens die Hälfte. In der Limmatstadt liess sich das aber nicht verwirklichen.

Manuel Vock kam mit der Idee der Aquaponik um die Ecke, und die ersten Versuche starteten. Der grosse Durchbruch gelang Umami mithilfe der hiesigen Spitzengastronomie. Mit den ersten Microgreens im Gepäck besuchten Vock, Weinberg und Bertschinger Spitzenkoch Tobias Buholzer in der «Rose» von Rüschlikon. «Wir wollten einfach mal wissen, wo wir mit unserem Produkt stehen», erzählt Bertschinger. Mit dem positiven Feedback des Sternekochs im Gepäck ging es dann zurück in den Banktresor – und erst richtig los. Mittlerweile beliefert Umami nicht nur viele Restaurants rund um den Zürichsee mit Microgreens, sondern auch Warenhäuser wie Globus und Jelmoli oder Gastrogrosshändler wie Bianchi und Marinello. Gemeinsam mit Buholzer ging man noch einen Schritt weiter und brachte die ersten verarbeiteten Produkte auf den Markt: ein Pesto und eine Mayonnaise, basierend auf den intensiven Geschmacksnuancen der Microgreens. Letztere wird mit Rettich-Microgreens versehen, was an Wasabi erinnert.

Ein Raum voller Aquarien

«Künftig könnte man in so einer Anlage natürlich auch Früchte, Gemüse, Blumen und vieles mehr anbauen. Zudem besteht die Überlegung, einzelne Module herzustellen, die dann beispielsweise in Krisengebieten zur Lebensmittelproduktion eingesetzt werden könnten. Unser nächster Schritt ist aber erst einmal die Garnelenzucht», berichtet Bertschinger. Wir befinden uns mittlerweile in einem Raum voller Aquarien. Hier schwimmen unter anderem Hunderte von Buntbarschen in den Becken. Die Fische bringen mit jedem Laich etwa 100 Jungtiere zur Welt. Mittlerweile sind es so viele, dass sie bald verkauft werden müssen. Bertschinger deutet mit dem Finger aber auf ein anderes Becken. Hier tummeln sich die Süsswassergarnelen. Mit etwas Geduld entdecken auch wir die fast durchsichtigen Wasserlebewesen, die sich unter den Pflanzen im Becken verstecken. Ende des Jahres sollen sie zum ersten Mal zum Verkauf angeboten werden, je nachdem, wie sich die Zucht entwickelt. Bis dahin steht aber schon ein anderes Wasserlebewesen auf der Sortimentsliste von Umami: die Asiatische Körbchenmuschel. Eine eingeschleppte Art, die Vock wöchentlich mit Taucherbrille und Schnorchel ausgerüstet aus dem Zürichsee holt. Danach geht’s wieder in den vierten Stock, in das perfekt funktionierende Ökosystem. «Wir zeigen hier oben, wie die Food-Industrie heute funktionieren könnte. Die Natur macht es uns vor», sagt Bertschinger. Ein Satz, der uns noch lange in Erinnerungbleiben wird.

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2020

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