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Fondue und Raclette zum Dahinschmelzen

Wenn die Temperaturen sinken und die Tage kürzer werden, beginnt sie: die Fondue- und Raclette-Zeit. Die Schweizer Nationalgerichte sind wärmend, machen satt und sorgen für gemütliches Zusammensein. Das weiß man auch in den Nachbarländern der Eidgenossenschaft zu schätzen.

Geschmolzener Käse ist hervorragend – es ist sogar wissenschaftlich erwiesen, dass er so besser schmeckt als in seiner festen Form. Durch komplexe Prozesse beim Schmelzen entstehen neue chemische Verbindungen, die den Geschmack intensiver und umamireicher werden lassen. Außerdem ändert sich die Textur; der Käse wird cremig und das Fett kommt besser zum Vorschein. Da sich Menschen evolutionsbedingt zu fettigen und cremigen Speisen hingezogen fühlen, ist geschmolzener Käse für die meisten von uns deshalb unwiderstehlich. In der Schweiz, dem Herkunftsland von Fondue und Raclette, gehören selbige zum Winter wie Langlaufen oder Skifahren.

Ein Fondue-Abend vertreibt den Winterblues: Man isst in guter Gesellschaft und lässt sich dabei viel Zeit. Zwischendurch gönnt man sich eine Pause, damit sich im Fondue-Topf, dem Caquelon, die »Großmutter« bilden kann. So oder auch »Nonne«, »Réligieuse« beziehungsweise »Croûton« nennt man in der Schweiz die Kruste, die sich dann am Boden des Topfes bildet. Die ist unglaublich schmackhaft und deshalb in den Schweizer Familien meist hart umkämpft. Die Pause versüßt man sich in der Schweiz gerne mit einem Gläschen Kirsch. Zusätzlich gehören Weißwein und warmer Tee zum Fondue-Ritual. Beide sollen bei der Verdauung der doch beachtlichen Käsemengen helfen, die man beim Fondue zu sich nimmt.

Auch beim Raclette geht es gemütlich zu und her. Wird nach alter Schweizer Sitte ein Viertel oder halber Käselaib am Feuer geschmolzen, verlangt das allen Beteiligten Geduld ab – es dauert lange, bis alle zu ihrer Portion gekommen sind. Um die Geduld der Anwesenden nicht zu sehr zu strapazieren, wird oft noch Trockenfleisch gereicht. Auch wenn die heute üblichen Raclette-Öfen mit individuellen Pfännchen zum Käseschmelzen benutzt werden, dauert es ziemlich lange, bis man satt ist. So hat man genug Zeit, um sich zu unterhalten und Weißwein – am besten einen Schweizer Chasselas – zu trinken. Heute besitzt fast jede Schweizer Familie ein Fondue-Set und einen Raclette-Ofen. Das war allerdings nicht immer so: Bis ins 20. Jahrhundert wurden Raclette und Fondue vornehmlich in den Bergregionen gegessen, aus denen sie stammen. Erst in der Nachkriegszeit wurden die Gerichte aus geschmolzenem Käse im Schweizer Flachland und über die Landesgrenzen hinaus bekannt und beliebt.

Der Siegeszug des Fondues

Über die Frage, wer Fondue erfunden hat, scheiden sich die Geister. Seit Jahrhunderten wird im gesamten westlichen Alpenraum Käse zur Resteverwertung zerkleinert und eingeschmolzen. So gibt es auch in Frankreich Fondue und im Piemont die verwandte Fonduta, für die geschmolzener Fontina-Käse statt mit Wein mit Butter, Milch und Eigelb gemischt wird. Aber auch die Alpenbewohner waren nicht die Ersten, die auf die Idee kamen, Käsesuppe herzustellen. Bereits in Homers »Ilias« wird ein Gericht aus geschmolzenem Ziegenkäse mit Wein und Mehl erwähnt. In der Schweiz wird mindestens seit dem Mittelalter Fondue gegessen, vornehmlich in den französischsprachigen Bergregionen.

Das erste schriftliche Fondue-Rezept kommt allerdings aus der Deutschschweiz und wurde im Jahr 1699 von der Zürcher Bürgersfrau Anna Margaretha Gessner aufgeschrieben. Das Rezept war klar für die Zürcher Oberschicht gedacht, Käse war nämlich damals ein Luxusgut. Lange wurde er nur im Sommer auf der Alp hergestellt, denn nur dann hatten die Kühe genug Futter, um die großen Mengen an Milch zu geben, die zur Käseherstellung nötig sind. So aßen nur die Bergbauern selbst und reiche Bürger regelmäßig Käse.

