Neupflanzungen und ein Blick in die Ferne – die junge Generation, hier Julian Huber aus Malterdingen, verbindet ihre weinbauliche Identität mit nichts so sehr wie mit Pinot Noir.

Neupflanzungen und ein Blick in die Ferne – die junge Generation, hier Julian Huber aus Malterdingen, verbindet ihre weinbauliche Identität mit nichts so sehr wie mit Pinot Noir.
© Markus Bassler

Generation Pinot: Die jungen Winzer Deutschlands und der Schweiz

Die Generation der Twens und Thirtysomethings mischt die Burgunderwelt auf – in Deutschland und ebenso in der Schweiz. Stellvertretend für Dutzende andere hat Falstaff sieben von ihnen besucht.

Sophie Christmann addiert im Kopf Parzellengrössen und zählt mit den Fingern die Zwischenergebnisse ab: «Eins …, zwei …, fast drei Hektar Spätburgunder haben wir gerade jetzt noch mal neu gepflanzt. Er nimmt inzwischen 35 Prozent unserer Fläche ein.» Und das in einem Betrieb, der im Epizentrum der Pfälzer Rieslingwelt zu Hause ist, in Gimmeldingen in der Mittelhaardt. Ein Thema war Spätburgunder auch vorher schon im Hause des VDP-Präsidenten Christmann, doch neben König Riesling hatte es immer nur für eine Statistenrolle gereicht – trotz der Kalkböden in Lagen wie Idig, Biengarten und Ölberg.

Als Tochter Sophie 2017 nach Studium und Auslandsaufenthalten zurückkehrte, war klar, wie sie sagt, «dass beim Pinot noch Luft nach oben ist». Das Potenzial auszuloten wurde ihr Projekt, mit Carte blanche von Vater Steffen, der «mich geschubst und gesagt hat: ‹Mach einen kompletten Neuanfang.›» Unter den Händen der heute 28-Jährigen geriet der Neuanfang zu einem Katapultstart: Vom 2019er-Jahrgang wurde erstmals die Gesamtmenge des Spätburgunders GG Idig per Subskription verkauft: 4000 Flaschen, bei einem Preis von 75 Euro mehrfach überzeichnet.

Der grosse Erfolg der jungen Pinot-Winzer hat viele Ursachen, eine der wesentlichen ist, dass die Jugend den Spät- und Blauburgunder stilistisch entrümpelt hat. Weg mit den Speckröllchen, weg mit der Möbelpolitur, her mit Saftigkeit und Frische. Die Pinots der Jugend sind kompromisslos auf Reifepotenzial hin vinifiziert und fokussieren auf den Boden. «Ja, straff ist sicher ein Kennzeichen der Pinots meiner Generation», sagt auch Julia Baltes, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Benedikt eine ultrapure Spezies von Ahr-Spätburgunder auf Flaschen zieht. Weine, die zuweilen so anmuten, als kelterte der Marquis d’Angerville seine Burgunder jetzt auch vom Schiefer.

Einen ihrer besten Weine holt Baltes aus dem Trotzenberg in Marienthal, der früher immer als zu kühl für Spitzenresultate angesehen wurde. Doch Global Warming plus eine veränderte stilistische Idee erzwingen eine Neubewertung. «Dabei glaube ich nicht einmal, dass wir etwas komplett Neues machen», ordnet die 32-Jährige ihre Arbeit ein. «Mir kommt es eher vor wie eine Rückbesinnung. Die Generation vor uns hatte damit zu kämpfen, dass es unglaublich viele Vorurteile gegen deutsche Rotweine gab. Darum hat sie versucht, mit Weinen den Gegenbeweis zu erbringen, die viel von allem hatten: viel Farbe, viel Holz, viel Frucht, viel Alkohol. Unsere Generation ist zum Glück in einer anderen Position.»

Abnutzungskämpfe sind passé

Es ist eine Position der Stärke, aus der heraus die Pinot-Erneuerer arbeiten, denn inzwischen muss sich keiner mehr für seine Weine rechtfertigen. Den Rechtfertigungsdruck haben heute die Produzenten des füllig-breiten Stils. Das war vor etwas mehr als zehn Jahren noch anders, wie Markus Ruch aus Hallau im Kanton Schaffhausen erlebt hat. Ruch ist heute 46 und gehörte damit zu den Ersten, die umgedacht haben – und natürlich erst einmal aneckten.

