M. Hackl

Naturmetzgerei in Kreuth: »Wenn das Tier Angst hat, schmeckt das Fleisch nicht«

In der »Steakschmiede« am Tegernsee erfindet Metzger Mirko Göttfert sich selbst neu. Nach einer Karriere als Akkordschlachter fing er nochmal von vorne an. Für die Tiere und seine Psyche.

Mirko Göttfert wirkt klein neben dem gewaltigen Körper des Rinds, der neben ihm von der Decke hängt. Aber er hat ihn da aufgehängt. Er hat ihm auch den Todesschuss versetzt, nachdem er ein Gebet für es gesprochen hat. Und er wird es auch – wenn es in ein paar Wochen ausgereift ist – weiterverarbeiten.

Denn Göttfert ist Metzger. Naturmetzger in der »Steakschmiede« in Kreuth, um genau zu sein. Die Unterscheidung markiert nicht nur den qualitativen Unterschied seiner Ware gegenüber der von konventionellen Metzgern, sondern auch eine Wende in seinem Leben. »Seit der Papa sich entschieden hat, auf Naturmetzgerei umzustellen, geht es ihm viel besser«, sagt Emma Göttfert, Lehrling und Tochter. »Und seitdem kann ich auch wieder Wurst essen.«

In seiner Karriere sei er auf zwei Millionen Tiere gekommen

Denn der Papa war davor Jahre lang Akkordschlachter. Weil er pro getötetes Tier bezahlt wurde, musste es schnell gehen bei ihm: 120 Tiere in zehn Stunden. Fünf Tage die Woche macht 600 Tiere. Pro Jahr sind das 31.200. „In den 30 Jahren, in denen ich im Akkord geschlachtet habe, bin ich sicher auf zwei Millionen Tiere gekommen“, sagt er. Er klingt nicht stolz. Eher erschrocken.

Stolz ist er aber auf das Fleisch, dass er vorne im Kühlschrank lagert. Er holt ein T-Bone-Steak heraus und wiegt es bedächtig in der Hand. Es ist schön rot, durchlaufen mit weißen Fettsträngen. »Genau so muss das aussehen«, sagt er. »Aber so kann das nur aussehen, wenn man das Tier richtig tötet.« Man könne eine Kuh so lange massieren, wie man wolle. Am Ende entscheide das Sterben darüber, wie genießbar das Fleisch ist. Das müsse ohne Angst geschehen. »Wenn das Tier Angst hat, schmeckt das Fleisch nicht«, sagt er.

Aber nicht nur die Qualität des Fleisches habe ihn nach Dekaden in konventionellen Schlachtbetrieben dazu gebracht, nochmal neu anzufangen. »Ich konnte einfach nicht mehr«, sagt er. »Von der Psyche her.« Er sei immer stumpfsinniger geworden, immer trauriger. »Irgendwann hat’s den Schalter umgelegt und ich hab gesagt: Leckt’s mich am Arsch.«

Im März 2020 sperrte Göttfert seine eigene Metzgerei auf. Er wollte alles anders machen. Manche würden es vielleicht achtsam nennen. Göttfert wahrscheinlich nicht. Aber ihm sei bewusst geworden, dass es ihm und dem Tier besser geht, wenn er das Leben und Sterben seiner Ware wertschätzt. Deshalb verzichtet er in seiner Produktion auf Konservierungsstoffe, auf Phosphat, auf Geschmacksverstärker. Das ist auch der Grund, weshalb seine Tochter, die allergiebedingt kein Fleisch essen konnte, seins ohne Beschwerden verträgt. Und er geht anders mit dem Tier um: Rinder, die hier sterben, führen die Bauern teilweise am Strick von der Weide, durch's Dorf und in die Metzgerei. »Weil die Tiere den Bauer kennen, haben die gar keinen Stress.« Und auch das ist neu für Göttfert: »Ich spreche für jedes Tier, das ich töte, ein Gebet, streichle es und bleibe dabei, bis es tot ist.« Das sind nicht mehr 120 am Tag, sondern eher fünf in der Woche.

Ich bin hausieren gegangen

Heute. Aber damals, zwei Wochen nach der Eröffnung, machte erstmal alles wieder zu. Corona. Also habe Göttfert sich mit seinem Verpächter zusammengesetzt und ihm gesagt: „Ich höre wieder auf.“ Der dann: »Warum?« Göttfert: »Wie soll ich an Kunden kommen?« Verpächter: »Jetzt machst erstmal, mit der Pacht schauen wir, wie es passt.« Das war der Ansporn den der 55-Jährige gebraucht hat. »Ich bin dann hausieren gegangen«, sagt er. Er habe seine Produkte eingepackt und sei an Wohnblocks gefahren und habe einfach mal durchgeklingelt. »Manche fanden’s komisch, was will jetzt der Metzger vor der Tür? Andere haben sich richtig gefreut.« Und es habe funktioniert: von 100 Menschen seien 20 Kunden geworden. »Und die Pacht musste nicht einmal reduziert werden.«

Mit seinen Produkten konnte Göttfert nicht nur private Kunden überzeugen, sondern auch namenhafte Kundschaft aus der Gastronomie wie Martin Frühauf von der »Saurüsselalm« oder das Luxushotel »Bachmaier Weisssach«.

Mirko Göttfert wirkt klein neben dem riesigen Rind, das in seinem Kühlraum von der Decke hängt. Aber auch, weil ihm das wichtig ist: Respekt für das Tier. Emma Göttfert fasst es so zusammen: »Papa ist wieder glücklicher und ich kann wieder Wurst essen.«


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