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Prickelndes Lob der Langsamkeit: Billecart-Salmons Hommage »Nicolas François 2008«

Inhaber-geführte Häuser unter den Champagner-Weltmarken sind rar. Die Vorzüge der Unabhängigkeit schildert Antoine Roland-Billecart bei seinem Wien-Besuch dem Falstaff. Die neue Cuvée, die den Gründer von Billecart-Salmon ehrt, war dazu der Anlass.

Es ist mehr als ein simpler Trinkspruch. »Auf die Langlebigkeit« erhebt Antoine Roland-Billecart im Palais Coburg das Glas mit seinem Blanc de Blancs. Offiziell gilt dieser Toast seinem Vater, von dem er der handverlesenen Schar gerade erzählt hat. 100 Jahre wurde der Doyen der privaten Champagner-Häuser, Jean Roland-Billecart, vor drei Monaten. Sein 62-jähriger Sohn stellt die sechste Generation an der Spitze der »maison de Champagne« dar, seit Gründer Nicolas François Billecart 1818 Elisabeth Salmon ehelichte. »Die siebente Generation ist auch bereits im Unternehmen tätig«, merkt der Mann aus Mareuil-sur-Aÿ an. Die subtile Botschaft ist also klar: Billecart-Salmon hat nicht vor, seine Unabhängigkeit aufzugeben.

Zwölf Jahre Wartezeit auf Nicolas François

»Als Familienunternehmen haben wir nur so lange überlebt, weil wir alle Gewinne sofort reinvestieren – vor allem in die Produktqualität«, so Monsieur Billecart. Die Eigenständigkeit ist dabei kein Selbstzweck: »Wir müssen keine Produkte hastig erzeugen«. Was er damit meint, wird klar, als der Schaumwein eingeschenkt wird, der Antoine Roland-Billecart nach Wien geführt hat. Für 150 Monate verblieb die Cuvée Nicolas François 2008 auf der Hefe. Die Assemblage (60% Pinot Noir, 40% Chardonnay) ehrt den Gründer des Hauses nicht nur namentlich. Auch der Verzicht auf Pinot Meunier geht auf Nicolas François Billecarts ersten Champagner zurück. Seit 1964 wird diese Cuvée in den besten Jahren aus Chardonnay (Côte des Blancs) und Pinot Noir (Montagne de Reims) gefüllt. 90% des Traubenmaterials stammt dabei aus grands crus, darunter Mesnil, Cramant oder Avize.

Der aktuelle Jahrgang bereitete dem Winzer allerdings lange Sorgen. »Noch in der dritten August-Woche zeigten die Trauben wenig Reife«, erinnert sich Roland-Billecart an einen überaus kalten Witterungsverlauf im Jahr 2008. Der Spätsommer holte viel an Reife auf, die insgesamt kühle Stilistik tat dem Champagner aber gut: »Säure ist bei uns die beste Altersversicherung«! Sie wird bei der Cuvée Nicolas François von einer Dosage akzentuiert, die der »président« selbst mit »fast nichts« charakterisiert. Konkret sind es 2,9 Gramm.

Die Frische eines späten, kühlen Jahrgangs

Entsprechend frisch und weinig zeigt sich die neue Cuvée auch. Klare Birnenfrucht und säurige Himbeere, dazu etwas Zimt-Abrieb, sind die ersten Duftnoten. Dazu kommt eine intensive Fruchtigkeit, die man mit Lychee und Mandarinen-Fruchtfleisch beschreiben kann. Sie weicht mit mehr Luft und Zeit einem an Sherry erinnernden Mix aus Florhefe und Salzigkeit. Der Kostschluck bestätigt dieses kalkige-saline Element im »Nicolas François 2008«. In dem engmaschigen und frischen Auftritt spielt die Salzzitrone eine Rolle, weitere Agrumen (z. B. Orangenblüte) treten daneben auch auf. Mit Luft fördert die Perlage auch die zarten Röstnoten zu Tage; 17% der Cuvée wurden noch von Kellermeister François Domi im Holz vinifiziert (seit 2018 ist Florent Nys »chef de cave«). Vor allem verbindet sich dieser Zug mit dem ebenso buttrigen wie zart rauchigen Haselnuss-Akkord des Chardonnays.

