© Sonja Wind

Eine Nacht am Wiener Würstelstand

Er bewegt sich irgendwo zwischen gefragtem Kult-Objekt und verblassendem Relikt – feststeht: Der Würstelstand gehört zu Wien einfach dazu. Eine nächtliche Recherche.

»A Eitrige mit einem 16er-Blech, bitte!« – entgegen dem Klischee bestellt so kaum jemand eine Käsekrainer und eine Dose Ottakringer Bier am Würstelstand – zumindest kein echter Wiener. Denn der »Würstelstand-Jargon« ist unter Einheimischen weniger populär als angenommen und den Touristen vorbehalten. An manchen Ständen, wo aufgesetzter Dialekt mit Vorbehalten gesehen wird, kann einem bei derartiger Bestellweise sogar die Wurst verwehrt bleiben. Hört man im Gewimmel also eines dieser Vokabeln, kann man sich fast sicher sein, dass es sich um einen Touristen handelt, der gerade einen Punkt seiner »Must-Do-in-Vienna«-Liste abhandelt.

Aber die Sprache am Würstelstand ist nur einer von vielen Faktoren, der die »Würstelstand-Kultur« in Wien ausmacht. Nächtliche Recherchetouren zum »Bitzinger« am Albertinaplatz und dem jungen »Wiener Würstelstand« in der Pfeilgasse geben Einblicke und sollen klären: Hat der Würstelstand noch Platz in der Zukunft oder ist er bald vergessenes Traditionsgeschäft?

Falstaff kürt auch heuer wieder den beliebtesten Wiener Würstelstand.
Nominieren Sie Ihren Favoriten!​​​​​​​

Zur Weihnachtszeit ziert eine Zipfelmütze den »Bitzinger«-Stand.
© Sonja Wind
Zur Weihnachtszeit ziert eine Zipfelmütze den »Bitzinger«-Stand.

Der Würstelstand als buntes Soziotop

Um der Wurst auf den Grund zu gehen, geht es zu Wiens wohl bekanntestem Würstelstand am Albertinaplatz. Durch seine Lage direkt neben der Staatsoper, regelmäßige Promi-Besuche und – nicht zuletzt – »einfach guaden Würschteln« ist hier immer was los. Geführt wird er seit 20 Jahren von dem umtriebigen Gastronomen Josef Bitzinger, der als »Wirtshauskind« schon früh mit Debreziner und Co. zu tun hatte. Im Vergleich zu früher habe sich die Qualität an den Ständen verbessert, gleich geblieben sei die Heterogenität der Gäste. »Am Würstelstand stehen der Student, der Straßenkehrer und der Universitätsprofessor nebeneinander – und das war immer schon so. Die Durchmischung des Publikums ist einfach da.«, sagt Bitzinger.

Während der Würstelstand in der Nachkriegszeit vorrangig als zweckmäßige Nachtverpflegung fungierte, erfüllt er heute je nach Standort und Uhrzeit unterschiedlichste Rollen. Die gehen vom deftigen Lebensretter für Nachtschwärmer zur Touristenattraktion und – speziell beim »Bitzinger« – sogar zum High-Society-Treffpunkt. Nach dem Opernball etwa stehen dann große Roben und Frack neben dem klassischen Arbeiter, »Das ist natürlich schon ein Kontrast, der recht witzig ist«. Dementsprechend stehen beim »Bitzinger« nicht nur Bier, sondern auch – für einen Würstelstand eher untypisch – Champagner auf der Karte.

Josef »Sepp« Bitzinger vor dem »Bitzinger«-Würstelstand hinter der Wiener Staatsoper.
© Sonja Wind
Josef »Sepp« Bitzinger vor dem »Bitzinger«-Würstelstand hinter der Wiener Staatsoper.

Trotzdem muss sich jeder ungeachtet seines Bekanntheitsgrads anstellen und warten. Josef Bitzinger spricht hier von der »Demokratie am Würstelstand«. »Ich beobachte, dass gerade diese Wartezeit für die meisten eine total witzige ist. Man hat einen Vorder- und Hintermann und dann geht das Geplauder schon los und man erfährt dabei sehr viel von den Sorgen und Nöten anderer Menschen.«

Auch äußerlich schlägt sich das luxuriöse Flair mit Goldtönen nieder, der Stand war sogar für den Design-Staatspreis nominiert. Josef Bitzinger war es trotzdem wichtig, dass der Stand als Würstelstand wahrgenommen wird und nicht als »futuristisches Ufo, das irgendwo gelandet ist«.

Die Kultur ist auch Bezirkssache

Für Viele ist das Unterhalten und Schmäh führen am Würstelstand mindestens genauso wichtig wie die Würstel selbst. Sowohl unter den Gästen als auch mit dem Verkäufer wird geplaudert. »Die Leute werden nie so nah aneinander sein wie am Würstelstand.«, meint Josef Bitzinger. Was dabei das Thema ist, bestimmt unter anderem auch der Bezirk, erzählt der Verkäufer hinter der »Bitzinger«-Theke. »Im zehnten Bezirk war das Gesprächsthema Nummer Eins meistens Fußball, hier im ersten Bezirk reden die Leute viel über Politik«, erklärt er während er eine Käsekrainer zubereitet.

Das Klischee des Standlers als Seelentröster bestätigt er ohne zu zögern. Gerade zur späteren Stunde würden Menschen kommen, die bei Wurst und »ein bis zwei Flaschen Wein« Trost oder Gesellschaft suchen. So wird es nie langweilig hinter der Theke. Seinen Beruf würde er auch nach einem Jahrzehnt am Würstelstand gegen keinen anderen tauschen wollen.

