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»Tierwohl wird immer wichtiger«: Christina Mutenthaler-Sipek im Interview

Alles neu bei der AMA-Marketing: Mit der gebürtigen Waldviertlerin Christina Mutenthaler-Sipek steht erstmals eine Frau an der Spitze der AMA-Marketing, Österreichs größten Vermarkters landwirtschaftlicher Produkte. Was sie als ihre wichtigsten Aufgaben betrachtet und wohin sich der Fokus der Konsumenten richtet, sagt sie im Falstaff-Interview.

Generationenwechsel an der Spitze von Österreichs größtem Agrarvermarkter. Die AMA-Marketing wird seit Anfang 2023 von der 39-jährigen Christina Mutenthaler-Sipek geleitet. Sie folgt auf den langjährigen Geschäftsführer Michael Blass, der sich in den Ruhestand verabschiedete. Es ist ein Wechsel in unruhigen Zeiten: Inflation und enormer Preisdruck einerseits, steigendes Qualitätsbewusstsein und eine erhöhte Aufmerksamkeit in Fragen der Nachhaltigkeit andererseits. Wie die neue Geschäftsführerin mit diesen Herausforderungen umgeht und wo sie den größten Handlungsbedarf sieht, erklärt sie im großen Falstaff-Interview.

Hennen in Freilandhaltung: Betriebe, die sich auf Masthühner in dieser Haltungsform spezialisiert haben, benötigen mindestens 10.000 Hühner, um wirtschaftlich arbeiten zu können.
© AMA Marketing
Hennen in Freilandhaltung: Betriebe, die sich auf Masthühner in dieser Haltungsform spezialisiert haben, benötigen mindestens 10.000 Hühner, um wirtschaftlich arbeiten zu können.

Falstaff: Die AMA-Marketing ist der größte heimische Vermarkter für Agrarprodukte und trotzdem wissen die meisten Konsumenten nicht genau, was das Unternehmen eigentlich macht. Wie würden Sie einem Kind die Aufgaben der AMA-Marketing erklären?

Mutenthaler-Sipek : Also … die AMA-Marketing hat zwei Zeichen, das AMA-Gütesiegel und das AMA-Biosiegel. Und wenn du eines dieser zwei Zeichen im Supermarkt auf einem Lebensmittel findest, kannst du dir sicher sein, dass das Essen aus deiner Region kommt, eine gute Qualität hat und kontrolliert ist. Und wenn man sich zum Beispiel ein Stück Fleisch kauft, kann die AMA sogar sagen, wo das Tier geboren und aufgewachsen ist und wann es geschlachtet wurde. Die AMA-Marketing steht also für Qualität und Kontrolle. Und sie informiert auch darüber, wie wichtig es ist, dass wir wertvolle Lebensmittel zum Essen haben.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen in Ihrer neuen Position?

Das große Überthema ist, den Wert von Lebensmitteln in den Mittelpunkt zu stellen. Die Menschen haben immer weniger Bezug zur Landwirtschaft, gleichzeitig entscheidet der Konsument aber beim Einkauf viele in der Lebensmittelproduktion vorgelagerte Aspekte. Und wir sehen, dass sich das Kaufverhalten ändert, weil sich der Qualitätsbegriff wandelt. Früher hat man darunter verstanden, dass ein Lebensmittel hygienisch einwandfrei ist. Dann kam der Wunsch nach gesunden Inhaltsstoffen dazu. Jetzt rückt die Frage, wie ein Lebensmittel produziert worden ist, in den Fokus: Wie wurden die Tiere gehalten, wie läuft die Verarbeitung usw., und zwar primär bei Frauen und generell bei jungen Menschen.

Seit 1. Jänner 2023 Geschäftsführerin der AMA-Marketing: Christina Mutenthaler-Sipek .
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Seit 1. Jänner 2023 Geschäftsführerin der AMA-Marketing: Christina Mutenthaler-Sipek .

Es geht also zusammengefasst um Tierwohl und Umweltbelastung – kurz gesagt, um Nachhaltigkeit?

Richtig, und das heißt, dass wir die Kommunikation in Sachen Nachhaltigkeit ­verbessern müssen, zum Konsumenten wie auch innerhalb der Landwirtschaft. Und wir wollen auch die Zusammenarbeit mit dem Handel intensivieren, der unser wichtigster Draht zu den Konsumenten ist.

