Der Geschmack trüber Biere kommt wieder in den Trend.

Der Geschmack trüber Biere kommt wieder in den Trend.
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Das Lagerbier auf Geschmackscomeback

Helle, geschmacksneutrale Lagerbiere beherrschen seit vielen Jahren den Biermarkt. Doch dank der Craft-Bier-Welle kehren immer öfter auch aromastarke Biere in unsere Gläser zurück.

Unbestritten: Helle Lagerbiere gehören zu den absoluten Favoriten der Schweizer Biertrinkerinnen und Biertrinker. Dennoch wird immer öfter auch zu aromatischeren Biersorten gegriffen. Insbesondere obergärige Bierstile wie etwa Ales werden beliebter.

»Session-IPA Big Easy«

Den besten Beweis dafür liefern unzählige Schweizer Kleinbrauereien, die mit Ales grosse Erfolge feiern. Darunter etwa die Brüder David und Samuel Denzler, die mit ihrer Brauerei im Berg im Zürcher Weisslingen aromatische Bierspezialitäten brauen, die klar internationalen Vorbildern folgen und sich vor diesen auch nicht verstecken müssen. Bei der in der Schweiz und Österreich ausgeschriebenen Bier Trophy 2020 gehörten sie zu den grossen Entdeckungen. Aber Geschmack ist nicht nur im Kleinen gefragt.

Auch grössere Brauereien arbeiten heute in diese Richtung. Mit der Lancierung des «Session IPA Big Easy» landete die Craft-Bier-Abteilung der Wiener Brauerei Ottakringer einen Volltreffer. «Die Nachfrage nach dem Bier war schon im Sommer 2019 riesig», erklärt Michael Neureiter, Leiter des BrauWerks. Um der grossen Nachfrage nachzukommen, wird das Bier in der charakteristischen, violett-weissen Dose seit einem Jahr auch nicht mehr auf der kleinen Anlage im BrauWerk hergestellt, sondern auf der grossen Brauanlage von Ottakringer. «Bei der kleinen Produktion reden wir von zehn Hektolitern pro Sud. Bei der grossen Anlage sind es 450», so Neureiter. Auch die Schweiz soll bald in den Genuss des Biers kommen. Ein Export sei in Planung, so Neureiter.

Der Hopfen macht's

Der Geschmack eines Biers wird von vielen Faktoren bestimmt – insbesondere von den Grundzutaten, der Art des Malzes und vor allem der Hopfensorte. Bei den eingangs erwähnten Bieren von der Brauerei im Berg sind die sogenannten Aromahopfen tonangebend. Während Bitterhopfen dem Bier seinen typisch bitteren Geschmack verleiht, sorgen aromatische Hopfensorten für das Aromenprofil.

In den letzten Jahren wurden neue Hopfensorten eigens dafür entwickelt, dem Bier intensive Aromen mitzugeben, zwischen Aroma- und Bitterhopfen unterschieden wird allerdings seit jeher. Ursprünglich war der antibakteriell wirkende Hopfen dafür da, das Bier zu konservieren, heute bestimmt er vor allem Charakter und Geschmack. Gerade intensive Hopfennoten – etwa nach exotischen Früchten, Zitrus oder Harz – sind allerdings flüchtig und damit gebraute Biere nicht unbedingt für eine lange Lagerung bestimmt.

Haltbarkeit

Die Haltbarkeit von Bier – auch von aromatischen Sorten – ist heute oft kein grosses Thema mehr. Letztlich schützen Konservierungsmethoden und die Fähigkeiten der Brauer Konsumenten vor zu altem Bier. Während der Corona-Krise und den damit verbundenen Schliessungen in der Gastronomie wurde die Haltbarkeit aber plötzlich wieder zum Thema. Wohin mit all dem Bier, wenn es niemand trinken kann?

Reini Schenkermaier hatte in dieser Hinsicht gleich doppelt Pech – oder Glück! Österreichs einziger «Master of Beer» führt die Brauerei Erzbergbräu in Eisenerz in der Steiermark. Zu dieser gehört auch ein Gas­tronomiebetrieb, in den rund zwei Drittel der Produktion fliessen. «Wir haben uns während des Lockdowns am Lagerbestand bedient und nicht gebraut», erklärt Schenkermaier. Die Biere lagern bei null Grad im Kühllager. «Unsere Biere sind einwandfrei», sagt der geübte Biersensoriker.

Ober- oder Untergärig?

Neben den Inhaltsstoffen spielt auch die Brauart beim Geschmack des Biers eine entscheidende Rolle. Insbesondere die Wahl der Hefe ist dabei zentral. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen obergärigen und untergärigen Hefen. Die meisten in der Natur vorkommenden Hefen sind obergärig, sprich, sie arbeiten bei moderaten bis warmen Temperaturen am besten, also etwa bei 15 bis 20 Grad. Mit diesen Hefen werden Ales und Stouts hergestellt, aber auch Weizenbier und viele weitere, vollmundige Bierarten.

Untergärige Hefen finden sich zwar ebenfalls in der Natur, und wohl hat man vor Hunderten Jahren schon hin und wieder untergärige Biere gebraut – dann allerdings mehr oder weniger zufällig, wenn es eben kalt war. Denn untergärige Hefen mögen Temperaturen zwischen 4 und 9 Grad Celsius. Sie sind die Grundlage für Lagerbiere – Helles, Spezialbier, Zwickel und viele Stile mehr. 1876 erfand der Münchner Carl von Linde die Kältemaschine und ermöglichte damit den Siegeszug der untergärigen Hefen und der heute noch bei uns bevorzugten Lagerbierstile. «Bis in die 1980er-Jahre wurde das Bier weltweit immer geschmacksneutraler.