Gegenüber den Zitrusnoten verbleibt diese Seite – noch! – im embryonalen Stadium. Wie zur Bestätigung gesellt sich im Nachklang auch noch »Earl Grey« mit seinem Bergamotten-herben Touch hinzu. Die Zitrusfrische ist auch der Schlüssel zum Pairing mit der raren Cuvée. Mauro ColagrecoMirazur«, Menton) entwickelte das »offizielle« Gericht zum »Nicolas François 2008«. Der Drei-Sterne-Koch rät zu Petersfisch in Zitronenbutter mit Tamarillo. Aus Silvio Nickols Küche im Palais Coburg kam ebenfalls Fisch, allerdings Seezunge. Die Gäste um Billecarts Österreich-Importeur Heinz Velich wie Vintage-Händler Berndt May (May Wines), Hans Peter Ertl (Ritz-Carlton) oder Fisch-Maestro Erkan Umar genossen sie mit einer Salzzitrone als würzigem Taktgeber.

Die gute Reife-Prognose der 1998er Cuvée

Wohin die Reise bei diesem äußerst lagerfähigen Champagner geht, zeigte dann die Magnum, die Antoine Roland-Billecart mitgebracht hat. Der zehn Jahre ältere »Nicolas François 1998« verströmt eine rauchige Attraktivität, die in ihrer reduktiven Art weißen Burgundern der Oberklasse nicht nachsteht: Pfirsichkerne und schwarzer Sesam wetteifern mit Krokant um die Aufmerksamkeit. Auch am Gaumen sind es dunkle und cremige Patisserie-Anklänge, die man schmeckt; Spekulatius und Karamellcreme beispielsweise.

Die Überraschung beim »Nicolas François 1998« aber liefert die pure Bergamotte, die sich mit Zedratzitrone an die Spitze eines zitrusfruchtig-frischen Potpourris stellt. Ein feiner Gerbstoff ist zu spüren. Und auch er wirkt noch jugendlich – wohlgemerkt 25 Jahre nach der Ernte! Gemeinsam mit einem Hauch weißem Pfeffer erhöht das Tannin noch die Trinkfreude an diesem längst ausverkauften Champagner.

Ronny Weber soll Eric Calzolari folgen

Nie fehlen darf bei den Verkostungen jener Schaumwein, der in Österreich wohl das bekannteste Produkt von Billecart-Salmon darstellt. Der »Brut Rosé« oder in den Worten von Antoine Roland-Billecart: »Er sollte immer ein Rosé aus der Champagne sein, kein Rosé-Champagner. Damals waren wir die Ersten, heute wird das viel kopiert«. Entsprechend kühle Lagen liefern den Chardonnay-Anteil, vor allem Vitry-le-François im Osten der Champagne sorgt für eleganten, keinesfalls »lauten« und beerig-süßen Schaumwein.

Parallel zur neuen Cuvée »Nicolas François 2008« stellte Billecart-Salmon auch eine Personalie vor. Eric Calzolari, für viele Genießer fast ein Synonym für die »maison de Champagne« im deutschen Sprachraum, zieht sich langsam zurück. 2024 wird der nicht nur durch etliche Falstaff-Champagner-Galas bekannte Markenbotschafter aus München in den Ruhestand treten. An seiner Seite stieß in Wien bereits der designierte Nachfolger Ronny Weber (aktuell noch: »Vice-Ambassador«) mit dem Fachpublikum an. Der 43-jährige Weinakademiker mit reichlicher Gastroerfahrung trank natürlich auch »auf die Langlebigkeit«!


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Roland Graf
Autor
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