Ein ausgeklügeltes Aromenspiel, unterschiedliche Zubereitungsmethoden – und sogar die Farben der Zutaten sind aufeinander abgestimmt: Die japanische Kulinarik ist ein Gesamtkunstwerk.

Ein ausgeklügeltes Aromenspiel, unterschiedliche Zubereitungsmethoden –  und sogar die Farben der Zutaten sind aufeinander abgestimmt: Die japanische Kulinarik ist ein Gesamtkunstwerk.
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Vollendeter Genuss: Was die »fünf Elemente« mit dem Erfolg japanischer Kulinarik zu tun haben

Die japanische Kulinarik ist eine wahre Form der Kunst. Im Westen hat sie in den vergangenen Jahrzehnten einen regelrechten Siegeszug gefeiert. Ihren Aromen und ihrer Ästhetik liegt die traditionsreiche »Fünf-Elemente-Lehre« zugrunde, die sie in besonderem Maße gesund und bekömmlich macht.

Die ersten erhaltenen Berichte zur japanischen Esskultur waren beileibe alles andere als schmeichelhaft: »Sie haben Ingwer, Zitrusfrüchte, Szechuanpfeffer und Mioga-Ingwer, wissen aber nicht, wie man sie beim Kochen verwendet«, ist da zu lesen. »Und da das Klima warm ist, wird im Sommer wie im Winter rohes Gemüse gegessen. Bei den Mahlzeiten essen sie mit den Fingern.« Die Aufzeichnungen stammen aus dem Jahre 239 nach Christus – und sind freilich nicht von der Insel selbst, sondern aus den Chroniken der Wei-Dynastie des benachbarten China. Lesenswert und erkenntnisreich sind sie bis heute.

Während Historiker und Gourmets gerne darüber ins Schwärmen geraten, wie wenig sich in den vergangenen Jahrhunderten an der kulinarischen Hochkultur der japanischen Küche geändert habe, so ließe sich wohl zumindest zu einer Behauptung heute niemand mehr hinreißen: Dass die Japaner nicht wüssten, wie man den reichhaltigen Schatz an Zutaten, den ihre Insel bietet, »beim Kochen verwendet«, käme wohl keinem in den Sinn.

Erst vor wenigen Jahren setzt die UNESCO der japanischen Kochkunst auch formal ein Denkmal: Sie verlieh dem »Washoku«, der traditionellen japanischen Küche, den Titel des immateriellen Weltkulturerbes. Ihren Ursprung findet sie vor rund 2.000 Jahren in chinesischen Einflüssen, später wurde sie durch die Ankunft koreanischer Mönche geprägt, in der Edo-Zeit des 17. Jahrhunderts perfektioniert.

Am berühmten Tsukiji-Fischmarkt in Tokio: Die Frische aller Zutaten ist für die japanische Küche von herausragender Bedeutung.
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Am berühmten Tsukiji-Fischmarkt in Tokio: Die Frische aller Zutaten ist für die japanische Küche von herausragender Bedeutung.

Zu jenem Zeitpunkt, als die UNESCO ihr Gütesiegel verlieh, hatte die japanische Kulinarik ihren Siegeszug über den Globus nicht nur längst begonnen, sondern schon weit vorangetrieben. Sie ist heute aus kaum einem europäischen Land mehr wegzudenken, aus den USA schon gar nicht. Das gilt nicht nur für ihre »reine« Form, vielmehr sind ihre Aromen, Techniken und sogar ihre Philosophie zunehmend zu einem integralen Bestandteil westlicher Länderküchen geworden. Wer in Europa an Fusionsküche denkt, kommt an Japan in vielen Fällen nicht vorbei.

Der Anfang war – wie so oft, wenn kulinarische Traditionen den Weg ins Ausland finden – freilich schwierig. Dem Facettenreichtum der japanischen Küche wurde das, was da geboten wurde, nicht gerecht. Es wurde stark simplifiziert, schließlich musste man die europäischen Gaumen erst langsam an die fremden Gerichte heranführen. Kalter Reis mit rohem Fisch und Algen? Als die ersten Sushi-Bars eröffneten, war das für viele eine Herausforderung.

Eine japanische Spezialität, die für europäische Gaumen gewöhnungsbedürftig ist: Uni, der Seeigel.
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Eine japanische Spezialität, die für europäische Gaumen gewöhnungsbedürftig ist: Uni, der Seeigel.

