NY Cheesecake.

NY Cheesecake.
© Stine Christiansen, Johannes Kernmayer

Cortis Küchenzettel: Gut, böse, Cheesecake

Der New York Cheesecake heißt nicht zufällig nach der großen Metropole. Hier war immer schon alles unanständig groß, fett, böse – und irgendwie geiler als im Rest der Welt.

Ein gutes Kilo Vollfett-Frischkäse, Zucker, dazu ein halbes Dutzend große Eier, ein bisserl ein Schlagobers, weil’s eh schon wurscht ist – und ein Tortenboden aus zerbröselten Keksen industrieller Herkunft, weil echtes Backen nur etwas für Stubenhocker ist: Im Wesentlichen sind das die Zutaten für den echten New York Cheesecake. Der fette Kuchen ist so etwas wie der Großstadt-Gangster der Dessertwelt: verwegen und verführerisch, ohne sich allzu sehr anzustrengen, nonchalant im Brechen aller Normen und Gesetze, sexy trotz (oder sogar wegen?) seiner ungewissen Vergangenheit und Herkunft.

Geilheit im eigentlichen Sinn ist die ­vorherrschende Sensation: Unverschämt seidige Cremigkeit, wie sie nur durch rücksichtslosen Fettgehalt entstehen kann. Ein Tagesbedarf an Kalorien, verpackt in ein scheinbar harmloses Stück Kuchen. Aber es wäre nicht New York, wenn das ikonische Dessert der Millionenmetropole sich seit den 1920er-Jahren, als es von »Sandwich King« Arnold Reuben (genau, der mit dem Reuben Sandwich) ersonnen wurde, nicht weiterentwickelt und mehrfach neu erfunden hätte. In den rauen 1920ern war Fettcreme wie diese genau richtig: als Trostspender für jene, die sich der Gangster-Metropole im täglichen Überlebenskampf zu stellen hatten.

Nominell sind die Zeiten heute leichter, aber bergauf geht es schon lange nicht mehr. So ist auch dieses Rezept zu verstehen: Der New York Cheesecake soll seine unverstellt lebensbejahende (und eben deshalb Arterien verstopfende) Essenz nicht verlieren –, weil es ja ein Cheesecake aus New York, für New Yorker und New-York-Infizierte ist. Aber genau deshalb darf er auch nicht stehen bleiben, zum Museum seiner selbst erstarren, von nichts als der guten alten Zeit erzählen können. Was in Wien zum Prinzip geworden ist, gerade in der Zuckerbäckerkunst, geht in einer Stadt wie New York, die nur existieren kann, wenn sie in Bewegung bleibt, gar nicht. Da wäre derlei selig wienerisches Verharren im Gestern tödlich.

Stella Parks ist New Yorkerin mit Zuckerbäcker-Virus. In ihrem vielfach ausgezeichneten New-York-Times-Bestseller »BraveTart: Iconic American Desserts« hat sie eine ganz ähnliche Variation wie die nebenstehende entwickelt: Mit einer für Pikanz sorgenden kleinen Portion Ziegenfrischkäse in der Masse, die im Geschmacksbild unbemerkt bleibt, aber im Hintergrund auf subtile Art für Tiefe sorgt. Mit einem Schuss Orangenblütenwasser für die fein nuancierte ätherische Note. Und mit zart zimtigen Biscoff-Karamellkeksen statt der nominell vorgegebenen ­Graham Cracker für den No-Bake-Boden. Als Wiener gibt es daraus eine ganz wesentliche Lektion zu erkennen: Diskret an ein paar Schrauben drehen, statt sich großmächtig an der Dekonstruktion eines Klassikers zu vergehen – so geht Nach­speisenrenovierung auf souveräne Art.

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Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2023

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Severin Corti
Severin Corti
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