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Gourmetreffen im Kleinwalsertal: Franz Keller und Sascha Kemmerer kreieren »4 Hands Dinner«

Zwei Meister, ein Menü: Franz Keller, lebende Legende, und Sascha Kemmerer, renommierter Küchenchef, vereinen ihre Kochkünste im Ifen Hotel Kleinwalsertal. Das Besondere: die beiden Köche haben sich zuvor noch nie persönlich getroffen.

9.45 Uhr am 2. Adventssamstag. An der grünen Gemüsekiste hängt ein unübersehbarer Zettel: »Finger weg, für Franz Keller«. Der Inhalt ist auf den ersten Blick wenig spektakulär: zwei Sorten Äpfel, Karotten, Petersilienwurzeln, Sellerie. Vor dem Fenster nichts als weiß. Selbst für das Kleinwalsertal hat es viel Schnee an diesem zweiten Adventswochenende.

Im Gourmet-Restaurant »Kilian Stuba« im Ifen Hotel Kleinwalsertal spiegeln sich auf dem organisch geformten Messing-Tisch die großen Mengen Schnee auf der Terrasse mit der spektakulären Aussicht in die Berge des Tales, das zwar zum österreichischen Vorarlberg gehört, aber nur vom bayerischen Oberstdorf aus zu erreichen ist. Küchenchef Sascha Kemmerer hat im festlichen geschmückten Hotel heute einen besonderen Gast in seiner Küche: Franz Keller ist praktisch eine lebende Legende, kulinarisch wie charakterlich. Sie kochen ein gemeinsames Menü, ein »4 Hands Dinner«, das viele Aspekte der »klassischen Küche« in ihrer besten Form zeigt – und Parallelen offenbart.

»Vom Einfachen das Beste«

Kemmerer, selbst dekoriert mit je 18 Punkten in den Gault & Millau Guides Deutschland und Österreich und einem Stern im Guide Michelin, kümmert sich persönlich um das »Mise en place« für seinen Gastkoch am Abend. Ihm dabei zuzusehen, wie er in Konzentration mit Akkuratesse Gemüse-Brunoise für Kellers Linsensalat vorbereitet, ist meditativ. Selbst sein Team kann kaum wegsehen. Kemmerer und Keller haben sich noch nie persönlich getroffen, und entsprechend noch nicht gemeinsam am Herd gestanden. Die Äpfel (Golden Delicious, wie es auf Kellers Einkaufsliste stand), tourniert er klassisch. Sie werden später die hausgemachte Blutwurst aus Kellers Landwirtschaft begleiten. »Ich habe eine Idee zu seiner Herangehensweise und bereite für ihn im besten Wissen alles vor – und natürlich wird es später sehr spannend für mich, das abzugleichen.«

Die Höhen der Sternegastronomie hat Franz Keller schon vor vielen Jahren durchlaufen. Von der Lehre in einer klassischen Gastwirtschaft zu prägenden Stationen bei den ganz großen französischen Namen wie Jean Ducloux, Paul Lacombe, Paul Bocuse und Michel Guérard bis zu verschiedenen eigenen (Gourmet-)Restaurants. Mit seinem Schritt, der Sternegastronomie vor vielen Jahren den Rücken zu kehren, entschied er sich für seinen Traum des schlichten Kochens. Heute lebt und arbeitet Franz Keller auf seinem »Falkenhof« oberhalb des Wispertals, widmet sich der Zucht von Rindern und Freilandschweinen, schreibt Bücher und gibt Kochkurse, in denen seine Philosophie »vom Einfachen das Beste« ausnahmslos das Credo ist. Neben seiner Blutwurst hat er auch die klassische »Saucisson de Lyon« dabei, die er selbst produziert, dazu wird es Linsensalat geben – aus Puy-Linsen, bloß nicht aus Beluga-Linsen! Den Hauptgang bildet das Herzstück aus Kellers Produktion. Fleisch vom Falkenhofrind, dazu eine klassische »Sauce Marchand de Vin« und dünn aufgehobelte, rohgebackene Kartoffeln.

Konzentration auf »das Beste«

Das besondere an Keller, sagt Kemmerer, sei nicht nur, dass er ein charismatischer Typ sei. »Heute steht er für mich für kompromisslose Produktküche. Mittlerweile nennt das beinahe jeder so – aber er betreibt es wirklich. Sein ganzer Werdegang, wo er gekocht und was er gemacht hat, das gibt es heute nicht mehr. Jemanden wie mich, der die klassische Küche liebt, touched das emotional natürlich unglaublich.« Es werde am Abend in der Küche sehr viel Respekt gegenüber Keller herrschen, sagt er. Von seiner Seite, und dadurch automatisch auch von seinem Team. »Ich habe schon eine andere Ehrfurcht vor ihm, mit seinem Werdegang und seiner Erfahrung, wie vor jemandem, der das erst 15 Jahre macht«.

