Sophie Christmann begutachtet die in kleinen Kistchen gelesenen Trauben: Präzisionsarbeit ist wohl bei keiner Sorte so zentral wie beim Spätburgunder.

Sophie Christmann begutachtet die in kleinen Kistchen gelesenen Trauben: Präzisionsarbeit ist wohl bei keiner Sorte so zentral wie beim Spätburgunder.
© Fabian Pellegrini

Pinot Noir: Eine kleine Klonenkunde

Keine andere Rebsorte ruft solch lebhafte Diskussionen über Klone hervor wie Pinot Noir. Seine Klonenvielfalt ist übrigens keineswegs das Ergebnis besonders grosser Mutationsfreudigkeit, sondern ist seinem Alter und der gezielten Selektion geschuldet.

Deutsche «Standard»-Klone

Von den 1920er-Jahren an entwickelt und wegen ihrer ­Ertragssicherheit sehr beliebt in den 1950er-, 60er-und 70er-Jahren. Das Paradebeispiel ist FR 52-86 – seine alten Reben jedoch ­bringen heute feine Würze und frische Säure aus Schultertrieben. Die kompakten Trauben machen Standardklone jedoch sehr pilzanfällig.

Dijon-Klone

Die erste Serie 111–117, der offiziell im Burgund selektionierten Klone, wurde 1979 freigegeben. Sie reifen zeitig und haben mittleren Ertrag. 115 ist heute noch wegen seiner Aromatik und Tanninstruktur beliebt. Die nächste Generation, Serie 665–779, erschien 1980/81. Klone 667 und 777 wurden Erfolgs­schlager und sind heute weltweit lizenziert. Ihre Mischung aus Eleganz und Kraft zeichnet sie aus. Aus der Serie 828–943 (von 1985 bis 1989) sind 828, 871 und 943 beliebt – wegen ­aromatischem Ausdruck und Tanninstruktur. Sie sind allerdings engbeerig und somit pilzanfällig. In der neuen Welt werden diese Klone oft als «Bernard Clones» bezeichnet – nach Dr. Raymond Bernard der ­Universität von Dijon, der das ursprüngliche Projekt leitete.

Schweizer Klone

Hauptsächlich aus der Forschungsanstalt Wädenswil (heute Agroscope). Wädenswiler Klone sind ertragreiche Standardklone, im frühen 20. Jahrhundert selektioniert, die sich durch frische Säure, blasse Farbe, Fruchtbetontheit und aufgelockerte Trauben auszeichnen. Eine Untergruppe aus Wädenswil sind Mariafeld-Klone, die sich durch lockere Trauben, grosse Beeren und hohe Säure auszeichnen.

Lockerbeerige Klone

Diese wurden in den Versuchszentren Freiburg, Geisenheim und Weinsberg selektioniert und erschienen in den 1990ern. Die lockere Struktur erlaubt das ­Austrocknen der Traube und vermeidet somit Pilzbefall. Sie wurden jedoch bereits vom ­Fortschritt überholt.

Klein- und mischbeerige Klone

Sowohl aromatischer Ausdruck, Tanninstruktur als auch Traubenform waren Ziel der Selektion: Kleine Beeren bedeuten Aroma- und Tannin­konzentration, Mischbeerigkeit liefert dennoch gesunde Erträge, während lockere Trauben­struktur dem Pilzbefall entgegenwirkt. GM 20-13 und FR 18-01, jeweils aus Geisenheim und ­Freiburg und um die Jahrtausendwende erschienen, sind mittlerweile auch international erfolgreich.

Fazit: Der Klon ist nur ein Aspekt der endlosen Pinot-Matrix – aber ein ausschlaggebender. Viele Winzer verlassen sich nicht auf einen, sondern auf eine Mischung – oder gar eigene oder gekaufte massale Selektionen.


Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2022

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