Leiten die Domaine Henri Cruchon in dritter Generation (v. l.): Catherine Cruchon, Margaret Cruchon-Griggs, Yaëlle Cruchon und Laura Cruchon.

Leiten die Domaine Henri Cruchon in dritter Generation (v. l.): Catherine Cruchon, Margaret Cruchon-Griggs, Yaëlle Cruchon und Laura Cruchon.
© Magdalena Menzinger

New Generation: Zurück in die Zukunft

Gleich mehrere Schweizer Spitzenweingüter erleben derzeit einen Generationenwechsel. Was das für die Betriebe, ihre Weine und deren Fans bedeutet? Einen grossen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und weiter steigende Qualität.

Der Tessiner Spitzenwinzer Christian Zündel liess seine Kinder lange tun und lassen, was sie wollten. Sohn Manuel studierte Maschinenbau an der ETH in Zürich, Tochter Myra widmete sich in Italien ihrer Leidenschaft, den Pferden. «Im Sommer haben wir jeweils auf dem Weingut mitgeholfen», erinnert sich Myra. «Das war gut als Sommerjob.» Sonst war das Weingut Zündel lange Jahre eine «One-Man-Show». Klar, die Familie half mit, auch Mutter Anne De Haas, die gleich oberhalb des Kellers ihr Textilatelier betreibt. Eines Morgens aber hatte ­Christian Zündel genug. Er sprach die Kinder direkt an, ob sie Interesse am Betrieb hätten oder ob er verkaufen solle. Für die Kinder war das ein Weckruf. «Wir waren im ersten Moment schockiert», sagt Myra Zündel. «Das Weingut hier in Beride, dieses Haus, die Reben, das ist unser Leben, unsere Kindheit.»

Und was den beiden im ­Schockmoment wohl noch nicht klar war, auch ihre Zukunft. Myra und Manuel Zündel arbeiten heute gemeinsam mit dem Vater auf dem Weingut. Aus der «One-Man-Show» ist ein echter Familienbetrieb geworden. Manuel Zündel lebt und arbeitet nach wie vor in Zürich, kümmert sich daneben aber um «alle Zahlen» im Weingut. Schwester Myra kümmert sich ums Tagesgeschäft, den Keller, den Verkauf und arbeitet in den Reben. «Unser Vater hat sich aus den Dingen ausgeloggt, die er nicht mag», sagt Myra Zündel schmunzelnd. «Keller und Büro machen wir Kinder, er ist vor allem in den Reben.»

Diskussionsgrund Tiere

Nach der Entscheidung, das Weingut zu übernehmen, arbeitete Myra Zündel zunächst beim bekannten Naturweingut COS auf Sizilien, um anschliessend eine Ausbildung bei La Maison Carrée in ­Neuenburg anzutreten. Nach abgeschlossener Ausbildung 2018 kam sie auf den Betrieb des Vaters. «Es gibt sicher kompliziertere Übergaben als die unsere», sagt Myra Zündel. Auch wenn sie sich nicht immer einig seien, hätten sie alle einen sehr ähnlichen Weingeschmack, was die Zusammenarbeit äusserst unkompliziert gestaltet. Helfen dabei würde aber auch die klare Aufgabenteilung, die sich bei Zündels ganz einfach aus den Fähigkeiten ergeben hat.

Wo es denn auch mal Reibung gibt? Lustigerweise bei den Tieren, die Myra Zündels grosse Leidenschaft sind. «Mein Vater kann sehr gut mit Pflanzen umgehen, mit den Tieren hat er’s nicht so», sagt sie. Ihr Pferd El Diablo will sie in Zukunft im Weingut einbinden und träumt von weiteren Tieren auf dem Hof. «Mein Vater sagt jeweils scherzhaft, er wolle eine Kuh, wenn wir darüber reden, doch natürlich macht es ganz einfach Sinn, auf einem biodynamischen Betrieb auch Tiere zu halten. Grundsätzlich sind wir uns also auch hier einig.»

Mit neuen Leuten kommt frischer Wind. Das ist derzeit auf vielen Schweizer Spitzen-Weingütern zu beobachten.

Myra und Manuel Zündel sind lange nicht die einzigen Kinder von Spitzenwinzern, die in den letzten Jahren in den elterlichen Betrieb eingestiegen sind, das zeigt beispielsweise auch ein Blick auf die Mitglieder der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses, die einige der renommiertesten Produzentinnen und Produzenten der Schweiz vereint. Auf der Domaine La Colombe in Féchy ist Laura Paccot in vierter Generation an der Seite ihres Vaters Raymond Paccot aktiv, der Betrieb wurde kürzlich feierlich übergeben. Der erste Wurf von Laura Paccot – der ­Chasselas Pét-Nat De Facto – erfreut sich bereits grosser ­Beliebtheit.

