Matthias Lobner und Dr. Gerald Wunderer auf ihrem malerischen Weingut.

Matthias Lobner und Dr. Gerald Wunderer auf ihrem malerischen Weingut.
© Doktor Wunderer

»Corpus Delicati«: Doktor Wunderer oder wie man vom Arzt zum Winzer wird

Dr. Gerald Wunderer und Matthias Lobner verraten im Falstaff-Interview, warum man in ihrem Keller vom Boden essen kann, welchen Wein sie zu Rote-Rüben-Suppe empfehlen und wie die Gründung ihres Weingutes die Existenz einer ganzen Familie gerettet hat.

Die österreichische Weinszene ist wahrlich voll von interessanten Persönlichkeiten. Strahlend schöne Weingüter, feiner Wein und fundierte Expertise. Die meisten der Winzer:innen können auf lange Historien ihrer am Weinberg etablierten Familien zurückblicken, haben das Handwerk von der Pike auf gelernt und das Weingut selbst im Zweifelsfall einfach geerbt. Eine perfekte Basis nennt man sowas, viele Entstehungsgeschichten sind sich da irgendwie ähnlich. Ganz anders verhält es sich jedoch am Weingut Doktor Wunderer, wo ein ehemaliger Arzt und sein Partner als Quereinsteiger seit wenigen Jahren an der Grenze von Wein- und Waldviertel herrlich straffe Weine mit klingenden Namen wie »Corpus Delicati« kreieren.

Winzer waren sie – auch wenn die Gastronomie in der Familie lag – zuvor keine. Wie man vom Arzt zum Winzer wird und wieso die Entstehung des Weinguts quasi nebenbei noch die Existenz einer ganzen Familie sicherte, verrieten Dr. Gerald Wunderer und Matthias Lobner im Interview mit Falstaff.

© Doktor Wunderer

Falstaff: Wie hast Du den Weg vom Arzt zum Winzer gefunden und wie kam es zu der Entscheidung, ein Weingut zu gründen?

Dr. Gerald Wunderer: Na ja, gibt es zwei Erzählungen. Die eine ist, dass Matthias aus der Gastronomie kommt und ich habe eine Hotelfachschule gemacht, meine Familie hat ein Gasthaus gehabt. Das heißt also, Gastwirtschaft, Essen und Trinken lag schon immer in der Familie. Als mein Vater ins Pensionsalter gekommen ist, hat er es verkauft. Wir wollten dann etwas finden, um ihn zu beschäftigen. Am Ende hat er dann allerdings gesagt, er macht es nicht und so sind wir dann dazu gekommen. Er hat als Business Angel fungiert.

Beim Weingut an sich war es so: Ich bin Hausarzt in Straning und betreue dort die Bevölkerung. Eines Nachmittags wurde ich zu einem Notfall gerufen, bei dem ich im Weinkeller reanimieren musste, was leider nicht erfolgreich war. Am gleichen Tag sind wir mit der Polizei zur Familie nach Hause, um das mitzuteilen. Dort haben uns die minderjährigen Kinder begrüßt. Es war sehr bedrückend, klarerweise. Es stellte sich dann heraus, dass die Kinder viele Schulden erben würden, da die Flaschenwaschanlage, die der Bauer betrieben hatte, der Bank gehörte, genau wie das Haus. Sie hätten eigentlich alles verloren. Und weil wir ohnehin in der Familie die Idee hatten, ein Weingut zu kaufen, haben wir uns entschieden, uns einen Traum zu erfüllen und gleichzeitig die Familie zu entschulden. Sie leben noch immer noch vis-à-vis von meiner Ordination und sind jetzt auch meine Patienten. So sind wir zum Weingut gekommen – durch Zufall und gleichzeitig das Interesse.

Inwiefern beeinflusst dein medizinischer Hintergrund die Herangehensweise in der Weinproduktion? Gibt es medizinisch inspirierte Aspekte, die in den Herstellungsprozess einfließen?

