Die Bothmarhalde bei Malans – von hier stammt einer der zwei Einzellagen-Pinots-Noirs des Weinguts Wegelin.

Die Bothmarhalde bei Malans – von hier stammt einer der zwei Einzellagen-Pinots-Noirs des Weinguts Wegelin.
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Schweizer Pinot-Noir-Stilfrage

Pinot Noir ist die meistangebaute Traubensorte der Schweiz – einen Schweizer Pinot-Noir-Stil gibt es dennoch nicht. Die Ausprägungen der Sorte sind vielfältig, gerade im Topsegment. Jüngster Beweis dafür ist die Verkostung zur Falstaff Pinot Noir Trophy 2022.

Pinot Noir ist in der Schweiz allgegenwärtig. Mit rund 3800 Hektar ist sie die meistangebaute Traubensorte überhaupt, gefolgt vom weissen Chasselas mit rund 3570 Hektar. Die beiden Schweizer Paradesorten erleben seit einigen Jahren zwar einen Rückgang hinsichtlich Anbaufläche, werden ihren Spitzenplatz aber noch lange behalten können. Auf dem dritten Platz der meistangebauten Traubensorten folgt der Merlot mit gerade einmal 1200 Hektar, was verdeutlicht, wie lange Chasselas und Pinot Noir die hiesigen Reblandschaften vermutlich noch dominieren werden. Gerade der Pinot Noir ist in praktisch allen Landesteilen ein Fixpunkt, und Konkurrenz im Rotweinbereich ist bis heute nicht wirklich vorhanden – in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht.

Zur Falstaff Pinot Noir Trophy 2022 wurden beinahe 120 Weine aus allen Landesteilen eingereicht. Die besten Weine kamen aus Graubünden, dem Wallis, vom Zürichsee, aber auch aus Neunburg, Basel oder der Ostschweiz – exzellente Terroirs findet die Sorte in allen Landesteilen; und das nicht erst seit gestern.

Die Traubensorte Pinot Noir stammt aus dem französischen Burgund. 1283 fand sie in Frankreich erstmals Erwähnung. In die Schweiz kam sie vermutlich auf verschiedenen Wegen. Einer der ältesten Nachweise für ihre Einfuhr stammt aus Graubünden. Während des Dreissigjährigen Kriegs soll Herzog Henri II. de Rohan die Burgunderrebe in die Region gebracht haben, genauer: zwischen den Jahren 1630 und 1635. In der Westschweiz hingegen geht man davon aus, dass die Sorte bereits im 15. Jahrhundert im Waadtland unter dem Namen Servagnin bekannt war. 1776 tauchte sie erstmals unter der lokalen Bezeichnung Cortaillod in Neuenburg auf, von wo sie die gesamte Region und die Alpentäler besiedelte.

Im Wallis, wo die Sorte absoluter Platzhirsch im Rotweinbereich ist, wurde sie rund 100 Jahre lang unter dem Namen Dôle angebaut und verkauft. Ab 1848 wurde der Name Pinot Noir gebräuchlich, und aus dem erwähnten Dôle wurde die heute bekannte Assemblage mit Gamay, der heute am vierthäufigsten angebauten Traubensorte der Schweiz.

Schweizer Pinot-Vielfalt

Bei der Verkostung zur Falstaff Pinot Noir Trophy 2022 zeigte sich einmal mehr, dass die Sorte Pinot Noir nicht nur in allen Landesteilen ihre eigene Geschichte hat, sondern auch, dass sie ganz verschieden interpretiert wird – und das nicht nur in den einzelnen Regionen, sondern oft sogar auf der Produzentenebene. Pinot Noir aus der Schweiz gibt es in füllig und dunkelfruchtig, mittelgewichtig und würzig, aber auch leicht und hellfruchtig und mit allen Schattierungen dazwischen. Einen Pinot-Noir-Stil, wie man ihn aus anderen Weinbauregionen kennt, gibt es in der Schweiz nicht, jedoch viele Weine, die einem Stil aus anderen Ländern augen- und gaumenscheinlich nacheifern.

So erkannten die Verkoster nicht nur Parallelen zu dem, was man heute als Burgunderstil bezeichnet, sondern genauso zum deutschen Spätburgunder oder aber zu Pinot Noirs aus Übersee. Ab und zu fanden sie sogar Weinstile, die über den Pinot Noir hinausreichen. Denn die Schweiz gehört wohl zu den wenigen Ländern, wo man aus Pinot Noir auch einen Amaronestil aus getrockneten Trauben keltert, was die Falstaff-Verkoster nicht unbedingt goutierten. Die Absicht, dem Wein mehr Fülle zu geben, wird so zwar erreicht, jedoch verfälscht es die Charakteristik der zugrundeliegenden Traube fast gänzlich.

Ein zweites önologisches Verfahren, das Struktur und Charakter eines Pinot Noirs verbessert und vermehrt bei Schweizer Pinot Noirs zum Einsatz kommt, ist die in vielen Burgunder-Domänen angewandte Ganztraubengärung. Dabei werden der Maische ganze Trauben inklusive Stiel beigegeben, oder selbige nach der Entrappung wieder hinzugefügt und mitvergoren. Dies verleiht dem Wein aber nicht etwa Fülle, die Rappen sorgen für eine natürliche Entsäuerung, einen verminderten Alkoholgehalt, zudem werden sie weniger dunkelfarbig und gewinnen an Frische. Es werden also typische Pinot-Attribute unterstrichen.

