Mit seinen muskelgestählten, tätowierten Armen erfüllt der 45-jährige Assaf Granit schon allein optisch nicht die Vorstellung von einem typischen Sternekoch.

Mit seinen muskelgestählten, tätowierten Armen erfüllt der 45-jährige Assaf Granit schon allein optisch nicht die Vorstellung von einem typischen Sternekoch.
© Tammy Bar Shay

Assaf Granit: 30 Sekunden für ein Lächeln

Assaf Granit hat fast alles erreicht, wovon ein Koch träumen kann. In seinen Restaurants zelebriert der Israeli die Lebenslust und verbindet jüdische Tradition mit internationaler Küche. Seine fehlende Ausbildung betrachtet er als Schlüssel zu diesem Erfolg.

In Israel kann Assaf Granit nicht unerkannt über die Straße gehen. Er ist dort ein Star mit eigenen Fernsehshows und lukrativen Werbeverträgen, der Autogramme schreiben und für Selfies posieren muss. Den Grundstein für seinen Erfolg hat Granit in Jerusalem gelegt, seiner Heimatstadt. Im modernen Westen der israelischen Hauptstadt betreibt der Koch eines der populärsten Restaurants des Landes: das »Machneyuda«, benannt nach dem berühmten Lebensmittelmarkt, der nur eine Straßenecke entfernt liegt. Die Stimmung in dem zweigeschossigen Lokal ist vibrierend und frenetisch, die Musik schon mittags so laut wie auf einer Party. Die Tische stehen dicht an dicht und bieten Sicht auf das wilde Treiben in der offenen Küche.

»Bei uns soll Essen Spaß machen«, sagt Granit. Eine feste Speisekarte gibt es im »Machneyuda« nicht, das Angebot ist radikal saisonal und wird jeden Tag neu auf das Sortiment der lokalen Marktleute angepasst. Als das Restaurant 2009 seine Pforten öffnete, gab es im ganzen Land kein vergleichbares Konzept. Bereits am ersten Tag war der Gästeandrang so groß, dass das Essen und das Geschirr ausgingen. Notgedrungen kratzte Granit alles zusammen, was er auf die Schnelle finden konnte – Maisgrieß, Butter, Obers, ein paar übrig gebliebene Pilze und Parmesan – und improvisierte daraus in Windeseile eine Art Polenta, die er in Einweckgläsern servierte, weil sie das Einzige waren, das ihm noch zur Verfügung stand. Heute ist diese spontane Erfindung sein Markenzeichen.

Anfänge als Barista

Auch sonst hat sich einiges getan seit damals: Innerhalb weniger Jahre hat Granit ein Imperium aus 14 Restaurants geschaffen. Drei davon in einem Radius von nur 50 Metern um das »Machneyuda«. Die anderen in London, Paris und seit vergangenem Jahr auch in Berlin: das »Berta«, benannt nach seiner deutschen Großmutter.

Nur seinen Wohnsitz Tel Aviv hat Assaf Granit trotz des Rufes der Stadt als Genuss-Mekka bei seinen Expansionsplänen nie als Standort in Erwägung gezogen. »Tel Aviv ist zu klein und schon voll mit Köchen«, winkt er ab. Und überhaupt schwebe über Israel eine Art gläserne Decke. Ihm sei klar gewesen: »Wenn ich nach den Sternen greifen will, muss ich raus hier.« Wie richtig er damit liegt, erwies sich bereits vor drei Jahren. Seither nämlich trägt sein Pariser Restaurant »Shabour« einen Michelin-Stern. In Israel ein Ding der Unmöglichkeit. Aus dem schlichten Grund nämlich, dass der berühmte Restaurantguide dort noch keine Auszeichnungen vergibt – auch wenn sich das schon in Bälde ändern soll.

