© Eva Iova / Anna Philippa Wolf

Passard passiert: Und er passierte am Attersee bei KATE & KON

Der Pariser Dreisternekoch zauberte ein Menü hin, wie es in Österreich noch lange Nachhall finden wird – ja muss.

Es gibt Dreisterneköche. Und es gibt Dreisterneköche, die schon zu Berufszeiten mehr Legende aufgebaut haben, als andere Köche erst nach ihrem Rentenantritt erfahren. Eigentlich gibt es derzeit nur einen solchen Koch. Und der heißt Alain Passard, der Besitzer und Küchenideologe des »L'Arpége« in Paris – der Tempel der gegenwärtigen kulinarischen Moderne.

Um den 67-jährigen Passard den richtigen historischen Rahmen zu geben, muss man das kulinarische Hochkulturerbe aufrufen, das nach wie vor zu rund neunzig Prozent in Frankreich geschrieben wird. Man kann weltpopuläre Küchen - wie etwa die italienische oder die chinesische - in ihrer großen Ausrichtung der französischen Küche kreativ und in Sachen Zutatenvielfalt überlegen finden – was in der Gesamtbetrachtung auch stimmt. Man kann aber die französische Hochküche mit keiner dieser Küchen vergleichen, weil sie in Sachen Grundprodukte, Kombinationen und schmackhafter Kreativität immer das ist, was sie sein will und sein kann: weltführend. Mag sich die kulinarische Welt verändern: die Hochküche wird ausschließlich von Franzosen definiert, verändert und in der Moderne dominiert.

Letztlich haben die Hochkulinarik weit weniger französische Köche bestimmt, als wir annehmen würden – trotz der vielen Genies am Herd. Zuerst war da Auguste Escoffier, der die Hochküche in der Französischen Republik vor 1914, bevor das Unglück Europas begann, mit zwei Sachen maßgeblich reformierte. Escoffier war der erste Koch, der die Qualität der Grundprodukte enorm anhob und so den Geschmack von bis dahin bloß übertünchende Saucen weg hin zum Roti führte. Und Escoffier war es, der die Küchenbrigaden schuf. Mit ihren Plätzen und Abteilungen – mit der Arbeitsteilung. Und Hygiene.

Escoffiers Küche hielt fast hundert Jahre, doch dann kam die Nouvelle Vague, Ende der 1950er-Jahre, die von uns fälschlicherweise als ausschließliche Bewegung französischer Filmemacher wie Godard oder Truffaut erkannt wird. Doch die Nouvelle Vague erfasste in Frankreich mehr als nur das Kino. Nouvelle Vague: das waren auch Sänger wie Jaques Brel oder Chansonniere wie Yves Montand. Und ein paar Pariser Köche machten sich Anfang der 1960er daran, Escoffier, der inzwischen schon Jahre tot war, mit einer Nouvelle Cuisine vom Sockel zu stürzen – jener Küchenmoderne (ein Roti, zwei Beilagen, eine Sauce), die unsere Kulinarik seither bestimmt.

Es war Paul Bocuse, der nicht in Paris, sondern bei Lyon (und mit vielen Schweizer Gästen) die Nouvelle Cuisine kaperte und ihr eine Richtung gab, die weltweit nachvollziehbar wurde. Nach Bocuse kamen Stars wie Pierre Troisgros oder Alain Pic; vor allem aber die Fast-Systemgastronomen Alain Ducasse und Joel Robuchon – Pioniere, die die französische Dreisternegastronomie mit Restaurants außerhalb Frankreichs auch in die Welt trugen.

Und dann kam Alain Passard. In seinem Pariser »L'Arpege«. Klein, fein, ein Solitär, der sich einzig und allein auf seine Küche, auf seinen Stil konzentrierte. Und eben nicht hauptsächlich im Jet saß, um überall in der Welt in TV-Studios Küchentipps zu geben.