Die Vergärung mit ganzen Trauben oder die Zusetzung von Rappen nach der Entstielung sorgt für einen rund 15 Prozent höheren Polyphenolgehalt, was die Weine gerade jung oft etwas sperrig erscheinen lässt, jedoch für eine hohe Lagerfähigkeit sorgt. Es liegt in der Natur der Sache, dass Weine, die mit dieser Methode produziert werden, in Verkostungen, bei denen nur aktuell am Markt erhältliche Tropfen zugelassen sind, nur eine Chance haben, wenn sie sich schon harmonisieren konnten. So, wie es bei einigen Paradebeispielen der Falstaff-Verkostung der Fall war.

Charakterweine auf dem Podest

Der erstplatzierte Wein der Falstaff Pinot Noir Trophy 2022, der Weisstorkel von Wegelin Weine aus Malans, wurde mit Beigabe von ganzen 40 Prozent Ganztrauben erzeugt. Der Lagenwein überzeugte die Falstaff-Verkoster mit seiner klassischen, eleganten und überaus komplexen Art. Er stammt aus einer der ältesten Lagen von Malans, die sich durch einen eher schweren Boden auszeichnet. Geprägt ist sie von dunklem Kalk mit Tonschiefer sowie einem hohen Lehmanteil. Der warme und windige Standort des Weisstorkel ist laut dem Weingut ideal, um «vollreife, charakterstarke» Trauben zu ernten.

Der zweitplatzierte Wein in diesem Jahr, der Pinot Noir L’Enfer du Calcaire der Walliser Domäne Histoire d’Enfer, bewegt sich in derselben Liga wie der erstplatzierte Bündner, beide erreichten 95 Punkte. Stilistisch aber sind die beiden Weine nicht wirklich zu vergleichen, wie man den Verkostungsnotizen entnehmen kann. Während der Wegelin-Wein mit heller Frucht glänzt, sind beim Histoire d’Enfer dunklere, reifere Früchte und insbesondere intensivere Röstnuancen präsent. Letzterer zeigt sich aromatisch gesehen insgesamt wärmer, was dem Terroir der Lagen oberhalb von Sierre geschuldet ist. Auch Histoire d’Enfer setzt – ganz burgundisch – auf eine Rotweinvinifikation mit zugesetzten Ganztrauben. Ob man für knapp 60 Franken im Burgund allerdings gleich viel Stoff fürs Geld bekommt, ist zu bezweifeln.

Ein wahrer Knüller in Preis-Leistungs-­Hinsicht ist der Pinot Noir élevée en Barrique 2019 des Weinmachers Rico Lüthi vom Zürichsee. 31 Franken kostet der mit 94 Punkten bedachte Tropfen. Ein Wein, der wiederum einen völlig anderen, aber grandiosen Ausdruck von Pinot Noir hierzulande aufzeigt: frisch, fruchtbetont und leicht. Rico Lüthis Wein überzeugte die Falstaff-Verkos­ter mit seiner kühl wirkenden Frucht, seiner zurückhaltenden Würzigkeit und der nahezu perfekten Struktur. Lüthi setzt auf einen anderen Weg, um seinen Trauben den vollen Charakter abzugewinnen. Für eine optimale Extraktion führt er eine 18 Tage andauernde Kalmazeration vor der Gärung durch, ein ebenfalls im Burgund verbreitetes Verfahren.

Die grössten Schweizer Pinot Noirs orientieren sich bis heute am Burgund – das macht aufgrund der Herkunft der Traube natürlich auch Sinn. Als absoluter Spitzenwein hat Pinot Noir in der Schweiz noch eine relativ junge Geschichte, weshalb es nicht verwundert, dass eine eigene Identität, wie sie beispielsweise beim deutschen Spätburgunder oder bei neuseeländischem Pinot Noir besteht, zuerst noch gefunden werden muss. Aber muss sie das überhaupt? Gerade die vielfältigen Terroirs und diversen Interpretationen der Traubensorte auf kleinstem Raum machen die Schweizer Pinot-Noir-Landschaft so interessant und vielfältig wie sie ist. Und das ist in der Weinwelt einzigartig.

ZUR PINOT NOIR TROPHY


Pinot Noir büsst an Rebfläche ein

Seit der Jahrtausendwende ist die mit Pinot Noir bestockte Rebfläche in der Schweiz rückläufig. Waren 2001 noch 4608 Hektar mit der Sorte bestockt, waren es 2021 noch 3801 Hektar – ein Rückgang von 807 Hektar oder fast 17,5 Prozent. Grund dafür ist einerseits eine allgemeine Verringerung der Rebflächen, andererseits der verstärkte Trend hin zu Spezialitäten – diese gehören klar zu den Gewinnern der letzten 20 Jahre. Auch andere klassische Sorten wie Gamay und Chasselas verlieren seit Jahren an Terrain, während Sorten wie Petite Arvine oder Savagnin Blanc (Heida) auf dem Vormarsch sind.


Erschienen in
Falstaff Nr. 09/2022

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Benjamin Herzog
Benjamin Herzog
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