Erst Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich das, da die Landwirtschaft nach der zweiten Agrarrevolution effizienter wurde und das ganze Jahr über Käse hergestellt werden konnte – auch in den Tälern. Milch und Käse wurden billiger und so zu Grundnahrungsmitteln für die Schweizer Bevölkerung. Zudem bildete sich ein reger Handel mit Käse, der die eidgenössische Industrie ankurbelte – viel Käse wurde exportiert. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs brach dieser Markt jedoch zusammen. Der Käseexport wurde verboten, um die Ernährungssicherheit im Inland zu gewährleisten. Zur Koordination der Käseherstellung und des Vertriebs wurde 1914 die Schweizerische Käseunion gegründet. Sie war es auch, die das Fondue auf die Tische der Deutschschweizer brachte. Dazu organisierte sie kostenlose Degustationen, suchte aber auch die Unterstützung der Schweizer Armee. Ab dem Zweiten Weltkrieg gab es für die Soldaten regelmäßig Fondue-Abende. Nicht nur ernährte das kalorienreiche Essen die Männer, das gesellige Beisammensein sollte auch den Zusammenhalt zwischen ihnen fördern. In der Nachkriegszeit brachten die ehemaligen Soldaten das Fondue-Ritual dann in ihre Familien – bis heute ist die Zubereitung häufig Männersache. Seinen endgültigen Siegeszug trat das Fondue dann mit einer Werbekampagne der Käseunion in den 70er- und 80er-Jahren an. Bis heute kennen viele Schweizer den damals erfundenen Werbeslogan »Fondue isch guet und git e gueti Luune« (»Fondue ist gut und macht gute Laune«), abgekürzt »FIGUGEGL«. 1994 kam dann noch das Raclette-Pendant »RIGUGEGL« dazu.

Zu Raclette wird oft eine Walliser Platte mit Trockenfleisch gereicht. Neben Weißwein gibt auch Kirschwasser ein gutes 
Fondue-Pairing ab.
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Zu Raclette wird oft eine Walliser Platte mit Trockenfleisch gereicht. Neben Weißwein gibt auch Kirschwasser ein gutes Fondue-Pairing ab.

Walliser Stolz

Wie beim Fondue ist die Herkunft auch beim Raclette umstritten. Während die Walliser diese für sich beanspruchen, war sogenannter »brötleter Chäs«, also Bratkäse, auch in den Innerschweizer Bergen bereits im Mittelalter beliebt. Wahrscheinlich ist, dass auch diese Zubereitungsart von Käse an mehreren Orten gleichzeitig entstand. Durch das Schmelzen des Käses am Feuer konnten die Bergbauern ohne viel Aufwand ein warmes Mahl genießen. Nirgends wird allerdings mit so viel Stolz Raclette gegessen wie im Kanton Wallis – egal ob Winter oder Sommer. Hier wird auch der mit der Herkunftsbezeichnung AOP ausgezeichnete Käse »Raclette du Valais« hergestellt. Der Name Raclette stammt ebenfalls aus dem Wallis – der Begriff wurde zum ersten Mal 1909 an einer Weinmesse in Sion verwendet. Zu den Weinen wurde den zahlreichen anwesenden Journalisten geschmolzener Käse serviert, der als Raclette angepriesen wurde, abgeleitet vom Walliser Dialektwort »racler« – schaben.

Wie Fondue profitierte auch Raclette vom Marketing der Käseunion. Richtig beliebt wurde es in der Deutschschweiz aber erst nach der Erfindung des Raclette-Tischofens 1967. Dieser machte den Raclette-Genuss um einiges einfacher – denn mit ihm können mehrere Leute gleichzeitig ihren Käse schmelzen und nach Geschmack weitere Zutaten ins Pfännchen geben, wie Peperoni, Zwiebeln oder Speckwürfel. Raclette-Puristen erzürnen allerdings solche »Auswüchse«. Für sie gehören dazu nur Kartoffeln, Silberzwiebeln, Essiggurken und die »Assiette Valaisanne« mit Charcuterie. Zu Hause darf man natürlich tun, was man möchte: Birnen und Kartoffeln ins Fondue tauchen, es mit Tomaten mischen, Pilze und Knoblauch mit ins Pfännchen geben – die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt. Wohl auch deswegen sind Fondue und Raclette heute bis weit über die Landesgrenzen der Schweiz hinaus beliebt.

Tipps und Tricks
Wer auf Alkohol verzichten möchte, der kann statt des Weißweins Apfelsaft oder Brühe verwenden – vermischt mit Zitronensaft, da das Fondue ohne die Zugabe von Säure nicht gelingt.
Zusätzlich zum Brot können auch gekochte Kartoffeln, andere Gemüsesorten und Früchte wie Birnen, Äpfel und Kakis in den Käse getaucht werden. Das ist zwar nicht traditionell, schmeckt aber gut – und macht das Gericht etwas leichter.
Statt Gruyère und Vacherin können auch andere Berg- und Alpkäse verwendet werden. Zu reife Käse eignen sich allerdings nicht, weil sie nicht gut schmelzen.
Troubleshooting
Scheidet sich das Fondue, sollte als Erstes die Hitze reduziert werden. Dann löst man etwas Maisstärke in Weißwein und Zitronensaft auf und gibt die Mischung zum Fondue. Auf kleiner Hitze rühren, bis es bindet.  
Ist das Fondue zu dünn, kommt ebenfalls die Stärke-Weinmischung zum Einsatz. Dann lässt man das Fondue unter ständigem Rühren eindicken.
Ist das Fondue hingegen zu dickflüssig, gibt man langsam etwas Weißwein hinzu. Dabei sollte man ebenfalls stetig rühren, bis die gewünschte Konsistenz erreicht wird.

Erschienen in
Falstaff Nr. 10/2023

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Larissa Graf
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