© Xenia Trampusch

Bogdan Roščić im Interview über den Wiener Opernball und »Hoffnung für unsere Zivilisation«

Millionen Menschen verfolgen den Opernball alljährlich vor dem TV-Bildschirm. Für sie hat Staatsoperndirektor Bogdan Roščić eine kleine Heilsbotschaft parat – und auch sonst blickt er positiv in die Zukunft. Im Gespräch mit Falstaff-Herausgeber Wolfgang Rosam erklärt er die neuen Ansprüche an »seinen« Ball.

Sein Amt trat Bogdan Roščić im Jahr 2020 an – und hatte mit der Corona-Pandemie gleich seine erste große Prüfung zu bestehen. Im Vorjahr erst konnte der Staatsoperndirektor dann seinen ersten »eigenen« Opernball ausrichten. Und überraschte dabei gleich mit Neuerungen. So wurde etwa das althergebrachte Amt der »Ballmutter« abgeschafft. Eine Rolle, die der Hausherr nunmehr, unterstützt von einem Ballkomitee, selbst übernimmt. Auch abseits des Balls will er frischen Wind in das Haus bringen – und die Staatsoper für neue Zielgruppen öffnen.

Falstaff: Elitär, schwer verdaulich, teuer: Dem Opernbesuch haften seit jeher auch negative Attribute an. Sind das nur Vorurteile?

Bogdan Roščić: Ja genau, es sind nur Vorurteile. Man kann bei uns ab vier Euro in eine Vorstellung gehen, und es sind Abend für Abend über 2.000 Menschen im Saal, so viel sogenannte Elite haben wir dann auch wieder nicht in Wien. Zum schwer Verdaulichen: Das Angebot an leicht Verdaulichem war nie größer als heute, es muss für Menschen mit gutem Magen auch einen Ort geben, wo man sich mit den Fragen des Lebens etwas risiko-freudiger beschäftigen kann. Die Oper wartet geduldig auf alle, auch auf jene, die wie ich nichts gegen Netflix-Schlagobers haben, aber irgendwann auch satt werden wollen.

Hat sich – auch durch die Pandemie, die uns im Kulturgenuss stark eingeschränkt hat – nachhaltig etwas verändert?

Man hat ja der Kultur da und dort während Corona den Untergang prophezeit. Ich mag es nicht, über die Staatsoper anhand von Zahlen zu reden, aber schon ­letzte Spielzeit hatten wir eine Auslastung wie vor der Pandemie, diese Saison sind wir bei über 99,9 Prozent. Und zwar deutlich drüber, wenn’s ganz genau sein soll …

Wie »zufrieden« bist du denn mit deinem ­Publikum? Gibt es Zielgruppen, die du im Haus noch vermisst?

Die Staatsoper kennt keine Zielgruppen, sie wendet sich an alle. Sie darf nicht das Spielzeug bestimmter Schichten sein, das widerspricht jeglichem Auftrag, den man für so ein Theater rechtfertigen kann. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass alle, die den Ruf der Oper hören, auf ihrem Weg in das Haus keinerlei unnötige Hindernisse vorfinden.

Noch herrscht an den Abenden normaler Spielbetrieb im Saal. Für den Opernballabend müssen die Sitzreihen dem Tanzparkett weichen.
© Xenia Trampusch
Noch herrscht an den Abenden normaler Spielbetrieb im Saal. Für den Opernballabend müssen die Sitzreihen dem Tanzparkett weichen.

Du hast in der Saison 2020/21 einen neuen »Offiziellen Freundeskreis« der Oper gegründet, unter anderem mit dem Ziel, das Haus zu öffnen. Was versteht man konkret unter dieser »Öffnung« – und wie weit bist du auf dem Weg dorthin?

Die Öffnung ist ein Ziel, dass das Haus ganz unabhängig vom Freundeskreis verfolgt. Aber er unterstützt uns dabei. Öffnen bedeutet, Hindernisse, Barrieren abzubauen – ökonomische, ästhetische, kommunikative … da muss man an hundert Schrauben drehen. Vergangene Saison haben wir doppelt so viele Jugendkarten verkauft wie vor der Pandemie.

Was ist die Motivation für Persönlichkeiten, diesem »Freundeskreis« beizutreten? Welche Vorteile genießen die Mitglieder?