In Österreich erreichte die japanische ­Küche erst Mitte der 1990er-Jahre Bekanntheit. Das »Kojiro« an der Rechten Wienzeile gilt als älteste Sushi-Bar von Wien, davor wurde 1985 das »Izakaya« in Linz eröffnet. Bald machte »Akakiko« das Sushi vor allem unter Jungen salonfähig, heute ist es in Österreich mit 18 Filialen die größte Japan-Food-Kette. In Deutschland war man etwas früher dran, hier entstanden die ersten Sushi-Lokale in den 1980er-Jahren in Hamburg und Düsseldorf im Windschatten japanischer Unternehmen, die sich hier ansiedelten. Auch in anderen Ländern waren es Exil-Japaner, die nach dem Zweiten Weltkrieg begannen, Sushi populär zu machen, vor allem in den USA: Die erste Sushi-Bar wurde dort 1966 von Noritoshi Kanai in Little Tokyo eröffnet. Den Fisch, der nicht lokal verfügbar war, ließ er einfliegen.

Gesund und Ästhetisch

Heute haben Sushi, Sashimi und Maki längst den Touch des Exotischen verloren. Neue Gastrokonzepte, die die japanische Kulinarik authentischer abbilden, prägen in Städten die Szene, gerne auch mit unerwarteten Fusionsideen: »Itameshi« verbindet japanische Aromen mit der italienischen Küche, die »Nikkei«-Küche kombiniert japanische mit peruanischer Kulinarik. (Wieder gaben Auswanderer die Inspiration – es waren arbeitssuchende Japaner, die es nach Peru verschlug.) Auch sonst beweist Japan immer wieder seine Vorreiterrolle: Seit wenigen Jahren ziehen in mehr und mehr Großstädten Katzencafés ein, in denen man Kaffee und Kuchen im Beisein der Vierbeiner genießt. (Im Idealfall lassen sie sich sogar streicheln.) Obwohl das Konzept eigentlich aus Taiwan stammt, gilt Japan als Ideengeber. Das erste Katzencafé eröffnete dort im Jahr 2004 in der Stadt Osaka, seither sorgt das Konzept für Furore. 

Die Japaner haben die Idee der Katzencafés groß gemacht. Heute eröffnen auch in Europa immer mehr Lokale mit pelzigen Bewohnern.
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Die Japaner haben die Idee der Katzencafés groß gemacht. Heute eröffnen auch in Europa immer mehr Lokale mit pelzigen Bewohnern.

Dass die japanische Kulinarik in Europa konstant neue Anhänger gewinnt, ist nicht nur der Lust auf Neues (und Ausgefallenes) geschuldet, sondern hat freilich auch ernst zu nehmende Gründe: So gilt die japanische Kulinarik, inspiriert von Buddhismus und Shintoismus, als echte Form von Kunst, als in höchstem Maß ästhetisch – und zugleich in besonderem Maße gesund.

Nicht umsonst ist die Lebenserwartung in Japan hoch, überdurchschnittlich viele der weltweit ältesten Menschen jenseits der 100 Jahre leb(t)en hier. Daran hat die traditionelle Küche – kalorien-, zucker- und fleischarm und mit wenig gesättigten Fettsäuren, dafür mit reichlich Getreide und Hülsenfrüchte sowie Fisch und Meeresfrüchten – einen unleugbaren Anteil.

Die magische Zahl Fünf

Wer die Philosophie der japanischen Küche verstehen will, kommt an der Zahl Fünf nicht vorbei: Washoku (übersetzt: »Harmonie der Speisen«) ist von der Fünf-Elemente-Lehre geprägt – mit dem Ziel, Ausgewogenheit zwischen den einzelnen Bestandteilen eines Mahls zu erreichen. Allen voran orientieren sich japanische Küchenmeister an den fünf Geschmacksrichtungen, deren Ausgewogenheit oberstes Ziel eines Menüs ist. Neben den in Europa ebenfalls altbekannten Geschmäckern (salzig, sauer, süß und bitter) verhalfen sie »Umami« zu Weltruhm. Der vollmundige Geschmack lässt sich im hinteren Zungenbereich wahrnehmen und wird hierzulande gerne als »herzhaft« tituliert. Inbegriff des Umami-Geschmacks sind die salzige, fast malzige, kräftige Misopaste und Soja­sauce. Gesäuert wird mit (mildem) Essig. Für die Süße setzt man auf den Reiswein Mirin und dunklen Kokuto-Zucker, nicht auf weißen Haushaltszucker. Wirklich süße Nachspeisen haben übrigens keine Tradition, auch wenn die allgegenwärtigen Mochi anderes vermuten lassen. Aber selbst die kleinen Bällchen aus Klebreis, der zu einem feinen Teig gestampft wird, sind nicht immer wirklich süß gefüllt. Ein Klassiker ist Anko, eine Bohnenpaste.