Als er seine ersten eigenen Pinots kelterte, berichtet der Quereinsteiger, habe er es so gemacht, wie er es unter anderem bei Dominique Derain in Saint-Aubin an der Côte de Beaune gelernt hatte. Biologischer oder biodynamischer Anbau, möglichst wenige Eingriffe im Keller. Keine Filtration, ausschliesslich Wildhefen, möglichst geringer Schwefel­einsatz. «Heute klingt das alles völlig verständlich. Aber als ich 2007 anfing, verfolgten noch sehr wenige Winzer in der Schweiz eine derartige Philosophie.» Da er sich vom Kopfschütteln selbst angesehener Kollegen nicht aus der Fassung bringen liess, fand er über die Jahre hinweg zu seinem ureigenen Stil, der den vom Tafeljura geprägten Kalkböden des Klettgaus an der deutsch-schweizerischen Grenze Ausdruck verleiht: von Burgund inspiriert, aber ihm nicht mehr einfach nur nacheifernd.

Ein Mekka ist Burgund dennoch geblieben – nicht zuletzt, um zu lernen: Patrick Adank, beispielsweise, aus Fläsch im Kanton Graubünden hat nicht nur in Geisenheim studiert, sondern auch in Dijon. Ehe er nach Hause zurückkehrte, arbeitete er bei Sylvain Cathiard in Vosne-Romanée und bei Etienne Sauzet in Puligny-Montrachet. Heute schärft der 31-Jährige das Profil des elterlichen Weinguts mit Weinen, «die fordern und die man verstehen muss».

Damit liegt er ganz auf der Linie der gleichaltrigen ­Geisenheimer Clique um Julian Huber (Bernhard Huber, Malterdingen) und Friedrich Keller (Schwarzer Adler Oberbergen), mit der er im Rheingau Freundschaft geschlossen hat – und die er in Burgund wiedertraf. Julian Huber schaffte es sogar, ein ganzes Jahr in Savigny-lès-Beaune zu arbeiten, ohne des Französischen mächtig zu sein. Noch vor 20 Jahren wäre eine solche Stage kaum denkbar gewesen, selbst mit Sprachkenntnissen blieben die Türen meist zu. Aber Burgund hat sich geöffnet: In Isabelle Doudet vom Weingut Doudet-­Naudin fand Huber eine Förderin, die «hervorragend Englisch spricht» und ihn «überallhin mitgenommen hat. Im Herbst 2010 konnte ich sogar bei DRC und Dujac reinschauen, das alles live mitzukriegen, während alles gegoren hat, das zu schmecken», erinnert sich Huber lebhaft, «das sind Aromen, die man nie vergisst.»

Charlotte Burgat aus der Domaine de Chambleau in Colombier, Kanton ­Neuchâtel, hatte selbstredend keine Sprachbarriere zu überwinden. Sie ­verbrachte ein halbes Jahr bei Vincent Girardin in Meursault. «Während dieser Zeit habe ich vieles gelernt, unter anderem, wie wichtig die Säure für den Pinot Noir ist», berichtet die 26-Jährige. Wieder zurück in der Schweiz, konnte die Jung­winzerin ihre Erkenntnisse im elterlichen Weingut einbringen. «Unsere Pinots sind deutlich frischer geworden, besitzen mehr Säure und sind weniger vom Holz geprägt.» Und auch wenn der muskulöse «Pur Sang», dessen Jahrgang 2018 im Falstaff Weinguide Schweiz 2022 als bester Pinot Noir der Schweiz mit 96 Punkten gekürt wurde, vielleicht noch etwas mehr von Vater Louis-Philippe geprägt ist als von der Tochter, mit Etiketten wie dem ­floral-eleganten «La Gavotte» zeigt die junge Winzerin, wohin sie den Stil des Betriebs weiterentwickeln will.

Nur kopieren? No Way

So sehr die Generation Pinot vom Austausch mit Burgund profitiert, so wenig missversteht sie das Burgund als eine Kopiervorlage. Am ehesten noch findet ein direkter Transfer bei Neupflanzungen statt und bei der Hinwendung zu Pflanzmaterial aus Burgund. Sophie Christmann sagt, schon ihr Opa und ihr Grossonkel hätten Reben in Burgund gekauft, aber auch die alten Anlagen mit deutscher Genetik seien «klein- und mischbeerig». Für Neupflanzungen bevorzugt sie Burgunderklone, weil sie «kirschiger und kraftvoller» seien.

Ähnlich berichtet Julian Huber, dass schon sein Vater «in den Neunzigern viel Rebmaterial aus Burgund geholt» habe, «ab Mitte der 2000er-Jahre haben wir auch selber selektiert, auch mit deutschen Sachen, Spielarten mit kleineren Trauben, der Hauptteil in unseren Weinbergen kommt aber aus Burgund». Für die Zukunft plant Huber, «den Genpool zu erweitern und zu erneuern, um uns auch für säurearme Jahre mit passender Genetik auszustatten». Fazit: «Ein Klon alleine ist nicht das Wahre für uns.»