Mit Dreißig ging Passard zur Bank, um Geld auszuleihen, seinem Förderer Alain Senderens, ebenfalls ein Dreisternekoch und der eigentliche Erfinder der modernen Weinbegleitung, das Restaurant »L'Archestrate« abzukaufen, das er in »L'Arpege« umbenannte. Mit Vierzig hatte er dort seinen dritten Stern eingefangen und galt als »Nouvelle Wunder«, das die Pariser erstmal lieber für sich behielten. Doch das Dekonstruieren und Rekonstruieren der Dreisterneküche, das Passard im »L'Arpege« begann, das ließ sich nicht lange verheimlichen. Passard war der erste Koch, der schon vor dreißig Jahren die Gemüse in den Focus rückte. Er war der erste Koch, der mit Heu kochte. Und er war der erste Koch, der das tat, was viele hippe Sternerestaurants heute in der Fahne führen: Passard legte sich einen eigenen Gemüsegarten zu, in den er seine Köche wöchentlich mehrmals zur Ernte schickte. Das war absolut neu: dieser Zugang der Zutatenautonomie, der bei uns erst mit der Diskussion um Ökologie und Biodynamik zum Tragen kam. Passard tat all das aber schon, als davon kein Hahn krähte. Deswegen ist Passard der bislang letzte, große Dreisterneküchen-Reformer, eine unglaublich jugendliche Person – was logisch ist: der Revolutionär, der Rebell, bleibt immer jung.

Und dieser Rebell flog letzten Freitag bei KATE & KON ein - einem der führenden und ebenfalls die Moderne definierenden Wein- und Kulinarik Händler am Attersee – , und brachte neben seinem Sohn Louis, der ihm in der Küche half, nur einen Blätterteig mit, den er noch schnell in Paris gezogen hatte. Den Rest des elfgängigen Menüs fertigte Passard mit dem fünfköpfigen KATE & KON Küchenteam in den professionell ausgestatteten Küchenzeilen am Forstamt für die 44 anwesenden Gäste nur aus den Produkten, die er dort vorfand, oder die er bestellt und hingeliefert hatte (etwa fangfrische Langoustinen aus Dänemark oder einige Gemüse aus seinem Garten). Unter diesen Produkten waren zum Beispiel auch rund 60 Attersee-Saiblinge, die kleinen, feinen, die nur wenige Stunden vor ihrer Verarbeitung aus dem See geholt wurden – Fische, wie man sie selten kennt. Und für die in Rosinenblätterform gedrehte Apfeltarte schnitt und garte Passard die Äpfel, die das KATE & KON-Team zuvor von den Apfelbäumen im eigenen Garten geholt hatten. Katharina Wolf, die mit ihrem Mann Florian, ihrem Bruder Konstantin und ihrer Schwester Anna-Philippa die Gastgeber waren (und als solche dauernd am Laufen) sagt, dass es vor allem die schnelle, individuelle Kreativität sei, die Passard ausmacht. Er nimmt auch Zutaten her, die er so gar nicht am Plan hatte – Hauptsache sie verfeinern und vervollständigen seine Gerichte. Ein Mann, der sich keine konzeptuellen Schranken setzt, sondern sich und sein Tun auch einer, seiner, kreativen Anarchie ausliefert - stets vertrauend, zu können, was er kann.

Was er kann, was immens schmeckte, waren unter allem, weil alles einzigartig war, auch der Atterox im Feigenblatt, ein Teil von Passards Fabile mit Blättern oder Heu geschmacksgebend zu kochen, oder das Tartar aus Roten Rüben (Rote Beete), das von einem ordentlichen Löffel KATE & KON Gold Selection Kaviar, ein Eigenimport, begleitet wurde. Große Küche, riesig große Dreisterneküche, die intellektuell und gleichzeitig populistisch ist. Wer das zusammenkriegt, kriegt alles gebacken.

An einem solchen Abend und bei einem solchen Menü, da müssen sich auch die gastgebenden Weinhändler ins Gebet nehmen, ausschließlich singuläre Weine aus dem Keller zu holen, die Großes mit Größe begleiten, ohne dabei überborden zu wollen – es geht ja ums Gesamte. Und so gab es das beste Auf- und Anregendste aus Frankreich satt: Montrachets und Meursaults von Michel Niellon, Paul Pillot, der Domaine Dujac, der Domaine Etienne Sauzet, der Domaine Ballot-Millot; dann von Vincent Giradin, der Domaine Leflaive und rote Spitzenburgunder von Patrick Tawse, der Domaine des Lambrays, von Marquise d´Angerville und von Comté Armand. Nicht zu vergessen die großartigen Rieslinge und Gewürztraminer der elsässischen Domaine Trimbach – was für ein Abend!

Alain Passard ist ein Freund von KATE & KON – und hier ist »Freund« kein bloß hingelächelter Begriff wie auf facebook, sondern ein echter Wert. Und weil Wert Wertschätzung bedeutet, geht der Autor dieser Zeilen ins stille Gebet, so einen Abend im nächsten Sommer vielleicht wieder zu erleben.

Wäre das möglich?


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Manfred Klimek
Autor
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