Ralf Flinkenflügel testet Restaurants anonym. Daher will er unerkannt bleiben.

Ralf Flinkenflügel testet Restaurants anonym. Daher will er unerkannt bleiben.
© Guide Michelin

Sterne in Deutschland: »Es gibt keinen Abwärtstrend«

Ralf Flinkenflügel, Direktor des Guide Michelin Deutschland und Schweiz, gibt im exklusiven Interview eine Einschätzung über die Branche ab, verrät, ob man einen Tester erkennen könnte und was für die Bewertung wirklich ausschlaggebend ist.

Im Vorfeld der Michelin Sterne-Zeremonie in Karlsruhe hat Falstaff Ralf Flinkenflügel, Direktor des Guide Michelin Deutschland und Schweiz, zum Interview gebeten.

Falstaff: Wie ist es um die gehobene Küche derzeit in Deutschland bestellt?

Flinkenflügel: Es ist kein Geheimnis, dass die Gesamtbreite der Gastronomie mit der hohen Inflation und Personalmangel zu kämpfen hat. Die Gastronom:innen haben sich darauf eingestellt und beispielsweise ihre Karte verkleinert oder die Öffnungszeiten reduziert. Das scheint in vielen Fällen zu funktionieren. Wir waren positiv überrascht, wie gut die Restaurants besucht waren und dass in puncto Qualität keinerlei Abstriche gemacht wurden.

Können die deutschen Gastronomen qualitativ und stilistisch im internationalen Vergleich mithalten?

Durchaus. Das zeigt allein schon der enorme Zuwachs der Stern-Restaurants über die letzten zehn bis 15 Jahre. Leider wird das international sehr oft übersehen.

Was hebt die deutsche Küche besonders hervor?

Man kann nicht alle Küchen über einen Kamm scheren – wir haben allerdings festgestellt, dass viele Köch:innen immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen. Das heißt sie setzen zunehmend auf die Verwendung regionaler und saisonaler Produkte, versuchen lange Transportwege zu vermeiden, befinden sich im Austausch mit regionalen Erzeuger:innen, und so weiter. Da habe ich bereits viele kreative Ideen beobachten können.

Diese Kreativität lässt sich darüber hinaus auch in den Gerichten selbst beobachten. Viele deutsche Köch:innen sind handwerklich sehr gut ausgebildet und bringen immer wieder neue und einfallsreiche Kombinationen auf den Teller.

Welche Trends kann man aktuell in der deutschen und internationalen Spitzengastronomie feststellen?

Ein Trend, den wir feststellen ist, dass gerade in Deutschland derzeit viele kleine Restaurants eröffnen, in denen drei, vier Personen auf unheimlich gutem Niveau kochen. Und ich bin überrascht – und auch begeistert – zu sehen wie viele gerade junge Leute den Mut haben, sich mit einem Restaurant selbstständig zu machen.

Wie gehen Sie damit um, wenn von Michelin Köchen gesprochen wird anstatt von Restaurants?

Dieser Begriff hat sich auch international verselbständigt. Dagegen anzukämpfen, macht wenig Sinn.

Wir werden lediglich aktiv wenn sich Küchenchef:innen, die sich beispielsweise vor 20 Jahren in einem Restaurant einen Stern erkocht haben, weiterhin als Sterneköch:innen titulieren, obwohl das Restaurant gar nicht mehr existiert.

Werden Tester eigentlich oft mit Klischees konfrontiert?

Unsere Inspektor:innen arbeiten anonym, daher ist mir nicht bekannt, dass sie mit Klischees konfrontiert werden.

Wieviele Inspektoren sind in Deutschland im Einsatz?

In meinem Team sind zehn Inspektor:innen unterwegs. Wir unterstützen uns jedoch weltweit gegenseitig. So kommt es auch vor, dass beispielsweise Kolleg:innen aus Asien in Deutschland testen und umgekehrt.

Wie gestaltet sich der Alltag eines Testers?

Unsere Tester:innen – oder Inspektor:innen wie wir sie nennen – sind alle festangestellt und verfügen über eine fundierte Ausbildung in internationaler Spitzengastronomie und -hotellerie. Wir arbeiten ausschließlich mit Fachkräften zusammen, die umfangreiches, gastronomisches Wissen mitbringen. Jährlich sind sie bis zu 28 Wochen unterwegs und gehen zwischen 200- und 250-Mal essen.

Beim Restaurantbesuch selbst verhalten sich unsere Inspektor:innen wie jeder andere Gast. Meist gehen sie alleine in ein Restaurant, speisen ganz normal und begleichen danach die Rechnung.

Die eigentliche Arbeit beginnt danach. Nach jedem Besuch verfassen die Inspektor:innen ausführliche Berichte, die als Grundlage dafür dienen, ob das jeweilige Haus in den Guide Michelin aufgenommen, oder sogar für eine Auszeichnung vorgeschlagen wird.

Wichtig ist an dieser Stelle, dass die endgültige Entscheidung über die Vergabe der Sterne stets das Ergebnis mehrerer Mahlzeiten verschiedener Tester:innen ist. So wird kein Stern aufgrund einer einzelnen Erfahrung verliehen oder auch aberkannt. Dies gewährleistet die Zuverlässigkeit und Objektivität der Auszeichnung.

 Zählt für eine Auszeichnung eigentlich »nur« das, was auf den Teller kommt, oder auch das Rundherum?

Ja, es zählt nur das, was auf den Teller kommt. Michelin hat insgesamt fünf Kriterien für die Vergabe von Sternen definiert, die alle weltweit gleich und klar definiert sind: Die Qualität und Frische der Produkte, die fachgerechte Zubereitung und der Geschmack des Essens, die persönliche Note der Küche, das Preis-Leistungs-Verhältnis sowie die immer gleichbleibende Qualität.

Welche Bilanz können Sie über 2022 ziehen? Was sind die signifikantesten Änderungen in der Branche?

Trotz der schwierigen Situation, in der sich die Gastronomieszene seit Beginn der Pandemie befindet, bin ich stolz sagen zu können, dass auch in diesem Jahr kein Abwärtstrend zu erkennen ist.

Warum wurde eigentlich gerade Karlsruhe für die feierliche Sterne-Zeremonie ausgewählt?

Der Guide Michelin ist bestrebt, seine Veranstaltungen stets in Orten auszurichten, die die gleichen Werte und Ziele verfolgen, wie der Guide selbst. Darüber hinaus haben wir es uns zum Ziel gesetzt, den Veranstaltungsort – sofern möglich – jedes Jahr zu wechseln, um damit auf die diversen Städte des Landes und ihre regionale Gastronomie aufmerksam zu machen. Genau wie unsere Inspektor:innen, reist der Guide so durch das gesamte Land und ermöglicht es seinen Gästen, die Regionen zu erkunden. In diesem Jahr freuen wir uns ganz besonders, unsere feierliche Michelin Sterne-Verleihung in Karlsruhe ausrichten zu dürfen. Mit ihrer bewundernswerten Architektur und dem breiten kulinarischen Angebot ist Karlsruhe eine ganz besondere Stadt, die wir unserem Publikum aus internationalen Feinschmecker:innen und Reisenden gerne vorstellen möchten.


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Julia Emma Weninger
Julia Emma Weninger
Chefredakteurin Online
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