Aber noch nicht einmal beim Klonthema sind die Rezepte einheitlich oder verfallen die Winzerinnen und Winzer in Schablonen oder Nachahmungsrituale: «Früher», sagt etwa Markus Ruch, «hielt ich Burgunderklone für das Mass der Dinge. Aber inzwischen pflanze ich keine mehr, denn sie werden früher reif und haben weniger Säure.» Ähnlich handelt Simone Adams aus Ingelheim: «Ich pflanze alles mit deutschen Klonen.» Selbst die oft gescholtenen Ritter-Klone aus den 1950er-Jahren findet sie ausgesprochen brauchbar, «denn die Stängel verholzen sehr gut». Eine Vinifika­tion mit Rappenanteil klappe «fantastisch», so Adams, die im Übrigen nichts davon hält, den Klonen zu grosse Bedeutung zuzuschreiben: «Die Böden sollen im Vordergrund stehen!»

Dies ist die vielleicht burgundischste aller Lektionen, die die Generation Pinot in ihren Betrieben umsetzt: Sie arbeitet darauf hin, den örtlichen Gegebenheiten einen authentischen Ausdruck zu verleihen: einen, der Dauerhaftigkeit in den Wein bringt, Reifepotenzial und der zugleich Dauer­haftigkeit bei der Betriebsführung lebt, sorgsam mit Böden und anderen natürlichen Ressourcen umgeht. «Ich bin 2020 im Lockdown dagesessen», erzählt Simone Adams weiter, «das übliche Reisen zu Messen und Präsentationen war ja nicht möglich, und da habe ich mich entschlossen: Jetzt stellen wir unsere ganzen zehn Hektar auf Biodynamik um. 2019 hatten wir schon einen Versuch gemacht, und eigentlich war der Plan, langsam voranzuschreiten, aber dann dachte ich mir: wenn schon, denn schon.»

Adams, 42, ist kühne Entscheidungen gewöhnt: 2010 hatte sie das elterliche Weingut Knall auf Fall übernommen, als ihr Vater starb. «Mein Bruder wollte es nicht machen, da musste ich mich entscheiden.» Mitten in einer Geisenheimer Promotion stand sie plötzlich mit einem Weingut da, das, wie sie sagt, «Renovationsstau» hatte. «Zwei Kinder, bauen, da läuft man zu Hochform auf.» Fast, als wolle sie sich entschuldigen, fügt sie an: «Ich komm ja aus der Wissenschaft und bin auch nicht in einem arrivierten Weingut gross geworden.» In der Pinot-Avantgarde gelandet ist sie trotzdem, 2014 konnte sie Reben in den Ingelheimer Spitzenlagen Horn und Pares pflanzen, alles genau rechtzeitig für den gegenwärtigen ­Terroir-Boom des Spätburgunders.

Nicht zuletzt im Export werden den Winzern zwischen Dernau und Fläsch ihre Burgunder inzwischen aus den Händen gerissen. Nachdem vieles in Burgund unbezahlbar geworden ist, steigt in traditionellen Burgundermärkten die Neugier auf Alternativen. Es hört sich an wie ein widerhallendes Echo, wenn man die Winzer fragt, wohin ihre Weine vor allem gehen: Skandinavien, Benelux, USA, UK, manche nennen sogar Italien und Spanien. Die Deutschen exportieren auch in die Schweiz, die Schweizer nach Deutschland. Bei Julian Huber, 30 Kilometer von der Landesgrenze weg, legen sich Franzosen den Kofferraum voll.

Im Gegensatz zu Burgund hat Pinot aus dem deutschsprachigen Raum und dessen unmittelbaren Nachbargebieten in den letzten 1000 Jahren so gut wie keine zweifelsfrei dokumentierte Geschichte hinterlassen. Mag sein, dass das anders aussähe, wären nicht in den Wirren des Dreissigjährigen Krieges, durch Elend, Seuchen und Erbfolgekriege so viele Dokumente verloren gegangen. Und so sehr der Pinot hingehört in all die Regionen, die diese Reportage gestreift hat, so muss man doch feststellen: Den grossen kulturellen Strang eigenen Rechts für Burgunder ausserhalb Burgunds gibt es bislang nicht.

Vielleicht stehen wir gerade am Beginn einer solchen Traditionslinie – und erleben das Erwachen eines Selbstbewusstseins, das sich vergegenwärtigt, wie rar und wie wertvoll die Bedingungen sind, die es für guten Pinot braucht. «Wenn man die Möglichkeit hat, Spätburgunder von höchster Güte anzubauen», so spricht Julia Baltes wohl allen Pinot-Aficionados aus der Seele, «dann wäre es doch wohl verschenktes Potenzial, es nicht zu tun.»


Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2022

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Benjamin Herzog
Chefredaktion Schweiz
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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