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Essay: Martini – Nach vieren untern Wirt

So zumindest lautet das Ende Dorothe Parkers Martini-Anekdote aus den 20ern. «Ich trinke gern Martinis, doch sind zwei genug serviert. Denn nach dreien lieg ich unterm Tisch, …» und, ja: Martini ist ein Drink, der gelernt sein will, von beiden Seiten.

Jüngst begab sich folgendes Ereignis. Man befand sich im Berliner Hackbarth’s in Mitte, dem Ort am Eck mit dem langen Tresen und zwar einem der liebsten frei schreibender Journalisten der Stadt –  gerade durch die frühen Öffnungszeiten und die damit zugestandene Befugnis, an einem Sonntag bereits um 14 Uhr einen «Work Drink» zu schlürfen. Macht die Schreibschaft am Nachbarstisch doch auch. Dort bestellt man einen Martini und die Bedienung fragt, ob »rosso« oder »bianco«. Die Dauer, bis das Missverständnis geklärt ist, dass es sich nicht um einen Shot des süsslichen Wermuts, sondern um den Drink handelt, scheint end, aber nicht sinnlos. 

Immerhin bedienen beide Formen des «Martinis» eine komplett verschiedene Kategorie, begiessen verschiedene Gelegenheiten und haben im Grunde nicht mehr miteinander gemeinsam als den Wermut. 

Ein gekühlter Kanal zwischen Klassik und Kult 

Gemäss EU-Verordnung ist Wermut ein «aromatisierter Wein, der mit Alkohol versetzt wurde, und dessen charakteristisches Aroma durch Verwendung geeigneter, aus Artemisia-Arten gewonnener Stoffe erzielt wird.» Die Artemisia gehört der Familie der Korbblütler an, derer wiederum bis zu 500 Arten angehören, unter anderem Beifuss, Wermut oder Stabwurz

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Das ist der Wermut. Wer allerdings jüngst, nicht zuletzt durch den letzten James-Bond-Film einmal wieder auf die Agenda der aktuellen Drinks geschaut hat, weiss, dass der Cocktail Martini derzeit weitaus bedeutender ist. Aktueller Weise wieder in den Feeds sozialer Medien zu sehen, scheint der Cocktail Martini, inzwischen auch verbreitet in Form des Emoji daher weit mehr als ein Drink: Er ist Stilikone interaktiver Kommunikation und Zeitzeuge von Klassik und Kult.

Was ist nun aber drin im sogenannten Cocktailspitz, eben jenem klassischen Martiniglas? Gemäss der International Bartenders Association gibt es auf diese Frage genau eine Antwort: Sechs Teile Gin und ein Teil trockener Wermut. Nun, die Gretchenfrage – geschüttelt oder gerührt? Ein Martini muss kalt sein, und das wird er beim Schütteln schneller. Allerdings wird er so auch leicht trüb, was oftmals nicht gewollt ist. Sei es Marotte, sei es sein steter Zeitdruck, wie 007 ihn trinkt, haben wir inzwischen vernommen. Wobei der ohnehin einen Martini trinkt, bei dem Wodka den Gin ergänzt – nicht ersetzt, wie bei etwa einem Wodka Martini – und dem auch noch der französische Aperitif Lillet beigemengt wird. 

Dem Nachbartisch schmeckt der Martini scheinbar nur mittel. Aber warum? Entgegen des Trends beliebt es ihr etwas süsser, weshalb sie Wermut und Gin zu gleichen Teilen vermengt und mit dem stolzen Anteil von einem Drittel an Olivenlake verrührt, bevor sie den Drink in ein vorgefrostetes Glas gibt. «Dafür müssen es natürlich gute Oliven sein, ich habe mir meine aus Sizilien mitgebracht, dann ist dann auch die Sole super», so die Tischnachbarin. Während dies eigentlich eine Mischung aus dem vor allem durch F.D. Roosevelt bekannt gewordenen Dirty Martini, nämlich mit Olivensud, ist, lehnt sich besagte Version auch an den so genannten «Perfect Martini», bei dem der Gin zu gleichen Teilen mit süssem und trockenen Wermut im Verhältnis 2:1:1 gemischt wird.

Als perfekte Version wiederum für Katertage hat sich für vielerlei inzwischen der Gibson erwiesen, ein Martini mit Perlzwiebel statt Olive. Da für einen Kater vor allem das Hormon Vasopressin verantwortlich ist, sind gerade Pickles in jedweder Form ein hervorragender Lieferant für Mineralien der Besserung. Und der Rest im Glas … nun, der hilft als Wegproviant über die Brücke des Leidens bis zum wiedererlangten Ufer der Glückseligkeit

Fakt ist: ob es nun ein Smoky Martini mit Bourbon, ein On the Rocks oder ein Martini Rolls Royce mit Bénédictine wird – durchprobieren und richtig bestellen hilft. Es gibt eine mögliche Martini-Variante für jeden Menschen – man muss sie nur finden.


Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2021

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Juliane Eva Reichert
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