Bislang noch jedenfalls genießt Granit wegen seiner israelischer Staatsbürgerschaft Seltenheitswert als Sternekoch. Dazu noch ist er einer der wenigen weltweit ohne richtige Kochausbildung. In die Gastro sei er eher reingestolpert. »Ich war 20, hatte gerade den Wehrdienst abgeleistet und ich brauchte Geld.« In einem Bistro fand er einen Übergangsjob als Barista. Eines Tages wurde er in die Küche gerufen, um für einen ausgefallenen Koch einzuspringen. »Da hast du eine Schüssel«, habe man ihm gesagt. »Tu Salat rein. Mach Sauce darauf. Und wenn du alles einmal durchgemixt hast, dann läute die Glocke.« Er habe dann beobachtet, wie die Kellnerin seinen Salat nach draußen trug und der Gast ein breites Lächeln aufsetzte, als er davon kostete. »Wirklich?«, habe er sich damals gedacht. »Ich habe gerade innerhalb von 30 Sekunden jemanden zum Lachen gebracht und werde auch noch dafür bezahlt?« Von da an wollte er nichts mehr anderes als kochen.

Kulinarisches Erbe

In der fehlenden Kochlehre sieht er heute seinen größten Trumpf: »Weil ich keine klassische Berufsausbildung habe, gibt es für mich auch keine Dogmen. Das hat mir sehr geholfen, meinen eigenen Stil zu finden.« Und dieser lässt sich am treffendsten als wildes Mischen und Neuinterpretieren beschreiben: Matzenknödel, eine jüdische Spezialität aus ungesalzenem Fladenbrot, finden sich bei ihm als Einlage in einer mediterranen Meeresfrüchtesuppe. Kugel, ein traditionelles aschkenasisch-jüdisches Gericht, das von seiner Zubereitung einem Auflauf ähnelt, interpretiert Granit neu als vegane Variante aus Kohlblättern mit einer Sauce auf Jägermeisterbasis. Die Kreplach seiner polnischen Großmutter füllt er mit Parmesan und kombiniert sie mit Bierschaum.

Was manch einer als wilden Stilmix empfindet, ist im Grunde eine konsequente Weiterentwicklung seiner Heimatküche, die ja für sich genommen schon ein Sammelsurium ist, allein aufgrund der Entstehung Israels. Granits eigene Familiengeschichte zeugt davon: Seine Vorfahren flohen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Israel, der Familienteil mütterlicherseits kam aus Deutschland, die Vorfahren seines Vaters kamen aus Polen. »Sie alle hatten ihre Rezepte im Gepäck und fügten in der neuen Heimat regionale Zutaten und neu erlernte Rezepte hinzu«, erzählt Granit. »Die Dame von nebenan war in Marokko geboren und brachte meiner Großmutter den Umgang mit Safran bei. Eine andere kam aus dem Jemen und erklärte ihr die Zubereitung von Malawach. In den USA leben all die verschiedenen Ethnien meist in ihren eigenen Vierteln. Im kleinen Israel ist das nicht möglich«, erklärt der Koch. Alles vermische sich. Das erzeuge fantastische Produkte und eine einzigartige kulinarische Sprache. »Aus diesem Reichtum schöpfen wir Israelis bis heute.« 

Zu Gast

Machneyuda
Das Lokal muss man erlebt haben: Ausgelassene Stimmung trifft auf moderne israelisch-arabische Küche der Spitzenklasse.

Beit Ya’akov Street 10, 94323 Jerusalem
T: +972 2 533 3442, machneyuda.co.il

Shabour
Nur 22 Plätze gibt es in dem ehemaligen Jazzklub. Die Gerichte nehmen auf wertschätzende Weise die französische Tischkultur auf die Schippe. 

19 Rue Saint-Sauveur, 75002 Paris
T: +33 695 163287, restaurantshabour.com

Berta
Hier ist das Essen ganz anders, als man es von anderen israelischen Restaurants kennt. Mehr Wirtshaus als Ottolenghi, was auf die polnischen und deutschen Einflüsse zurückzuführen ist, denen Granit viel Raum gibt.

Stresemannstraße 99, 10963 Berlin
T: +49 162 8861827, bertarestaurant.com

Boubalé
Hier vereint Granit ungarische, polnische, russische und österreichische Einflüsse in einem einzigartig nostalgischen Ambiente.

6 Rue des Archives, 75004 Paris
T: +33 7 81454158, boubaleparis.com 


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Erschienen in
Falstaff Nr. 10/2023

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Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
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