Seit letztem Jahr in der ­Vereinigung dabei ist das Weingut Adank, wo Junior Patrick Adank in den letzten Jahren für frischen Wind sorgte, einen der besten Schaum­weine der Schweiz herstellt und dabei ist, das Profil des Weinguts mit Lagenweinen weiter zu schärfen. Um zwei Beispiele zu nennen. Auch das Weingut Pircher in Eglisau steht seit Ende 2021 unter neuer Führung, hier hat mit Gianmarco Ofner den Betrieb seines Paten Urs Pircher übernommen.

Besonders augenscheinlich sind die Veränderungen beim Mémoire-Weingut Weinbau Ottiger aus Luzern. Seit 1. Januar 2022 wird dieses nicht mehr von Gründer Toni Ottiger geleitet, sondern von Kevin Studer und Denis Koch. Die beiden absolvierten die Winzerlehre bei Ottiger und arbeiteten im Betrieb, als dieser mit der Idee einer Übergabe auf sie zukam. «Toni wollte in Pension gehen und sprach uns 2020 darauf an – eineinhalb Jahre später sind wir die ­Nachfolge angetreten. Es ging sehr schnell», sagt Kevin Studer. Verwandt mit Toni Ottiger sind sie beide nicht, was der ­Betriebsübergabe vielleicht auch half. Ottiger ist heute aus dem Betrieb ganz raus. «Toni ist sehr entspannt», sagt Kevin Studer. «Er hat aber immer ein offenes Ohr für uns, zudem hat er uns bei der Übergabe sehr gut begleitet.» Viel beibringen musste Ottiger den beiden allerdings nicht, sie kannten den Betrieb aus dem Effeff. «Nur beim Büro musste er uns schon das eine oder andere zeigen», gesteht Studer ein.

Unter eigenem Namen

Mit neuen Leuten kommt frischer Wind, das war auch bei Weinbau Ottiger schnell zu spüren. So hat man die Weinlinie verschlankt, setzt mehr auf Herkunft und den natürlichen Ausdruck der Weine. «Weniger ist mehr», gibt Kevin Studer zu Protokoll. Ein grosses Thema sei für ihn und seinen Geschäftspartner Denis Koch sowie für die Kunden derzeit der Name des Weinguts. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die neue ­Generation bei Weinbau Ottiger hier schon bald korrigierend eingreifen wird.

Für Catherine Cruchon war die Übernahme des Familienweinguts gemeinsam mit ihrer Frau und ihren zwei Cousinen Anfang dieses Jahres alles andere als eine Überraschung. «Ich wusste eigentlich schon immer, dass ich mal Winzerin werde», sagt sie. «Die Stimmung im Keller, die gesamte ­Weinkultur, das hat mich schon als Kind fasziniert.» Das Weingut Henri Cruchon wurde 1976 vom Grossvater von ­Catherine Cruchon gegründet, bald stiegen ihr Vater Raoul und Onkel Michel mit ein, ­Catherine, ihre Frau und ihre Cousinen sind also die dritte ­Generation auf dem Weingut.

Nachhaltigkeit ist das Thema Nummer eins bei der neuen Winzer-Generation im Schweizer Spitzenweinbau.

«Les filles vinifient» nennen die vier ihre eigens auf dem Weingut eingeführte Naturweinlinie. Eine Art Wein, die für Catherine ganz selbstverständlich zum Weingut passt. «Für mich ist das die Folge des biodynamischen Anbaus, den mein Vater eingeführt hat. Wir lassen dabei alles weg, was wir nicht brauchen.» Schon Catherines Vater träumte davon, einst Naturwein zu machen. «Er sagte oft, dass er das machen wird, wenn er dann pensioniert sei, den ersten Jahrgang Altesse Nature, ganz ohne Schwefel, haben wir 2014 gemeinsam gefüllt.»

Nicht nur Vater und Tochter gefiel der Wein, auch Grossvater Henri mag ihn. Sehr sogar. «Er trank monatelang nur noch Altesse Nature», erinnert sich Catherine Cruchon. «Wir orientieren uns heute eher an dem, was vor der Industrialisierung des Weinbaus war, was die Generationen vor unseren Eltern taten. Und vor 100 Jahren waren alle Weine bio.» Als nächsten Schritt in Richtung Nachhaltigkeit will das Weingut gemeinsam mit anderen Waadtländer Betrieben auf Mehrwegflaschen umstellen, die zentral gewaschen werden, was heute niemand mehr tut, weil das zu Mehrarbeit und -kosten führt. «Früher wurden alle Weinflaschen gewaschen», entgegnet Catherine ­Cruchon. «Auch das werden wir wieder ­lernen.»


Next Generation

Diese Winzerinnen und Winzer sorgen für frischen Wind in der Schweizer Weinwelt.

ZUM NEW GENERATION TASTING

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2023

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