Ich glaube, die wichtigste Motivation ist es, die Verbundenheit zur Staatsoper auszudrücken und sie bei so wichtigen Zielen zu unterstützen. Wir bedanken uns bei den Mitgliedern, indem wir beim Kauf von Karten bestimmte Rechte einräumen, aber das ist, so glaube ich, nicht der wichtigste Beweggrund. Wir machen für den Freundeskreis spezielle Veranstaltungen, Diskussionen, Künstlertreffen… Die Gruppe der Donatoren aus dem Freundeskreis hat auch das Vorkaufsrecht auf eine Rangloge beim Opernball, das ist erstmals transparent geregelt.

Wird diese Form von persönlicher Verbindung mit den eigenen Gästen in heutiger Zeit wichtiger? Handelt es sich um eine Art »Mäzenatentum«, das in finanziell schwierigeren Zeiten auch an Bedeutung gewinnt?

Der Offizielle Freundeskreis ist jetzt schon der größte einzelne Sponsor der Staatsoper. Und das ist enorm wichtig, weil unser Budget nur den Spielbetrieb abdeckt. Dinge, die darüber hinausgehen, Maßnahmen der Zukunftssicherung erfordern zusätzliche Mittel, die wir leider auch selbst finden müssen. Im Dezember 2024 öffnen wir eine ganz der Nachwuchsarbeit und dem jüngeren Publikum gewidmete neue Spielstätte, das Budget dafür mussten wir uns fast zur Gänze selbst organisieren.

Wer zählt sich denn zu den »Freunden« der Oper? Ist das ein gut gehütetes Geheimnis? Oder entdecken wir da spannende Namen?

Auch der Offizielle Freundeskreis bildet die ganze Gesellschaft ab, das ist kein Promi-­Verein. Es finden sich ganz unterschied­liche Mitglieder des Publikums darin, und das ist genau richtig so. 

Zum Opernball: Im Vorjahr hast du deinen ersten Opernball überhaupt gefeiert – und zugleich den ersten als Operndirektor. Welche persönlichen Erinnerungen an jenen Abend 2023 sind geblieben?

Für den Debütanten war das natürlich faszinierend. Man lernt da bis fünf Uhr früh erstaunlich viel über die Mitmenschen. Der stärkste Eindruck war vielleicht, wie sehr sich der wirkliche Ball und sein Spiegelbild im Fernsehen unterscheiden.

Mit dem Ball öffnet sich die Oper nicht nur für die Gäste vor Ort – sondern für ein breites Publikum, das den Abend vor dem Fernseher mitverfolgt: Welche Stimmung, welches Bild willst du den Menschen vermitteln? Mit welchem Gefühl sollen Menschen, die den Ball vor dem TV genossen haben, ins Bett gehen?

Mit dem Gefühl, dass für unsere Zivili­sation nicht jede Hoffnung verloren ist.

Der Opernball zählt zum österreichischen Kulturgut: Ist die Veranstaltung in ihrer ­heutigen Form deiner Ansicht nach für die Zukunft gut aufgestellt?

Auch für den Opernball gilt: Ein Ball ist dazu da, um Menschen, die gerne auf Bälle gehen, eine Freude zu machen. Die und nur die werden den Ball verändern, indem sie selbst sich mit der Zeit ändern – in ihrem Lebensgefühl, ihren Erwartungen, ihren Illusionen, ihrem Stil. Das ist nichts, was man verordnen kann, der Ball ist nur ein Rahmen. Und im Moment will ihn das Publikum so, wie er ist. Wir könnten die Karten wahrscheinlich zehnmal ausverkaufen.

Zur Person

Bogdan Roščić wurde 1964 in Belgrad geboren und emigrierte 1974 mit seiner Familie nach Österreich. Nach seinem Studium der Philosophie und Musikwissenschaft arbeitete er zuerst als Journalist und war unter anderem Senderchef bei Ö3.

Im Jahr 2002 wechselte Roščić in die Musikindustrie, zuerst als Geschäftsführer von Universal Music Austria, dann als künstlerischer Leiter der Deutschen Grammophon Gesellschaft in Hamburg und Direktor von Decca Records in London. Ab dem Jahr 2009 leitete er von New York aus die Klassik-Sparte bei Sony, dem zweitgrößten Musikkonzern der Welt.

Seine Funktion als Direktor der Wiener Staatsoper trat Roščić am 1. Juli 2020 – inmitten der für den Kulturbetrieb schwierigen Corona-Pandemie – an. Sein laufender Vertrag wurde bereits bis zum Jahr 2030 verlängert.


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Erschienen in
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Wolfgang Rosam
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