«Tea Time Jasmine IPA»

Ganz egal, ob es ober- oder untergärig war», sagt Reinhold Barta vom äusserst erfolgreichen Brauhaus Gusswerk bei Salzburg. «Lange hiess es in vielen Brauereien: Hopfen weg, Hopfen weg, Hopfen weg! Eigentlich war immer schon klar, dass die Konsumenten irgendwann umdenken würden», so Barta. «Heute wollen sie wieder Geschmack in ihrem Bier haben, und das ist gut so.»  Der Diplom-Biersommelier und Diplominge-nieur der Lebensmittel- und Biotechnologie setzt auf biologische, lokale Zutaten und einen handwerklichen Brauprozess ohne jegliche synthetische Hilfs­mittel.

Zu den Bewahrern oder besser Wiederentdeckern der Tradition gehört auch Tim Sutton. In Dallenwil im Kanton Nidwalden braut er sein sogenanntes «Swiss Real Ale». Er bedient sich also traditioneller, englischer Rezepte und braut Bier so, wie man es von den Pumphähnen in englischen Pubs kennt. Trotz aller Tradition lässt er auch neue Ideen zu. Sein «Tea Time Jasmine IPA» aromatisiert er nicht alleine mit Hopfen, sondern auch mit einer gehörigen Portion Jasminblüten. Was im ersten Moment gewöhnungsbedürftig klingt, schmeckt im Glas ganz einfach grossartig.

«Sonnenkönig VI»

Aromatische Biere sind mittlerweile in allen Bereichen der Branche zu finden – nicht nur bei Kleinbrauereien, auch grös­sere Betriebe erweitern ihr Portfolio. So etwa die österreichische Brauerei Stiegl, ­die nicht nur in Kategorien wie Pils oder Helles zu brillieren weiss, sondern auch im Bereich der Kreativbiere. Darunter fällt etwa das «Sonnenkönig VI», ein Weizen-Doppelbock, das in Whisk(e)yfässern gelagert wurde. Mit einem Durstlöscher hat dieses Bier allerdings wenig gemein. ­Es gehört zu der in unseren Breiten noch wenig bekannten Kategorie der Super-Premium-Biere.

Trend Super Premium

Zu den Super-Premium-Bieren gehört auch das «Pilgrim Grand Cru Imperial Russian Stout» der Brauerei Kloster Fischingen, das mit 98 Punkten bestbenotete Bier der Falstaff Bier Trophy 2020.

Bierbrauer und Unternehmer Martin Wartmann ist in der Schweizer Bierszene bekannt – hauptsächlich für die Kreation des Ittinger Klosterbräus, des ersten Amber-Biers der Schweiz, das seit Mitte der 1990er-Jahre von Heineken gebraut und vertrieben wird. Wartmann kennt sich in der internationalen Brauerszene aus wie kaum ein anderer. «Die Entwicklungen, die wir derzeit erleben, die Zuwendung hin zu aromatischen Bieren und neuen Rezepten oder die Kreation von alkoholstarken Super-Premium-Bieren sind keine Überraschungen», erzählt der Ostschweizer Bierexperte. «All diese Dinge waren an den Entwicklungen des Biermarkts in den USA abzulesen.»

Bei seinem neuesten Projekt, der einzigen echten Klosterbrauerei der Schweiz in Fischingen im Kanton Thurgau, setzte er denn auch bewusst auf Premium-Qualität: «Meine Kollegen dachten, ich ­sei verrückt, als sie erfuhren, dass die 0,75-Liter-Flasche von unserem Jahrgangsbier 35 Franken kostet.» Super-Premium-Biere mit hohem Preis hatte Wartmann schon vor Jahren in den USA entdeckt und wartete einfach lange genug, bis der Markt hier bereit dafür war. Ein helles Lagerbier wäre sicher einfacher zu verkaufen, ein solches braut er aber ganz bewusst nicht. «Ein exzellentes Pils oder Helles herzustellen, das ist die hohe Kunst», sagt Wartmann. «Für einen Kleinbetrieb ist die Herstellung eines solchen Biers fast unmöglich.» Es sei ja noch nicht lange her, dass allzu hopfiges oder gar trübes Bier als fehlerhaft galt, erklärt der Schweizer lachend. «Ein Glück für die Kleinbrauer, dass das inzwischen anders ist.»


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Wussten Sie schon?

So beeinflussen die Zutaten den Biergeschmack: 

  • Der Hopfen sorgt für Bittere und Aroma im Bier. Die beiden Eigenschaften werden mittels Hopfenart, Menge und Zeitpunkt der Hopfengabe im Brauprozess bestimmt.
     
  • Das gemälzte Getreide sorgt für Zucker in der Maische und somit Alkohol im Bier. Meist wird Gerste verwendet. Aber auch andere Getreidearten sind verbreitet. Das Malz bestimmt über den Körper, das Malzaroma und die Farbe des Bieres.
     
  • Die verhältnismässig wichtigste Zutat im Bier: Das Wasser wird heute meist vor dem Brauen aufbereitet. Die Eigenschaften des Wassers bestimmten früher über regionale Bierstile. Ein hellfarbenes, frisches Pils benötigt etwa weiches Wasser, wie man es in der Stadt Pilsen natürlich vorfindet.
     
  • Die Hefe macht aus Zucker Alkohol und Kohlensäure, setzt dabei aber auch Aromakomplexe frei. Beim Bier kommen untergärige (Lagerbiere) und obergärige (Ale, Weizen etc.) Hefestämme zum Einsatz.

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2020

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Benjamin Herzog
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