Um Sascha Kemmerers Küche zu beschreiben, ist man schnell bei Begriffen wie »französisch basiert«, »gradlinig und elegant« – aber auch »international inspiriert« und »lokal verwurzelt«. Sein Stil hat sich über die letzten Jahre immer mehr verfeinert, er kommt mit weniger Unnötigem auf dem Teller und in der Konzeption der Gerichte aus, ohne dabei die Raffinesse zu verlieren. Auch eine Konzentration auf »das Beste«, wie bei Franz Keller, der trotz seiner Abkehr von der aktiven Sterneküche weiterhin gerne Gast ist.

»Ich esse immer noch super gerne, auch wenn es nicht von mir ist, im Gegenteil. Natürlich gehe ich immer noch in gute Sterneläden, man muss aber differenzieren. Mit Tüpfelchen und Pinzette und Lupe habe ich es nicht so gerne, ich möchte schon die Ware selbst auf dem Teller haben und nicht so viel Ablenkungsmanöver. Es gibt ja schon wieder ein paar, die auf klassischer Basis arbeiten – und das merkt man natürlich sofort. Ich denke, man sollte in ein gutes Lokal gehen, um zu genießen, was der Koch kann – und nicht andersherum.«

Von Kemmerers drei Gängen interessiert Keller spontan »natürlich der Steinbutt« am meisten. »Wo gibt es schon richtig guten Steinbutt. Es ist ein Festessen und kein selbstverständliches Produkt.« Auf den Teller kommt er später mit Risoni, Bio-Dottercreme, Blutampfer und reichlich weißem Trüffel aus Istrien. Bei der Benennung eines Lieblingsganges haben die Gäste es später am Abend schwer. Zwar sind die Gerichte der beiden Köche deutlich unterschiedlich, wechseln sich aber doch so harmonisch ab, dass vieles gefällt und auf seine Weise heraussticht. Ein Favorit ist in jedem Fall die Norwegische Jakobsmuschel herausragender Qualität, mit karamellisierter Schwarzwurzel, Safran Beurre Blanc und Imperial Gold Kaviar vom Team der »Kilian Stuba«.

Eine kulinarische Geschichte erzählen

Klassische Küche, das ist für jemanden wie Sascha Kemmerer, der in einer, wie er es nennt, »Übergangsgeneration« zwischen 1997 und 2000 seine Ausbildung absolviert hat, etwas, was er »zum Glück noch lernen durfte«. Die großen Namen wie Witzigmann, Winkler oder Wohlfahrt waren alle noch aktiv und konnten ihr Wissen auch in der Tradition der Saucen-Ansätze, der Ganztier-Verarbeitung und des Gastgebertums weitergeben. Selbst beschreibt er die Entwicklung seiner Küche heute auch wieder als deutlich geerdeter, als sie vor 11 Jahren nach seinem ersten Stern gewesen ist. Die Rückbesinnung auf beste Produkte und auf den Geschmack – das Weglassen von Unnötigem und »fancy« Experimenten, das sei für ihn wie eine Befreiung gewesen. »Man muss ich einfach selbst oft genug hinterfragen. Heute möchte ich meinen Gerichten meine kulinarische Geschichte erzählen.«

Das Dessert an diesem Abend ist bewusst klassisch gewählt, findet sich aber auch auf der aktuellen Karte des Gourmet-Restaurants. Die hauchdünnen »Crêpe Normandie« im Karamell-Boskop-Apfel-Sud werden am Tisch flambiert und kommen mit Calvadoseis und Crème Chantilly.

Klassische Küche, das bedeutet für Franz Keller erst einmal »französisch, produktbezogen, nicht sparsam und immer das Beste«– sei es tolle Wurst, Fisch oder sensationelles Gemüse. Es gehe auch immer darum, die Dinge »richtig zusammenzubauen und die Balance zu finden.« Und die Kunst, Dinge richtig zuzubereiten. »Kochen ist erstmal ein Handwerk. Die Kreativität macht vielleicht 10-15 Prozent aus. Wenn du bei der Basis bleibst, dann bist du auch richtig.« »Dem ist nichts hinzuzufügen«, sagt Kemmerer.


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Annette Sandner
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