Reinheit, Appetit und Ruhe

Auch fünf Farben spielen auf dem Teller eine zentrale Rolle: Weiß steht für Reinheit und Sauberkeit, Gelb und Rot fördern den Appetit, Grün hat eine beruhigende Wirkung. Die fünfte Farbe, Schwarz, wird als kontrastierender Hintergrund eingesetzt, etwa in Form der bekannten schwarzen Bento-Boxen. Die ausgewogene Farbverteilung will aber nicht nur das Auge erfreuen. Die Auswahl von Zutaten unterschiedlicher Farbgruppen soll eine ausgewogene Ernährung begünstigen, geben die Farben doch einen groben Hinweis auf die enthaltenen Nährstoffe.

Auch bei der Zubereitung der Speisen taucht die Fünf auf: Ein Menü, dass aus fünf verschieden verarbeiteten Gerichten zubereitet wird, ist ein Merkmal des Washoku. Neben einem hohen Anteil an rohen Zutaten (vor allem Fisch und Meeresfrüchte, aber auch Salate und sogar rohe Leber) setzt die japanische Küche auf Gegrilltes, Frittiertes (nur hier kommt viel Öl zum Einsatz), Gekochtes und Gedämpftes. Die unterschiedlichen Texturen tragen zum kulinarischen Erlebnis bei, zudem haben die verschiedenen Methoden unterschiedliche Effekte auf die Verdauung und den Nährwertgehalt der Speisen.

Apropos Texturen: Auch auf die fünf Sinne des Menschen stellt die japanische Küche ab. Dass der Geschmack von essenzieller Bedeutung ist, ist unzweifelhaft. Das Auge isst ebenfalls mit. Doch auch der Geruch von Speisen ist in Japan eine entscheidende Komponente. Ebenso wie die Haptik: Zuallererst werden die Essstäbchen – entweder aus unbehandeltem Holz oder lackiert – berührt, dann die hölzerne Suppenschüssel und die Reisschale aus Porzellan. Ein Gesamterlebnis. Fehlt das Gehör! Tatsächlich gehört in Japan das Schlürfen der Suppe zum guten Ton, auch ins Frittierte darf herzhaft ­gebissen werden.

Beim Kaiseki-Menü werden nur frische Zutaten der jeweiligen Jahreszeit verwendet und kunstvoll präsentiert.
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Beim Kaiseki-Menü werden nur frische Zutaten der jeweiligen Jahreszeit verwendet und kunstvoll präsentiert.

Fünf richtige Werte

Fehlen noch die richtigen Werte, um das Mahl perfekt zu machen: Die Temperatur (heiße Suppe etwa soll richtig heiß gegessen, kalte Getränke tatsächlich kalt getrunken werden) muss ebenso stimmen wie die Größe der Portion und die Zubereitungsarten, die bei einem ausgefeilten Menü von den Köchen oft sogar auf jeden Gast (etwa auf sein Alter oder sein Geschlecht) individuell angepasst werden. Auch die richtige Technik ist ein entscheidender Wert: Jeder Koch soll an die (Haupt-)Zutaten nur so viel Hand anlegen, dass ihr charakteristischer Geschmack nicht verfälscht oder verdrängt wird. Echte Sushi-Meister schwören gar, dass der Winkel, in dem der Fisch geschnitten wird, seinen Geschmack beeinflusst. 

Der letzte, vielleicht wichtigste Wert ist »Koroko«. Die Übersetzung fällt nicht leicht, passend wären Wörter wie Seele, Geist, Zuneigung oder gar Liebe. Da trifft sich die fernöstliche Kulinarik mit der heimischen: Wer mit Liebe kocht, dem wird alles gelingen.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2024

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Christoph Schwarz
Chefredakteur
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
Dominik Vombach
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