© Christoph Hardt

Bangen um die Weinlese an der Ahr

Mehr als 60 Weinbaubetriebe stehen im wahrsten Sinn des Wortes vor dem Nichts. Trotz grosser Spendenhilfen aus der Weinwelt macht der nahende Herbst Sorgen.

Paul Josef Schäfer vom Weingut Burggarten in Heppingen bekommt auch Wochen nach der Schreckensnacht noch ein Zittern in der Stimme, wenn er über die Schäden im Weingut seiner Familie und im angeschlossenen Hotel berichtet: »Im Hotel stand der ganze Wellnessbereich unter Wasser, die Heizung, im Keller des Weinguts sah es so aus, dass 150 Holzfässer und 25 Edelstahltanks kreuz und quer ineinander verkeilt lagen, das Wasser stand fünf Meter hoch bis unters Dach, die Maschinen, die meisten noch ganz neu, sind alle kaputt, und bis auf einen Trecker und einen Stapler sind auch alle Fahrzeuge Totalschäden, die Temperatursteuerung im Keller, mit der wir Most und Wein wärmen oder kühlen können, ist kaputt, 100.000 Flaschen auf Paletten sind alle zusammengesackt und im Schlamm gelegen. Der ganze Schaden beträgt etwa zwei Millionen.« Was der Familie widerfahren ist, ist kein Einzelfall, im Gegenteil: Im Weinbau der Ahr ist das eher der Regel- als der Ausnahmefall. Von den 65 Vollerwerbswinzern des Ahrtals sind nur drei nicht von Flutschäden betroffen. Auch Michael Kriechel vom Weingut Peter Kriechel in Ahrweiler hat fast alles verloren: »Auch nach fünf Wochen haben wir noch nicht wirklich den Überblick«, sagt er.

»Das eigene Lebenswerk und das meines Vaters sind einfach weggerissen. Wir wurschteln uns von Tag zu Tag und haben vor allem den Weinberg im Blick, um die Zukunft zu sichern.«

Enorme Hilfsbereitschaft

Trotz ihres Schicksals hört man die Winzer kaum klagen. Im Gegenteil, sie betonen die grosse Hilfsbereitschaft, die ihnen zuteil wird. »Wir haben gerade zwei Elektriker aus Süddeutschland bei uns«, berichtet Britta Stodden aus Rech, »die verbringen ihren Sommerurlaub damit, den ganzen Tag an unseren kaputten Maschinen rumzufrickeln. Die Sortiermaschine haben sie schon wieder zum Laufen gebracht!» Auch unter Winzern ist die Solidarität groß: »Die Kollegen fahren 500 Kilometer, um bei uns mit anzupacken«, berichtet Marc Adeneuer aus Ahrweiler. Sogar aus ganz Europa kämen Hilfsangebote. »Ein Weingut aus Portugal hat angeboten, eine Presse an die Ahr zu schicken.« Auch die Hersteller von kellertechnischem Equipment springen ein, beispielsweise indem sie Gerätschaften zu Sonderkonditionen verleihen.

Der Herbst voraus

Wie der Herbst ablaufen wird, davon haben die Winzer noch keine Vorstellung. »Natürlich hoffen wir, bei uns im Betrieb keltern zu können«, so Britta Stodden. »Aber wir wissen noch nicht, ob wir genug sauberes Wasser haben werden, und auch nicht, ob die Stromversorgung ausreichen wird.« Die oberste Priorität »frisches Trinkwasser« betont auch Michael Kriechel: »Mit Chlor gepimptes Leitungswasser können wir beim Weinmachen nicht gebrauchen.«

Dass die Lese überhaupt stattfinden kann, ist vermutlich dem schnellen Fließen privater Spendengelder zu verdanken. Denn unmittelbar nach der Flut befeuerte die hohe Luftfeuchtigkeit den Mehltau in den Weinbergen. Gleichzeitig waren die Winzer wegen der zerstörten Infrastruktur zum Zuschauen verdammt. Zum Glück ließen sich noch rechtzeitig Hubschrauberspritzungen organisieren – großflächig über alle Weinberge, unabhängig von Eigentumsgrenzen. Dabei habe, so hört man, die Unterstützung aus dem Spendentopf des VDP eine wesentliche Rolle gespielt.


Facts & Figures

Das Wichtigste im Überblick

  • In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 entlud sich nach tagelangem Starkregen eine gewaltige Flutwelle durchs Ahrtal. Da die Gewalt des Hochwassers alle Messpegel mit sich riss, kann man nur schätzen, wie hoch der Wasserspiegel reichte, vermutlich sieben bis zehn Meter über dem Normalstand der Ahr.
     
  • Nach dem Hochwasser wurden 141 Tote geborgen, 766 Personen wurden verletzt.
     
  • Von den 65 Weinbaubetrieben im Vollerwerb sind nur drei weitgehend unbeschädigt geblieben. 
     
  • Die Schäden, die in Weinbaubetrieben entstanden sind, werden – inklusive Gebäuden, Maschinen, Kellereinrichtungen und bereits abgefüllten oder im Fassausbau befindlichen Weinen – auf 150 Millionen Euro geschätzt.
     
  • Über Spendensummen ist nur wenig bekannt, der VDP hat sich entschlossen, keine Zahlen zu veröffentlichen. Die große «SolidAHRitäts-Aktion» von Dirk Würtz und dem Weingut St. Antony (zu finden über st-antony.de) hat bei Redaktionsschluss über 20.000 Solidar-Pakete mit Weinen aus ganz Europa umgesetzt und rund eine Million Euro eingespielt. 
     
  • Das Spendenkonto der Initiative flutwein.de, die gerettete Flaschen von der Ahr vertreibt, steht aktuell bei knapp 4,5 Millionen Euro. Zudem bieten zahlreiche Ahrwinzer auf ihren Websites Pakete an.

Spendenkonten

Bitte helfen auch Sie – der Bedarf ist unverändert hoch:

Ahr – A Wineregion needs Help e.V.
Kreissparkasse Ahrweiler
IBAN: DE94 5775 1310 0000 3395 07
facebook.com

Der VDP.Adler hilft e.V.
Rheingauer Volksbank
Betreff: Solidarität Ahr Weinbau
IBAN: DE 21 5109 1500 0000 2045 28.
vdp.de/de/der-adler-hilft-ahr 

Wine Saves Life e.V.
(auf Initiative von Vinissima - Frauen & Wein e.V.)
Nassauische Sparkasse 
IBAN: DE24510500150135177776
winesaveslife.org

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2021

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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