»Breuers Rüdesheimer Schloss«

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Winzergasthöfe Deutschlands: Die Heimat kulinarischer Multitalente

Winzer, die zugleich auch Wirte oder Köche sind, haben zwei Herzen in ihrer Brust. Schwer zu sagen, welcher Beruf ihnen wichtiger ist: Der eine gehört untrennbar zum anderen.

Die Frage sei gar nicht so einfach zu beantworten, sagt Max Geitlinger. Was war zuerst: der Wein oder das Gasthaus? Im »Hirschen« in Egerten ganz im Südwesten der Republik ist Geitlinger in Personalunion Winzer und Wirt, manchmal auch gleichzeitig noch Koch. Das Gasthaus lasse sich bis in das Jahr 1740 zurückverfolgen, sagt er weiter, immer in der Familie. Und auch vor 1740 hätten seine Vorfahren das Gasthaus schon gehabt, nur fehlten darüber die schriftlichen Aufzeichnungen. Vermutlich habe es auch schon immer den eigenen Wein gegeben. »Als ich den Gasthof übernommen habe, konnte ich auch 0,3 Hektar Reben vom Opa übernehmen.

Der Opa hat auch immer selber gekeltert, der Wein – ein Gutedel – lag dann in einem Holzfass, und aus dem wurde das Jahr über so lange immer wieder gezapft, bis es leer war. Das wird zum Schluss hin kein großer Genuss mehr gewesen sein.« Der schöne Platz im »Hirschen«-Garten mitten in der freien Natur hat damals sicher über oxidative Untertöne hinweggetröstet. Geitlingers heutige Weine haben mehr Anspruch, auch wenn er als Mitglied der Landweinbewegung seinem Opa dadurch treu bleibt, dass er mit einfachen handwerklichen Methoden arbeitet und ohne Klamauk aus dem önologischen Zauberkasten. Dazu serviert Geitlinger Schäufele mit Kartoffelsalat, Schnitzel, Obstwähe. »Wir sind nicht wahnsinnig progressiv unterwegs und konzentrieren uns lieber auf das, was wir können.«

Der »Zehntkeller« in Iphofen
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Der »Zehntkeller« in Iphofen

Sicher ist das Rezept aus dem 52-Einwohner-Dorf Egerten schwer woandershin übertragbar. Aber genau das ist die Stärke der Wirtwinzer und Winzerwirte: Ihr Angebot ist Individualität hoch zwei. Daher konzentrieren wir uns für diese Geschichte auf Betriebe, in denen es eine Personalunion oder doch zumindest eine große Nähe von Küche und Keller gibt. Fast jedes größere Weingut (und auch einige Genossenschaften) führen einen – in der Regel verpachteten – Gastronomiebetrieb, zumal in Urlaubsregionen.

 

Wir sind nicht wahnsinnig progressiv unterwegs und konzentrieren uns lieber auf das, was wir können.

 

So sitzt man Beispiel am Bodensee gemütlich beim »Staatsweingut Meersburg« oder an der Birnau beim »Markgrafen von Baden«, im Rheingau haben etwa Schloss Johannisberg oder Kloster Eberbach (auf dem Klostergelände sowie in der Spitzenlage Baiken) Gastronomien, in Würzburg Bürger- und Juliusspital, an der Mittelhaardt kocht man auf dem Weingut von Winning städtisch-modern und bei Bassermann-Jordan mit Stern, das Kraichgauer Weingut Heitlinger besitzt Restaurant und Golfressort, in Sachsen lädt Schloss Wackerbarth ein – man könnte die Reihe fast endlos fortsetzen. Der direkte Draht zum Weingut zeigt sich in all diesen Betrieben aber eher auf der Weinkarte als dadurch, dass ein Familienmitglied am Herd steht – oder die Teller balanciert.

Die ganze Familie hilft mit

In den Klassikern wie im »Restaurant Adler« in Pfaffenhofen in Württemberg ist aber genau das der Fall. Anette Wachtstetter, deren Mann Rainer einer der erfolgreichsten VDP-Winzer in Württemberg ist, muss auf die Frage, ob sie auch mal selber am Herd stehe, herzlich lachen: »Eigentlich nur! Und mein Mann ist im Gastraum, manchmal hilft er auch in der Küche mit – er ist überall, wo’s fehlt.« Das Wirtshaus, das jetzt in dritter Generation bespielt wird, hat allerdings nur an zwölf bis 15 Wochenenden im Jahr geöffnet. »Die Schwiegereltern hatten noch deutlich öfter auf«, sagt Wachtstetter. Aber das sei nicht mehr zu schaffen – obwohl der »Adler« eine normale Konzession besitzt und keine Besenwirtschaft ist. Gäste, die Lust etwa auf das knusprige Spanferkel aus dem Ofen haben, finden die aktuellen Öffnungszeiten online.

 

Es wollen zwar alle bedient werden, aber die Arbeit will niemand mehr machen.

 

Auch vor den Gasthäusern, die zu einem Weingut gehören, macht indes das Gasthaussterben nicht halt. So hat etwa das Res­taurant auf dem Sankt Annaberg trotz der traumhaften Aussicht hoch über Burrweiler die Corona-Lockdowns nicht überlebt. Auch die »Weinstube Jägerlust« in Leimen bei Heidelberg hat dauerhaft geschlossen. »Es wollen zwar alle bedient werden, aber die Arbeit will niemand mehr machen«, sagt Barbara Seeger, Schwester des Topwinzers Thomas Seeger.

Bodenständige Kost und ehrliche Landweine serviert Max Geitlinger im »Hirschen« zu Egerten bei Lörrach.
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Bodenständige Kost und ehrliche Landweine serviert Max Geitlinger im »Hirschen« zu Egerten bei Lörrach.

Fine Dining im Taubertal

Es gibt allerdings auch expansive Winzer­gastronomie. So begann Christian Stahl aus Auernhofen im Taubertal vor einigen Jahren, an manchen Wochenenden in seiner Eventlocation selbst zu kochen. Inzwischen ist daraus ein veritables Restaurant geworden. »Am Anfang stand ganz klar der Wein im Mittelpunkt«, resümiert der Winzerkoch, »dann kam die Kompetenz beim Kochen, und die hat wiederum aufs Weinmachen zurückgewirkt.« Das Kochen und das Wein­machen hätten viel gemein: »Beides hat mit Balance zu tun, und in beiden Welten muss man genau wissen, wo man geschmacklich hinwill.« Das Kochen habe allerdings den großen Vorteil, dass man nicht zwölf Monate warten müsse, um etwas Neues ausprobieren zu können. »Beim Weinmachen ist selbst das Würzen ein langsamer Vorgang, es findet im Weinberg statt mit dem Entblättern oder über die Boden­bearbeitung.«

Oft steht, sagt Stahl, für ihn beim Entwerfen eines Gerichts ein bestimmter Wein Pate, aber im Prinzip sei das eine nicht wichtiger als das andere: »Der Wein findet im Essen seine Vollendung und das Essen im Wein. Wenn das Zusammenspiel kongenial verläuft, ist die Summe besser als die einzelnen Partner alleine.«


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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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