Der Verkäufer (l.) brät seit fünf Jahren am »Bitzinger«-Stand.
© Sonja Wind
Der Verkäufer (l.) brät seit fünf Jahren am »Bitzinger«-Stand.

Das meistgekaufte Würstel und der Verlierer

Die Käsekrainer, um dessen Urheberschaft heftig gestritten wird, ist die beliebteste Sorte in Wien. Auch beim »Bitzinger« ist sie Kassenschlager – und wird es wohl auch länger bleiben. »Bisher ist nichts in Sicht, was die Käsekrainer gefährden könnte.«, meint Betreiber Bitzinger.

Bergauf geht es auch für die Wurst im Gebäck: »Der Hot-Dog ist für uns in den letzten Jahren eine wichtige Geschichte geworden, weil viele Leute die Wurst im Brot einfach mitnehmen.« Gerade im Winter erfüllt der Hot-Dog auch eine Warmhaltefunktion des Würstels. Die Wahl der richtigen Brotsorte ist dabei nicht zu unterschätzen: »Jeder hat eine andere Vorstellung, wie ein Hot-Dog zu sein hat. Da einen Mittelweg zu finden, ist sehr schwer. Bei uns ist er aus Semmelteig.«

Weniger rosig sieht es für eine Brühwurstspezialität aus, die ihren Ruf als fette Kalorienbombe nicht los wird: »Debreziner sind die großen Verlierer. Wunderbare Würste, aber sie gehen grottenschlecht«.

Vegetarisches und Veganes sieht der Gastronom am Würstelstand kritisch: »Ich bin nicht unbedingt der Meinung, dass man ein fleischhaltiges Lebensmittel nachahmen soll. Dass man so tut, als würde man ein Fleisch essen, aber in Wirklichkeit ist es Pilz, Tofu oder was auch immer.« Immerhin würden die Leute auch mit der Erwartungshaltung an den Würstelstand kommen, eine fleischhaltige Wurst zu bekommen.

Gänzlich auf vegetarische Optionen verzichten muss man beim »Bitzinger« aber nicht. Neben dem vegetarischen Klassiker Pommes gibt es Kartoffeltaschen. »Davon gehen aber ungefähr drei Stück pro Tag über die Theke«, schmunzelt er.

Ein Würstelstand-Update in der Pfeilgasse

Dass vegane Würstel am Würstelstand nicht grundsätzlich ein Widerspruch sind, beweist der »Wiener Würstelstand« in der Pfeilgasse. Er ist gewissermaßen das moderne Äquivalent des klassischen Würstelstandes, »ein Update«. Seit dem Frühjahr 2019 gehen hier verschiedenste Würstelvariationen über die Theke. Star des Stands ist hier aber nicht die Käsekrainer, sondern die Salzburger Bosna. Wenn nicht sogar die vegane Bosna.

Denn das fleischlose Austernpilz-Würstel verkauft sich je nach Uhrzeit sogar besser als die herkömmliche Variante. Anfangs war die große Nachfrage für die beiden Gründer Mike Lanner und Stefan Sengl sogar so überraschend, dass die veganen Würstel ständig ausverkauft waren. Manche Leute hätten erst nach mehreren Besuchen eine erste Kostprobe erhalten.

Stefan Sengl und Mike Lanner bringen frischen Wind in die Würstel-Szene.
© Sonja Wind
Stefan Sengl und Mike Lanner bringen frischen Wind in die Würstel-Szene.

Heute hat sich das Geschäft schon gut eingespielt. Über mangelnde Kundschaft können sich die beiden – trotz der eher abgeschiedenen Lage – nicht beschweren. Dass das Projekt so erfolgreich werden würde, erwartete das Unternehmer-Duo nicht. »Wir haben keinen Gastronomen gefunden, der uns gesagt hat: Macht das! Die meisten sagten, wir sollen uns das nicht antun, weil das nichts werden könnte.« Sie versuchten es trotzdem. Und hatten Erfolg damit.

»Wir wollen die klassische Würstelstand-Kultur neu wiederbeleben. Es geht uns überhaupt nicht darum, das, was am Würstelstand gut ist, anders zu machen, sondern eher zu bewahren. Aber man muss das ein oder andere Update vornehmen, damit es dieses Kulturgut auch in Zukunft noch gibt.« Stefan Sengl

Die anfängliche Überlegung, einen reinen Veggie-Würstelstand zu eröffnen, verwarf das Duo wieder. »Das wäre eine strategische Kopfgeschichte gewesen. Für uns war aber nicht der Markt und die Nachfrage entscheidend, sondern wir wollten einen Würstelstand, wo wir selbst gerne hingehen würden.« Etwas aus beiden Welten, also sowohl Veganes und Fleischhaltiges anzubieten, würde ohnehin viel besser zu der Philosophie der Wiener Institution passen. Ein Würstelstand soll ja schließlich für alle da sein. Rein markttechnisch kann sich Stefan Sengl aber vorstellen, dass heute ein Veggie-Würstelstand am richtigen Standort funktioniert.

Würstelstand der Zukunft

Der Würstelstand ist kein »Erfolgsrezept« mehr. Wenn man einen Würstelstand gelungen betreiben möchte, braucht man ein Konzept, das zu dem jeweiligen Standort passt. Die Niederschwelligkeit ist ebenso wichtig wie gute Ware – denn der Anspruch an die Qualität steigt. Der Würstelstand ist zwar ein Imbiss, muss aber trotzdem in gewisser Weise einen Gegenpol zum Fast-Food darstellen. Er soll ein Ort sein, der die Menschen zusammenbringt, und wo sich die Leute gerne aufhalten. Und das kann ein Wiener Würstelstand mit all seinen Sympathien gut.

Sonja Wind
Sonja Wind
Mehr entdecken
Mehr zum Thema