Risotto wird erst mit Wein abgelöscht und dann mit heißer Brühe aufgegossen. Das Ergebnis muss cremig sein, die Körner bissfest.

Risotto wird erst mit Wein abgelöscht und dann mit heißer Brühe aufgegossen. Das Ergebnis muss cremig sein, die Körner bissfest.
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Risotto: Die Stärke des Reis

Für ein gelungenes Risotto braucht es die richtige Grundzutat. Andernfalls wird der italienische Klassiker alles, nur nicht schlotzig. In der Po-Ebene gedeiht Reis nach allen Regeln der Risotto-Kunst.

Mit kurzen, ruckartigen Bewegungen schwenkt Christian Costardi das Risotto. Wie eine Welle steigt der Reis hoch, um gleich darauf wieder in der Pfanne abzutauchen, und das immer und immer wieder. Das rhythmische Klopfen der Stielpfanne auf der Edelstahlarbeitsplatte klingt dabei fast wie Musik. Costardi, der gemeinsam mit seinem Bruder Manuel das »Ristorante Christian & Manuel« im »Hotel Cinzia« in Vercelli im Piemont führt, mischt auf diese Weise den fertig gekochten Reis mit kalter Butter und Grana Padano, bis daraus ein Risotto von solch cremiger Konsistenz entsteht, wie man es anderswo kaum findet.

Riso di Italia

Die Risottos der Costardi-Brüder gelten landesweit als kulinarisches Nonplusultra. Bis zu 20 verschiedene Kreationen stehen à la carte in ihrem Michelin-Stern-gekrönten ­Restaurant zur Auswahl, darunter ihr berühmtes Risotto al Pomodoro, das so rein gar nichts mit der verkochten, wässrigen Pampe zu tun hat, die italienischen Kindern in den Schulkantinen vorgesetzt wird. Hauptakteur ist selbstverständlich der Reis, der von den Costardis penibel ausgewählt wird, wobei die Entscheidung meist zuguns­ten von Carnaroli ausfällt, einem Mittelkornreis der Kategorie Superfino mit großen Körnern, die beim Kochen einen Hauch mehr Stärke (Amylose) abgeben als andere Sorten. Das Risotto wird dadurch cremiger, die Körner aber behalten ihren Biss.

Anbaugebiet von Carnaroli, aber auch von anderen, typisch italienischen Risottoreissorten wie Vialone Nano und Arborio ist Norditalien, allen voran die Regionen Piemont, Lombardei und Venetien. 90 Prozent der über 200.000 Hektar Reisfelder befinden sich hier und machen die Stadt Vercelli damit zum größten Umschlagplatz für Reis in Europa. Der Ertrag pro Hektar liegt zwischen drei und neun Tonnen. Der Reisanbau selbst datiert zurück bis zu den Römern, wobei die Pflanze anfangs als Heilpflanze bei Magenbeschwerden oder als Zutat in Süßspeisen verwendet wurde.

Risotto ist vielseitig und 
lässt sich von mild 
bis deftig oder auch mit 
süß-fruchtigen Komponenten 
wie Apfel zubereiten. 
Edel wird’s mit Trüffel.
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Risotto ist vielseitig und lässt sich von mild bis deftig oder auch mit süß-fruchtigen Komponenten wie Apfel zubereiten. Edel wird’s mit Trüffel.

Erst ab dem 15. Jahrhundert, als infolge von Katastrophen die Lebensmittel knapp wurden, hielt Reis im großen Stil in den Küchen Einzug. Die ersten Reisfelder und ein systematischer Anbau werden den Adelsfamilien Sforza und Gonzaga zugeschrieben, die Arbeit auf den Feldern aber war einst ein Knochenjob. Besonders anschaulich dargestellt wird das in Giuseppe De Santis’ berühmten Film »Bitterer Reis« aus dem Jahr 1949. Er dokumentiert das Leben der sogenannten Mondine, also jener Saisonarbeiterinnen, die aus den untersten sozialen Schichten stammten und mangels Arbeit Jahr für Jahr auf die Reisplantagen kamen.

Das Wort »mondare« bedeutet dabei so viel wie »reinigen« und beschreibt, womit die Frauen hauptsächlich beschäftigt waren, nämlich damit, die Reisfelder von Unkraut zu befreien. Dabei standen sie mehrere Stunden in gebückter Haltung in der prallen Sonne knietief im Wasser, umzingelt von Insekten. Nach jahrelangen Protesten gegen die widrigen Arbeitsbedingungen, langen Arbeitszeiten und niedrigen Löhne konnten sich die Arbeiterinnen Anfang der 1900er-Jahre schließlich Gehör verschaffen und zumindest einen Acht-Stunden-Tag erwirken. Heute wird die Arbeit von Spritzmittel und Traktoren erledigt.