Kann man sagen, wie der durchschnitt­liche AMA-Gütesiegel-Betrieb aussieht?

Die AMA-Marketing hat mit 44.000 Landwirten einen Vertrag, in dem sich diese zu höheren Qualitätskriterien bekennen, als sie gesetzlich vorgegeben sind. Diese Betriebe sind höchst unterschiedlich – wir haben sehr kleine Betriebe mit acht oder neun Rindern, und wir haben Geflügelmast­betriebe mit 40.000 und noch mehr Hühnern.

Wie sieht der Produktions­zyklus, etwa in solch einem Betrieb mit 40.000 Hühnern, aus?

Die Mast der Tiere dauert sechs bis sieben Wochen, dann kommen sie in den Schlachthof, der Stall wird gesäubert und desinfiziert. Nach einem Monat kann wieder neu eingestallt werden. Insgesamt schafft ein Betrieb sechs bis sieben solcher Mast­perioden pro Jahr.

Saftige Wiesen, glückliche Tiere – so wünschen sich die meisten Konsumenten die Fleischproduktion. Für die neue AMA-Chefin Christina Mutenthaler-Sipek  gehören die Faktoren Tierwohl und Nachhaltigkeit deshalb auch zu den wichtigsten Punkten auf ihrer Agenda.
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Saftige Wiesen, glückliche Tiere – so wünschen sich die meisten Konsumenten die Fleischproduktion. Für die neue AMA-Chefin Christina Mutenthaler-Sipek gehören die Faktoren Tierwohl und Nachhaltigkeit deshalb auch zu den wichtigsten Punkten auf ihrer Agenda.

Wie läuft die Kontrolle durch die AMA-Marketing konkret?

Der betreuende Tierarzt kommt dreimal – am Beginn, in der dritten Woche und am Ende der Mast. Dazwischen kontrollieren wir. Ein Hühnermastbetrieb hat insgesamt 21 mal pro Jahr eine Kontrolle.

Warum werden trotzdem immer ­wieder Fälle übelster Haltungs­bedingungen publik?

Die AMA führte bislang über 15.000 Kontrollen pro Jahr durch, heuer steigern wir das auf 22.000 Kontrollen. Darüber hinaus gibt es ein umfassendes Betreuungs­system durch Tierärzte. Aber keine dieser Kontrollen hätte die Ereignisse, die letztes Jahr von Tierschützern beobachtet wurden, verhindern können, weil es punktuelles  Fehlverhalten war.

Wie kann man so etwas künftig verhindern?

Wir werden drei Maßnahmen setzen: öfters unangekündigte Kontrollen durchführen, zweitens die Digitalisierung und Vernetzung der Kontrolldaten vorantreiben und drittens die Bewusstseinsbildung erhöhen. Denn viele Missstände sind eine Generationenfrage. Was vor 30 Jahren noch gang und gäbe war, ist längst nicht mehr zeitgemäß.

Wie hier in Tirol soll es für die Tiere in Österreich auch in Zukunft aussehen.
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Wie hier in Tirol soll es für die Tiere in Österreich auch in Zukunft aussehen.

Bemerken Sie eine zunehmende Sensibilisierung seitens der Konsumenten, wenn es um schlechte Haltungsbedingungen geht?

Absolut. Wir führen regelmäßige Befragungen durch, und da steigt die Bedeutung von Tierwohl ständig. Viele Konsumenten sagen sogar, dass Tierwohl in Zukunft das wichtigste Thema überhaupt sein wird.

Haben Sie Sanktionsmöglichkeiten für Betriebe, die sich nicht an die Vorgaben halten?

Ja, es gibt einen Sanktionskatalog, der im Ausschluss aus dem AMA-Programm gipfelt. Das heißt, der Betrieb darf die AMA-Gütesiegel nicht mehr verwenden, was eine massive wirtschaftliche Bedeutung hat.

Wie viele Betriebe wurden im vergangenen Jahr von der AMA ausgeschlossen?

59 Betriebe, diese Zahl kommunizieren wir auch auf unserer neuen Domain haltung.at.

Wäre es denkbar, diesbezüglich mit Tierschutzorganisationen zusammenzuarbeiten?

Ich habe bereits mit allen Tierschutz-NGOs Gespräche geführt. Es geht darum, den Status quo zu verbessern und für die Konsumen­ten mehr Transparenz zu erreichen. Dafür müssen alle an einem Strang ziehen.


 

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2023

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Martin Kubesch
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