Das eine ist, dass wir sehr sauber arbeiten. Bei uns im Keller kann man vom Boden essen. Und da sind sich Matthias, Bernd und ich einig, dass man auch nur so Wein machen kann. Die Sauberkeit spielt eine Rolle, die Reinheit, dass wir biologisch arbeiten, keine Pestizide verwenden, keine Herbizide verwenden, dass wir weitgehend auf Beeinflussung von außen verzichten. Wir versuchen den Wein so natürlich wie möglich zu machen. Außerdem versuchen wir, leichte Weine zu machen und das ist nicht nur ein Trend, sondern aus medizinischen Überlegungen heraus motiviert. Alkohol muss man sicher immer in einem kritischen Spannungsfeld sehen und auf unserem Instagram-Account wird man auch immer den kritischen Zugang zum Alkohol lesen. Er wird nicht verteufelt, aber man muss ihn als Genussmittel sehen, das in Maßen genossen wird.


In seiner »Sprechstunde« auf Instagram beantwortet Dr. Wunderer Fragen rund um das Thema Alkohol und Gesundheit.


Die Namen der Weine, zum Beispiel Animus und Anima, scheinen ebenfalls medizinisch inspiriert. Kannst Du uns etwas darüber erzählen?

Da ist es vor allem das Psychiatrische, weil ich auch Psychiater bin. »Animus« und »Anima« haben wir aus Carl Gustav Jungs tiefenpsychologischer Sichtweise auf Männer und Frauen entlehnt. Anima ist der weibliche Part in Männern und Animus ist der männliche Part in Frauen, der jeweils integriert werden muss, um eine vollständige Person zu werden. Ansonsten entlehnen wir die Ausdrücke aus dem Lateinischen vor allem, da wir mit unseren spontan vergorenen Weinen nicht immer den »Qualitätswein« kriegen und die DAC-Kriterien nicht erfüllen. Das heißt, wir dürfen die Riedenbezeichnung nicht auf die Flasche schreiben. Wir übersetzen also die Riede auf Latein. Die Ried Sand heißt bei uns Arena – lateinisch für »Sand«.

Gibt es Parallelen zwischen den beiden Berufen von Arzt und Winzer, die euch überrascht haben?

Die Parallele, die ich neben dem sauberen Arbeiten sehe, ist das kommunikative Zwischenmenschliche, das ich in der Ordination habe. Das finde ich auch in der Winzerei wieder. Wein, das Reden über Wein oder das Beisammensitzen oder Gesellige für ein gutes Essen in Gesellschaft auch ein Glas Wein zu trinken, hat schon einen psychologischen, psychiatrischen, positiven Effekt, der mir sehr ähnlich vorkommt, wie, wenn Patienten sich bei mir in der Ordination die Seele vom Leib reden und ihr Herz ausschütten. Der psychohygienische Teil des Gesprächs wiederholt sich in beiden Bereichen.

© Doktor Wunderer

Wie teilt ihr euch die Arbeit am Weingut auf? Wer hat wo sein Steckenpferd?

Wir versuchen immer, den Wein auch mit Kulinarik zu verbinden und das ist vor allem ein großer Anteil, den Matthias übernommen hat. Und so kochen wir zu jedem Wein regelmäßig Speisen, die wir dann gemeinsam präsentieren.

Und was war bis jetzt euer Lieblingspairing?

Matthias Lobner: Ich kann mich erinnern, das war zu Weihnachten: Da hatten wir ein großes Menü, acht Gänge, für circa 14 Personen. Und da hatten wir eine Rote-Rüben-Suppe begleitet von einem Orange Wein, den spontan vergorenen Sauvignon Blanc, den »Spiritus Vitae I« (zur Kostnotiz des »Spiritus Vitae II«). Fermentiertes und spontan vergorene Weine passen sehr gut zusammen und das Erdige der Suppe war sozusagen ein »Perfect Match«.


Auf ihrem kreativen Weg zu natürlichen Weinen bringt das Weingut auch einen Orange Wine heraus. Unverkennbar mit zerschreddertem Etikett.

© Doktor Wunderer

Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Fee Louise Schwarz
Fee Louise Schwarz
Digital Redakteurin
Mehr zum Thema