Malerisch: Eine verlassene Kirche inmitten von Reisfeldern in der Provinz Novara in Casaleggio im Piemont.
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Malerisch: Eine verlassene Kirche inmitten von Reisfeldern in der Provinz Novara in Casaleggio im Piemont.

Cremig vollendet

Im Gegensatz zu »normalem« Reis wird Risottoreis nur schwach poliert, andernfalls würde die aus Amylose bestehenden Stärkehülle verloren gehen, die für Risotto essenziell ist. In der heißen Flüssigkeit löst sich die Amylose vom Korn und wird zum Bindemittel – dadurch bekommt das Risotto die notwendige Cremigkeit. Zu den Klassikern unter den Rezepten gehört zweifellos Risotto alla milanese, bei dem Zwiebeln und Reis statt in Butter in Knochenmark angeröstet werden und Safran­fäden für die kräftige gelbe Farbe sorgen.

In der Provinz Monza und Brianza fügt man dem Risotto traditionell die lokale Schweinewurst Luganega hinzu (Risotto alla monzese), nach Brescianer Tradition greift man lieber zu Huhn (Risotto alla pitocca). Übrig gebliebenes Risotto wird in Sizilien gerne zu gefüllten und frittierten Reisbällchen (Arancini di riso) weiterverarbeitet, in Neapel formt man hingegen Kroketten (Supplì di riso).

Der Kreativität sind bei Risotto keine Grenzen gesetzt, ja selbst ein süßer Einschlag ist möglich, wie Christian und Manuel Costardi mit ihrem Risotto con Crema di Grana Padano, Riduzione di Birra e Caffè mit karamellähnlicher Bierreduktion und Kaffee beweisen, das geschmacklich an Cappuccino oder Tiramisu erinnern soll. Einzige Bedingung ist nur, dass das Ergebnis am Ende zugleich cremig und bissfest ist.


Klassische Risotto-Reissorten

Vialone Nano

Die Sorte mit den kleinsten Körnern, damit aber auch mit der kürzesten Kochzeit. Schon nach 15 Minuten sind die rund 5 mm langen Körner al dente. Der Reis wird vor allem rund um Verona auf fruchtbaren Schlammböden angebaut. Seit 1996 ist Riso Nano -Vialone Veronese eine geschützte Ursprungsbezeichnung.

Rosa Marchetti

Eine Rarität aus Vercelli im Piemont, die in den 1960er-Jahren von Reisbauer Domenico Marchetti entdeckt wurde. Er isolierte die anders aussehenden Reispflanzen und kultivierte sie weiter. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um eine alte, vergessene Sorte. Marchetti ließ sie registrieren und benannte sie nach seiner Frau Rosa.

Carnaroli

Oftmals als »König« unter den italienischen Reissorten tituliert, liefert Carnaroli vergleichsweise wenig Ertrag – was sich auch im Preis niederschlägt. Dafür hat der Reis hinsichtlich seiner Struktur und Kocheigenschaften deutlich die Nase vorn: Das Risotto wird cremig, ohne dass die Körner an Bissfestigkeit einbüßen.

Baldo

Eine eher unbekannte Sorte mit großen, -kristallinen Körnern, die aus einer Kreuzung aus Arborio und Stirpe 136e entstanden ist. Angebaut wird der Reis hauptsächlich auf den Feldern rund um Vercelli, Novara und Pavia. Aufgrund seines herausragenden Geschmacks gilt der Reis unter Kennern als Geheimtipp.

Maratelli

Maratelli ist eine der ältesten Risottoreissorten und das Resultat einer spontanen Kreuzung. Entdeckt wurde sie im 20. Jahrhundert von Mario Maratelli auf einem seiner Reisfelder in Asigliano Vercellese. In den 1970er-Jahren wurde die Sorte von ertragreicheren verdrängt, Anfang der 1990er-Jahre dank -engagierter Reisbauern aber rekultiviert.

Arborio

Seinen Namen verdankt der Risottoreis der piemontesischen Stadt Arborio, in deren Umgebung die Anbaugebiete liegen. Die Körner sind groß und rundlicher als jene der anderen Sorten. Außerdem zeichnet sich der Reis durch einen hohen Stärkegehalt aus. Eine der beliebtesten und am weitesten verbreiteten Sorten, die auch für Milchreis geeignet ist.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2023

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Sonja Planeta
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Von Redaktion